Ist die Luft raus? Corona-Demos verlieren an Zulauf
Noch kommen sie, die Demonstrant*innen mit „Gib Gates keine Chance“ Aufkleber und Alubommel um den Hals. Doch die Mobilisierung der Massen, wie es im Mai in einigen Städten gelungen war, funktioniert offenbar nicht mehr. Auch in Mannheim sinken die Teilnehmerzahlen bei den Demos mit Corona-Thema, die anfangs unter dem Label „Corona Rebellen“ und mittlerweile als Ableger des „Querdenken“-Netzwerks nach Stuttgarter Vorbild organisiert werden.
Zwischen 150 und 250 Teilnehmer*innen dürfte Organisator Patrick Schlegel am Pfingstsonntag auf dem Marktplatz begrüßt haben – keine einfache Schätzung, da sich diesmal besser an Abstandsregeln gehalten wurde, die Leute weiter auseinander standen und bei vielen am Rande nicht klar erkennbar war, ob sie aktiv teilnahmen und nur mal kurz stehen blieben und zuhörten.
Gegenproteste gab es nicht. Dafür fand zeitlich vor der Veranstaltung auf dem Marktplatz eine Mahnwache zum Gedenken an die Opfer des Anschlags von Hanau statt. „Hier werden genau die Verschwörungsgeschichten verbreitet, die den Attentäter von Hanau zu seinen Taten getrieben haben“ sagte ein Initiator mit Blick auf die „Querdenken“-Veranstaltung. Auch später blieben die Teilnehmer der Mahnwache am Rande und zeigten ein Plakat mit Bildern und Namen der Opfer aus Hanau und eines mit einem Spiegel und der Bildunterschrift „Mitschuld?“.
„Der erste Rechte mit Dreadlocks“
Patrick Schlegel war Hauptredner der „Querdenken“-Veranstaltung und gab sich Mühe, einen zahmen und friedlichen Rahmen zu gestalten. Die schlechte Presse nach den letzten Veranstaltungen war dafür offenbar der Grund. Er betonte, dass die Kundgebung überparteilich sei und alle Parteien sprechen dürften. Allerdings waren ausschließlich Vertreter der AfD auf dem Marktplatz anzutreffen. Schlegel sagte, er sei parteilos, „weder rechts noch links“ und fragte die Menge: „Habt ihr schon mal nen Rechten mit Dreadlocks gesehen?“ – worauf hin gleich die Selbsterkenntnis folgte: „Bin ich wohl der erste in Deutschland“.
Inhaltlich ging Schlegel ausführlich auf die unterschiedlichen Situationen ein, in denen Menschen unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu leiden haben. Es blieb bei einer Situationsbeschreibung. Die einzige konkrete politische Forderung (neben der allgemeinen Forderung „Erhalt der Grundrechte“), war die Unterstützung des AfD-Antrags, einen Corona-Untersuchungsausschuss einzurichten. Während der Rede skandierte die Menge regelmäßig „Freiheit, Freiheit“.
Unterstützung gab es am Pfingstsonntag von „DJ Michael Schele“, der sich als „Veteran“ der Corona-Demos in Stuttgart präsentierte und eine laute Tonanlage zur Verfügung stellte. Der DJ bedankte sich bei Polizei und Stadtverwaltung für die „gute Zusammenarbeit“ und insbesondere für die Bereitstellung eines Stromanschlusses für die Lautsprecheranlage. Auch inhaltlich meldete er sich zu Wort und behauptete, bei den „Medizinern und Wissenschaftlern“ könnten wohl einige nicht richtig rechnen.
Der zahme Charakter, den Schlegel anfangs vorgab, endete spätestens, als das offene Mikrofon begann. Der erste Redner legte gleich damit los, dass alle bisherigen Bundestage nicht existent gewesen seien, da Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg immer noch amerikanisches Hoheitsgebiet wäre. Merkel sei eine „Marionette“ der USA. Ein ehemaliger Ballettlehrer, der auch bei den bisherigen Veranstaltungen der „Corona-Rebellen“ die Aufmerksamkeit suchte, erzählte erneut einige Schwenks aus seinem Leben, bis er auf die Bedrohung durch „Chemtrails“ zu sprechen kam. Zwischendrin gab der DJ unter Beifall bekannt, dass „Drostens Corona-Tests“ vielleicht auch einfach nur Vitamin-C Mangel anzeigen würden.
Weder rechts noch links?
