Urteil gegen Rhein-Neckar-Blogger: Das schriftliche Urteil ordnet die juristische Sachlage klar ein. Blogger hat Revision angekündigt.

KIM liegt das schriftliche Urteil seit wenigen Tagen vor. Was dies mit der momentanen Gefühlslage in der BRD zu tun hat, wollen wir mit diesem Beitrag versuchen zu erläutern.

Zahlreiche Menschen glauben, dass sie wegen der Covid19-Verfügungen in ihren Grundrechten einschränkt werden und bringen ihren Unmut bei diversen Kundgebungen, Aluthut-Trägern-gleich, auf die Straßen. „Meinungsfreiheit“ und weiteres proklamiert „Wir sind das Volk“ in Minderheit für sich.

Der im März 2020 vor dem Landgericht Mannheim zweitinstanzlich, verurteilte Blogger aus dem Rhein-Neckar-Raum, beanspruchte für sich im Prozess ebenfalls Grundrechte wegen seiner Berichterstattung. Dies ist vollkommen legitim. Jedoch wenn dieser ähnlich wie die Schreier auf den Straßen „Wir sind das Volk“ agiert oder dies so durch seinen Rechtsanwalt vor Gericht gefühlt verlauten lässt, dann sollte man sich das schriftliche Urteil im Detail anschauen.

Fokus: Grundgesetz/Meinungs-/Presse/-Kunstfreiheit

Wir zitieren wörtlich aus der schriftlichen Urteilsbegründung des Landgericht Mannheim.

(Massiver Terroranschlag im März 2018)

Die Strafbarkeit des Angeklagten entfällt nicht deshalb, weil seine Veröffentlichung grundrechtlichen Schutz genösse.

Die strafrechtsdogmatische Einordnung einer solchen Straflosigkeit einer rechtswidrigen und schuldhaften Tat nach § 126 StGB mag dahinstehen. Jedenfalls kann grundsätzlich solches Tun nicht bestraft werden, das uneingeschränkten grundrechtlichen Schutz genießt.

Die hier gegenständliche Veröffentlichung des Textes durch den Angeklagten ist jedoch nicht grundrechtlich gedeckt.“

„Der Angeklagte kann sich nicht auf die Grundrechte der Meinungs- und Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 und 2 GG berufen.

Meinungen zeichnen sich durch eine Wertung, einen Aspekt des Dafürhaltens aus. Bei dem vom Angeklagten veröffentlichten Text handelt es sich jedoch um die Darstellung von Tatsachen, wenn es sich auch um falsche Tatsachen handelt, wie der Angeklagte selbst einräumt, wenn er in seiner Stellungnahme mehrfach den Begriff der „fakenews“, neudeutsch für erfundene, gefälschte Nachrichten, benutzt.

Die Pressefreiheit als institutionelle Garantie und persönliches Grundrecht des Pressetätigen schützt die Auswahl, Beschaffung und Verbreitung von Informationen und Meinungen, jedoch sind von diesem Schutz nur – nach bestem Wissen – wahrheitsgemäße Informationen erfasst, um die es sich im vorliegenden Fall eben nicht handelt.“

„Bei dem vom Angeklagten verfassten fiktiven Text handelt es sich vielmehr um Literatur, die durch das Recht der Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 GG geschützt wird. Dieses Grundrecht findet zwar seine Grenze nicht an den allgemeinen Gesetzen, ist jedoch gleichwohl nicht schrankenlos. Vielmehr wird es beschränkt durch andere verfassungsrechtliche Normen. Durch eine Abwägung im Einzelfall ist zu bewerten, welchem Recht mit Verfassungsrang der Vorrang zu geben ist. Die Abwägung im vorliegenden Fall führt zu dem Ergebnis, dass das Grundrecht des Angeklagten auf Kunstfreiheit hinter anderen Normen mit Verfassungsrang zurücktreten muss.

In die Abwägung einzustellen ist zunächst das Grundrecht der Leser aus Art. 2 GG. Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit beinhaltet auch den Schutz vor vorsätzlicher Verletzung durch andere, also auch den Schutz davor, vorsätzlich geängstigt und in Schrecken versetzt zu werden durch Vortäuschung unwahrer extrem verstörender Nachrichten.

Die maßgebliche Schranke wird der Kunstfreiheit aber gesetzt durch die verfassungsrechtlich gewährleistete funktionierende staatliche Ordnung, welche die Effektivität des Grundrechtsschutzes überhaupt erst sicherstellt (vgl. Burghart in: Leibholz/Rinck, Grundgesetz, 79. Lieferung 2019, Art 5 GG, Rdn. 1056 m. w. N.).

