Ein Blick in den braunen Sumpf der Oberschicht: Interview mit der AIHD zur Burschenschaft „Normannia“
Schlechte Presse, Streit in den eigenen Reihen und nun verlieren sogar „Alte Herren“ ihren Job. Die „Normannia“, eine ultrarechte Burschenschaft in Heidelberg, treibt zwar schon seit Jahrzehnten ihr Unwesen, doch nun sind ihre Mitglieder offenbar zu weit gegangen. Einen antisemitischen Gewaltvorfall konnten sie trotz Zurückhaltung der Sicherheitsbehörden nicht vertuschen. Der öffentliche Aufschrei war groß und immer mehr Skandale kommen ans Licht. Der Druck steigt. Zuletzt wurde dem Geschäftsführer einer MVV Tochtergesellschaft – ein “Alter Herr” der Normannen – fristlos gekündigt, nachdem dieser auf einem Foto mit Bierkrug posierte, direkt daneben ein anderer Burschenschaftler. der mit erhobener Hand den Hitlergruß zeigt.
Wir nutzen die aktuelle Aufmerksamkeit auf das Thema für ein Gespräch mit Clara Grube von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg (AIHD/iL), die die „Normannia“ seit Jahrzehnten beobachtet und als Expertin für die öffentlichkeitsscheuen Burschenschaften gilt. In unserem Gespräch geht es auch um die Fragen, warum die Sicherheitsbehörden so zögerlich über Straftaten aus den Reihen der “Normannia” berichten und warum die Burschenschaft bisher nie in einem Verfassungsschutzbericht aufgetaucht ist.
Zunächst ein kurzer Rückblick
In der Nacht auf den 29. August 2020 hatte es beim Stiftungsfest im Haus der „Normannia“ einen antisemitisch motivierten Angriff vieler anwesender Personen auf einen 25-Jährigen gegeben. Das Opfer brachte dies bei der Polizei zur Anzeige. Die AIHD/iL berichtete bereits am Morgen des 4. September 2020 über die Auflösung der Normannia-Aktivitas, also der Gruppe der noch Studierenden in der Burschenschaft. Gunnar Heydrich, Sprecher der etwa 100 „Alten Herren“ dieses völkisch-nationalistischen „Lebensbundes“, hatte die Auflösung am Tag zuvor bekanntgegeben.
Erst, als die AIHD/iL nochmals „nachlegte“ und am 7. September in einer breit rezipierten Pressemitteilung die Gründe für den weit reichenden Schritt Gunnar Heydrichs offenlegte, rührte sich die mit dem Ermittlungsverfahren beauftragte Staatsanwaltschaft Heidelberg und gab am 8. September, also elf Tage nach den Ereignissen auf dem Burschen-Haus, zusammen mit dem Polizeipräsidium Mannheim eine „Kurzbeschreibung“ des Vorfalls heraus, in der es u.a. heißt:
„Dem aktuellen Ermittlungsstand zufolge besuchte der Geschädigte am Samstagmorgen des 29. August 2020 gegen 1:00 Uhr eine Verbindungsfeier der Heidelberger Burschenschaft Normannia. Hierbei soll der Geschädigte antisemitisch beleidigt, mit Münzen beworfen und mit Gürteln auf die Beine sowie gegen den Rücken geschlagen worden sein.“
KIM: Warum hat sich die Staatsanwaltschaft Heidelberg so viel Zeit gelassen mit ihrer „Berichterstattung“?
AIHD: Das können wir nur vermuten. Vieles wird in dieser Hinsicht spekulativ bleiben müssen. Aber das, was sie dann zwischendurch als prioritäres Motiv für ihre zögerliche Haltung angegeben hat, ist natürlich mehr als dürftig: Die „Verdunklungsgefahr“ sei zu groß gewesen! Das ist deshalb absurd, weil die stramm rechten und von Juristen umgebenen Burschis sowieso von Anfang an damit rechnen konnten, dass ihre Villa Stückgarten direkt unterhalb des Heidelberger Schlosses ab dem 29. August von einer Hausdurchsuchung betroffen sein könnte, die ja dann auch staatsanwaltlichen Angaben zufolge am 2. September „vollstreckt“ wurde – ganze FÜNF Tage nach Erstattung der Strafanzeige durch das Opfer des Angriffs. Dabei soll dann von der Polizei aber trotzdem noch „umfassendes Beweismaterial“ gefunden und sichergestellt worden sein.