Tatsächlich war die Versammlung kein homogener, politisch rechter Auflauf, sondern bot Raum für verschiedene Meinungen, Forderungen und Personengruppen. So lief beispielsweise Musik der linken Band Freundeskreis. Jugendliche mit dunkler Hautfarbe waren unter den Teilnehmenden. Als Schlegel die Menge fragte, ob denn Rechte anwesend seien – verhaltene „Nein“ Rufe und bei einigen verlegenes auf den Boden schauen. Nicht einmal der Neonazi Detlef Walk mit Thor Steinar T-Hemd und Schwarzer-Sonne-Tattoo auf dem Arm hat „Hier“ gerufen.
Politisch rechts will offenbar kaum jemand sein. Ausnahmen bestätigen die Regel: Edgar Baumeister (AfD), der seit vielen Jahren bei entsprechenden Veranstaltungen anzutreffen ist, diskutierte lautstark mit den Teilnehmer*innen der Hanau-Mahnwache. Dabei betonte er mehrfach, dass er „Patriot“ und natürlich „rechts“ sei – immerhin einer, der dazu steht.
Auch weitere bekannte Gesichter der rechten Szene waren anzutreffen, beispielsweise Heinrich Peter Liebenow vom AfD-Kreisvorstand, Rainer Huchthausen, ehemaliger AfD-Stadtrat und laut eigener Aussage mittlerweile „Patriot bei Facebook“, Ralph Bühler, AfD Mitglied und rechter Influencer und Rainer Berberich, der kaum eine Gelegenheit auslässt, öffentlich Lügen und Unterstellungen über das Jugendzentrum Friedrich Dürr, den Stadtjugendring, die Stadtverwaltung oder den Oberbürgermeister zu verbreiten. Anwesend war auch wieder der Verschwörungstheoretiker Arif Rudolf Utler, der solche Veranstaltungen nutzt, um seine Reichsbürger-Thesen zu verbreiten.
- Edgar Baumeister diskutiert mit Teilnehmer*innen der Hanau-Mahnwache
- Heinrich Peter Liebenow (rechts)
- Rainer Huchthausen
- Rainer Berberich im Gespräch mit Rainer Huchthausen
- Ralph Bühler
- Arif Rudolf Utler
Sinkende Teilnehmerzahlen und Ausdifferenzierung der Bewegung
Die sinkenden Teilnehmerzahlen haben zwei Gründe. Einerseits fehlt es mit zunehmenden Lockerungen der staatlichen Maßnahmen an Gründen, auf die Straße zu gehen. Andererseits hat sich der Protest ausdifferenziert. Vielen Menschen war es dann doch unangenehm, gemeinsam mit Neonazis, Hooligans und Verschwörungsgläubigen zu demonstrieren, die ihre kruden Ideologien offen vor sich her tragen. Vielerorts haben sich Proteste gespalten, einerseits in offen rechte, meist von der AfD dominierte, andererseits in diffuse, heterogene Gruppen. Auf dem Alten Messplatz fand am Pfingstsonntag fast zeitgleich eine Veranstaltung mit ähnlichem Thema statt, auf der keine bekannten rechten Aktivisten anzutreffen waren.
Sinkende Teilnehmerzahlen sind überall zu beobachten. In Mannheim gab es zudem Streit wegen Beschimpfungen gegen die Polizei, die bei vergangenen Veranstaltungen u.a. als „Marionetten“ einer „Merkel-Diktatur“ bezeichnet wurde. Einige der “Corona Rebellen” fanden dies offenbar falsch und die lautesten Sprecher vergangener Veranstaltungen waren am Pfingstsonntag nicht mehr zu sehen.
Wie es weitergeht, wird vom Verlauf der Pandemie abhängen. Viele Wissenschaftler*innen sehen die Gefahr einer zweiten Welle mit Beginn der kalten Jahreszeit kommen. Wenn sich die Menschen wieder vermehrt in geschlossenen Räumen aufhalten, steigt das Ansteckungsrisiko. Ob ein zweiter Lockdown notwendig sein wird und ob die rechte Protestbewegung davon profitieren kann, darf zur Zeit nur spekuliert werden. Die rechten Aktivist*innen werden sich ohnehin neue Themen suchen. Nach den Flüchtlingen, dem Islam und dem Klimawandel war Corona nur ein weiterer Vorwand, gegen liberale Demokratie und offene Gesellschaft zu hetzen.
Für die nächsten Wochen hat Patrick Schlegel dennoch weitere Aktionen der Initiative „Querdenken“ angekündigt.
(am)
Bildergalerie
- Bei der Querdenker-Veranstaltung im Frühjahr 2020 beteiligten sich auch AfD und NPD Mitglieder
- Rainer Huchthausen
- Heinrich Peter Liebenow (rechts)
- Arif Rudolf Utler
- Ralph Bühler
- Rainer Berberich im Gespräch mit Rainer Huchthausen