Diese gefährdet der Angeklagte mit seinem veröffentlichten Text.“

Schlussbemerkung des Landgericht Mannheim

Dabei hat die Kammer nicht verkannt, dass auch Aufgabe von Literatur sein kann, auf die Gefahr von Terrorismus hinzuweisen, in Frage zu stellen, ob die staatlichen Systeme dieser Gefahr etwas entgegensetzen können, und zu hinterfragen, ob ein Zusammenhang von Herkunft und der Lösung sozialer Konflikte durch Gewalttaten besteht. Dieses berechtigte Anliegen vermag jedoch die Art dieser Darstellung nicht zu rechtfertigen.

Durch die als Tatsache bezeichnete erfundene Darstellung der Unfähigkeit und völligen Überforderung der staatlichen Organe untergräbt der Text des Angeklagten das Vertrauen in das Funktionieren des Staates. Durch die Behauptung einer Nachrichtensperre, die der Wahrheit zuwider vorgaukeln soll, dass die von ihm geschilderten schrecklichen Geschehnisse nicht stattgefunden hätten, bezichtigt er die staatlichen Organe letztlich der Lüge und untergräbt auch damit das Vertrauen in die staatliche Ordnung. Zudem schürt der Angeklagte mit seinem Text, in dem er den Zusammenhang zwischen den rein fiktiven schweren Gewalttaten und dem Islam herstellt, rassistische und religiöse Ressentiments, gefährdet den gesellschaftlichen Frieden und bereitet letztlich politischem Extremismus den Boden.

Zur verfassungsmäßigen Ordnung und zum Wertesystem des Grundgesetzes gehört auch eine funktionierende und freie Presse, wie dies in Art 5 Abs. 2 GG zum Ausdruck gekommen ist. Freie Presse ist wesentlicher Garant für das Funktionieren einer Demokratie, da ohne Information demokratische Rechte nicht auszuüben sind. Hierfür ist unerlässlich, dass die als Information bezeichneten Inhalte auch wahrheitsgemäß sind. Dieser Wahrhaftigkeit der Information kommt im gegenwärtigen medialen Zeitalter eine überragende Bedeutung zu. Dies folgt zum einen daraus, dass es für jedermann einfach ist, unüberprüfte und nur schwierig überprüfbare Informationen zu verbreiten. Daher kommt es häufig zur Verbreitung von falschen Inhalten (eben sog. „Fake news“), die nur allzu oft für bare Münze gehalten, als willkommene Argumentationshilfe für abseitige Positionen verwendet oder missbraucht werden, was den politischen Diskurs extrem erschwert. Zum anderen kann die Presse ihre wichtige Funktion für das Funktionieren der Demokratie nur dann erfüllen, wenn sie in der Bevölkerung Vertrauen genießt. Wenn Presse nicht mehr als seriös wahrgenommen wird, führt dies dazu, dass den von ihr verbreiteten Inhalten Misstrauen entgegengebracht wird. Die Presse der Lüge zu zeihen wird in rechtsextremen Kreisen häufig als „Totschlagargument“ gegen jegliche differenzierte, die eigene Meinung widerlegende Argumentation genutzt. Das zeigt das häufig zu erlebende Skandieren des Wortes „Lügenpresse“ bei rechtsextremen Veranstaltungen. Dies gefährdet die dringend erforderliche sachliche Auseinandersetzung in Politik und Gesellschaft. Dieses notwendige Vertrauen in die Wahrhaftigkeit der Presse schwindet, wenn solcherart falsche und angsterzeugende Meldungen im Rahmen eines dezidiert als Nachrichtenportal bezeichneten Blogs eingestellt werden, die sich erst im Nachhinein als unwahr erweisen, und die vollständige Information dem ungehinderten Zugriff des Nutzers entzogen wird.

Nach alledem ist das Handeln des Angeklagten durch das Grundrecht der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG nicht in der Weise gedeckt, dass die Strafbarkeit aus § 126 Abs. 2 StGB entfiele.“

Die beim Prozess vorsitzende Richterin am Landgericht Mannheim bestätigt in der Korrespondenz mit KIM, dass das gesprochene Urteil nicht rechtskräftig ist: „Ich weise darauf hin, dass dieses Urteil nach Revisionseinlegung nicht rechtskräftig ist.“

KIM hatte berichtet:

Rhein-Neckar-Blogger auch in zweiter Instanz verurteilt

(Bericht: Christian Ratz)