Was wir sicher sagen können, ist: Ohne unsere Pressemitteilung hätte die Staatsanwaltschaft Heidelberg gar nicht oder zumindest nicht so schnell „berichtet“. Das ist einfache Analogiebildung: Am 1. Mai 2019 hat es in der Heidelberger Altstadt eine verbale und körperliche Auseinandersetzung zwischen Normannen und Mitgliedern der „nichtschlagenden, nichtfarbentragenden Studentenverbindung Rupertia“ gegeben, die von sich behauptet, dass „gegenseitiger Respekt und Toleranz gegenüber allen Nationalitäten und Konfessionen … die Grundlage [ihres] lebenslangen akademischen Freundschaftsbundes“ bilden. Schließlich griffen Normannen, die vorher in der Altstadt zur „Charakterisierung“ der Ruperten bereits mit judenfeindlichen, antisemitischen Schimpfwörtern um sich geschmissen hatten, das Haus der Rupertia an und verletzten dabei einen der dort anwesenden Verbindungsstudenten schwer. Wieder gab es – vonseiten der Rupertia – u.a. eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung; wieder berichtete die ermittlungsführend damit beauftragte Staatsanwaltschaft Heidelberg nicht. Erst jetzt, nachdem die Rhein-Neckar-Zeitung nochmals energisch nachgehakt hatte, kamen Infos über laufende oder bereits abgeschlossene Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der Normannia ans Tageslicht. Das ist umso bedauerlicher, als dass es sich auch bei der Sache am 1. Mai 2019 um eine zumindest antisemitisch „orchestrierte“ Körperverletzung handelte; ein Normanne soll laut RNZ hierfür übrigens am 22. Juni 2020 vom Amtsgericht Heidelberg verurteilt worden sein; und gegen einen anderen Normannen laufen deshalb noch Ermittlungen wegen „gefährlicher Körperverletzung“ sowie „Volksverhetzung“ (für das Zeigen des Hitlergrußes). Und Staatsanwaltschaften kommt hier eigentlich ganz allgemein die Aufgabe zu, die Öffentlichkeit über ein solches Ausmaß an organisierter, männerbündischer, rechter Gewalt in Kenntnis zu setzen – in jedem Falle aber den Antisemitismusbeauftragten des Bundeslandes Baden-Württemberg.
KIM: Kann das staatliche oder ermittlungsbehördliche „Deckeln“ von „heiklen“ Informationen über die Normannen oder andere extrem rechte Burschenschaften oder Studentenverbindungen nicht auch daran liegen, dass die selbsternannte „Elite der Nation“, als die sich diese misogynen „Lebensbünde“ sehen, so etwas verhindert, weil „Alte Herren“ genau an jenen Stellen sitzen, an denen über solche brisanten Öffentlichmachungen entschieden wird?
AIHD: Ja, natürlich! Aber genau das können wir nicht hinreichend belegen oder gar gerichtsfest beweisen; schon gar nicht „nachträglich“. Aber mensch muss sich nur einmal anschauen, worüber Staatsanwaltschaften oder Polizeidirektionen sonst so „berichten“ – dann wird deutlich, dass es nicht am komplexen Abwägen des „öffentlichen Interesses“ liegen kann: Sie wollen oder sollen nicht über die Normannia berichten. Im Zuge des schließlich auch von der bürgerlichen Presse vorangetriebenen Skandalisierens des jetzigen Vorfalls auf dem Burschenhaus der faschistischen Kaderschmiede ist zu unserem Erstaunen bekannt geworden, dass die Normannia kein Beobachtungsobjekt des baden-württembergischen Verfassungsschutzes ist, und noch nie war. Es gibt ja nichts, was wir weniger vehement fordern als die Auflösung des extremismusdoktrinären Inlandsgeheimdienstes; aber das war selbst für uns eine harte Nummer: „Was, die Normannia wird nicht vom VS beobachtet?“ Wir als Personen, die teilweise seit fast 30 Jahren mit den rechtsradikalen bis offen neonazistischen Machenschaften der Normannia zu tun haben und diese immer wieder an die Öffentlichkeit hieven, stellten uns im Spaß beispielsweise die Frage, wie das beim VS dann „technisch“ bewerkstelligt werde, wenn „Identitäre“, die ja vom Inlandsgeheimdienst beobachtet werden, auf dem Normannenhaus eine Party schmeißen. Dann müssen die VSler*innen, die an den „Identitären“ dran hängen – denn das gehört zu ihren Aufgaben -, umdrehen?! Die IB trifft sich ja an einem Ort, der „clean“ ist!? Wie gesagt, mensch muss dem VS auch nicht alles glauben, was er von sich gibt. Lügen ist sein Geschäft. Aber, wenn der BaWü-Innenminister Strobl, selbst ein Landsmannschaftler, in ein Mikro labert, die Normannia würde nicht „beobachtet“ werden, dann ist das so. Also, mensch sieht hier sehr schön, wie Politik in welchem Sinne betrieben wird. Am Ende ist die Antifa noch „schuld“ daran, dass hier eventuell erfolgreiche Existenzen zerstört werden; denn eine Normannia-Mitgliedschaft wird sich in Zukunft als Angabe in Bewerbungsschreiben nicht mehr ganz so gut machen wie früher …
KIM: Wie haben die Normannen selbst auf das plötzliche, in solchem Ausmaß nie dagewesene Interesse an ihrer Politik reagiert? Was sagt die „Deutsche Burschenschaft“, bei deren Radikalisierung in Richtung „faschistische Aufbauorganisation“ sie früher eine tragende Rolle gespielt hatten, dazu?
AIHD: Na, ja! Zunächst haben die „Alten Herren“ die so genannte Aktivitas aufgelöst. Diese besteht aus rund zehn Studierenden, die teilweise im Haus der Normannia wohnen. Eine allzu offensichtliche Schutzmaßnahme, um die „Alten Herren“ aus dem Visier der Staatsanwaltschaft zu bringen. Inwieweit die Aktivitas wirklich aufgelöst wurde, sei mal dahingestellt. So richtig dran glauben wollen wir nicht, sind doch gerade auch einige „Alte Herren“ immer wieder durch Aktivitäten im Umfeld der extremen Rechten aufgefallen. Der bereits vorher erwähnte Gunnar Heydrich versuchte dann, in einem Interview mit dem Mannheimer Morgen sowohl die Geschehnisse vom August als auch die Kontakte und Überschneidungen der Normannia zur „Identitären Bewegung“ zu relativieren oder gar zu leugnen. In dem Interview lügt er wie gedruckt. So hätte am fraglichen Abend keine Veranstaltung der Normannia stattgefunden; es hätte sich dabei lediglich um bierselige Besuche anderer Verbindungen im Haus gehandelt. Dafür waren allerdings sehr viele Vertreter*innen anderer Verbindungen – auch aus anderen Bundesländern – anwesend. Wenn es keine Normannia-Veranstaltung war, warum hat sich dann der Altherrenvorsitzende Heydrich selbst im Haus aufgehalten?
Angeblich soll die Mitgliedschaft der Normannia im Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) aufgrund des Vorfalls ruhen. Von der DB ist dazu aktuell jedoch nichts zu vernehmen. Die Normannia wird auf deren Website nach wie vor als Mitglied geführt. Das verwundert nicht, steht doch dieser Verband der reaktionären bis faschistischen Burschenschaften hinter der Gesinnung seiner Mitgliedsbünde. Zahlreiche Funktionäre der DB sind in der Vergangenheit durch ihre Kontakte in die Neonazi-Szene sowie durch rassistische oder antisemitische Äußerungen aufgefallen. Die DB ist über ihre Mitgliedsbünde fest verwurzelt und verwoben mit der AfD, der „Neuen Rechten“, der offen neonazistischen Szene sowie der „Identitären Bewegung“. Seilschaften gibt es auch in Richtung CDU/CSU, FDP und zur österreichischen FPÖ.
KIM: Kannst du nochmals zusammenfassen, wer am Abend des 28. August 2020 alles auf dem Haus der Normannia rumgerannt ist?
AIHD: Der Staatsanwaltschaft Heidelberg sollen aktuell 27 Personen bekannt sein, die am fraglichen Abend im Haus zugegen waren. Wir gehen jedoch davon aus, dass es mehr waren. Sicher werden einige anwesende „Alte Herren“ gedeckt, um ihnen Nachteile zu ersparen. Aus verschiedenen Quellen wissen wir, dass Mitglieder der Verbindungen „Kölner Burschenschaft Germania“, „Burschenschaft Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken“, „Alte Leipziger Landsmannschaft Afrania zu Heidelberg“ und „VDSt Asciburgia Mainz“ an dem Stiftungsfest teilgenommen haben.
Die aktiven Normannen André R. und Luis S. sollen maßgeblich an dem Angriff beteiligt gewesen sein. Das schreibt die Autonome Antifa Freiburg, deren Veröffentlichungen sich immer als sehr zuverlässig erwiesen haben. S. gilt in Heidelberg als „Ortsgruppenleiter“ – ein Begriff aus dem NS-Regime – der „Identitären Bewegung“. Zudem soll Patrick Bass, ebenfalls Aktivist der IB und selbst aktiver Normanne, am fraglichen Abend in seinen 28. Geburtstag hineingefeiert haben. Der Jurastudent Bass machte sich in der IB-Szene einen Namen als Rapper „Komplott“.
An dem antisemitischen Angriff sollen die bereits erwähnten Normannen R. und S. sowie mindestens drei Mitglieder der Saarbrücker Burschenschaft Ghibellinia beteiligt gewesen sein, schreibt die Rhein-Neckar-Zeitung. Ermittelt wird aber gegen insgesamt acht Personen.
KIM: Wie geht es nun weiter? Was wird aus den Ermittlungen? Was passiert mit der Villa? Wohnen da noch Studenten? Wird es Prozesse geben?
AIHD: Nach wie vor sind in der Villa Stückgarten Aktivitäten festzustellen. Es brennt Licht, Leute gehen ein und aus. Für uns sieht das nicht so aus, als hätte die Aktivitas ihren „Betrieb“ eingestellt. Was von der Staatsanwaltschaft zu erwarten ist und ob es einen Prozess geben wird, wissen wir nicht. Verlassen wollen wir uns auf sie jedenfalls nicht. Die AIHD/iL bleibt auf alle Fälle weiter am Thema dran. Wenn es neue Erkenntnisse oder Informationen geben wird, werden wir damit sicher nicht hinterm Berg halten. Gut ist auch, dass mehrere engagierte Journalist*innen sowie antifaschistische Recherche-Strukturen Interesse an den Aktivitäten der Normannia (wieder)gefunden haben. Aktuell gehen wir davon aus, dass noch einiges an die Oberfläche gespült wird.
(Interview: AM / Bilder: Indymedia und AIHD)