Stadt und Polizei setzen Verbot der Querdenker-Demo durch [mit Bilderstrecke]
(Aktualisiert) Mannheim. Nachdem die Querdenker-Szene monatelang eine rege Demonstrationstätigkeit entfalten konnte, bekommt sie seit Ende Oktober Gegenwind von den Behörden. Nach mehreren Absagen, Diskussionen und interner Spaltung kündigte die lokale Gruppierung Querdenken 621 für Samstag, 5. Dezember wieder eine Veranstaltung an.
Nachdem die Stadt zunächst die Versammlung – eine Kundgebung am Schloss mit anschließendem Demonstrationszug durch die Innenstadt – auf eine stationäre Kundgebung beschränkt hatte, folgte nun ein komplettes Verbot (siehe Pressemitteilung der Stadt Mannheim). Provokationen in Internet, Aufrufe zu verbotenen Handlungen und mangelnde Kooperationsbereitschaft werfen Stadt und Polizei dem Versammlungsleiter Roger Washingtion, einem der zentralen Figuren bei Querdenken 621, vor. Die Verbotsbegründung und das Protokoll vom Kooperationsgespräch mit der Versammlungsbehörde veröffentlichte Querdenken 621 über ihren Telegram Kanal.
Hooligans, Reichsbürger und „Normale“
Darin wird deutlich, dass es den Querdenkern vor allem um Provokation geht. Die Verweigerungshaltung gegenüber Schutzmasken (Mund-Nasen-Bedeckungen, kurz MNB) scheint ein zentrales Thema zu sein. Im Kooperationsgespräch waren die MNB offenbar ein immer wieder diskutiertes Thema. Auch Patrick Schlegel, den die Polizei als ehemaligen „Vorsitzenden“ von Querdenken 621 bezeichnet, sei ohne Maske in einem Bereich mit Maskenpflicht kontrolliert worden und uneinsichtig gewesen.
Ferner beschreibt die Polizei die Szene als Mischung aus „Hooligans, Reichsbürgern, Personen, die dem rechten Spektrum zuzuordnen sind, normalen Bürgern, Wut-Bürgern, Protestbürgern, Impfgegnern, Corona Leugner“.
Freitagabend: Spontanversammlung scheitert an Polizei und geringer Beteiligung
Zumindest in der Telegram-Gruppe von Querdenken 621 überschlagen sich die Ereignisse. Seit Tagen wird wild diskutiert, protestiert und geplant, was man am Wochenende machen könne. Auf der Straße zeigen die 700 Mitglieder der Telegram-Gruppe jedoch weit weniger Präsenz. Einen Aufruf „überall in der Stadt“ Versammlungen anzumelden, seien bislang mindestens drei Personen nachgekommen – Stand Freitag – schreibt die Polizei in ihrem Erkenntnisbericht.
Auch eine Eilversammlung gegen Demoverbot und Ausgangssperre kam nicht zustande. Einer Mobilisierung zum Rathaus folgten am Freitagabend nur etwa 10-20 Personen. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort und erteilte Platzverweise – unsere Bilder zeigen die Lage rund ums Rathaus in E5. Empörung und Resignation wurde anschließend im Telegram Kanal artikuliert.
Bilderstrecke: Polizei unterbindet Spontanversammlung der Querdenker am Freitagabend
Samstagnachmittag: Polizei setzt Demonstrationsverbot um
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe hatte am späten Freitagabend in seiner Entscheidung das Demonstrationsverbot der Stadt Mannheim für den Samstag bestätigt. Der Anmelder hatte versucht, mit einem Eilantrag dagegen vorzugehen. Eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof wurde am Samstagmorgen abgewiesen. Der Veranstalter Querdenken 621 kündigte über seinen Telegram Kanal an, das Verbot zu akzeptieren. “Bitte haltet euch an das Verbot! Wir hoffen, dass wir irgendwann mal wieder eine Kundgebung von oben genehmigt bekommen.”
Die Polizei teilte mit, das Demonstrationsverbot durch Präsenz in der Innenstadt durchzusetzen. Die Bereitschaftspolizei Mannheim wurde von Einheiten aus Göppingen unterstützt und sei laut einem Polizeisprecher mit Beamt*innen im niedrigen dreistelligen Bereich im Einsatz (Quelle: Mannheimer Morgen). Wegen der neuerlichen nächtlichen Ausgangssperre ab Freitagabend ist die Polizei ohnehin zahlreich in der Stadt vertreten.
Am Samstag setzte die Polizei mit massiven Kontrollen in der Innenstadt das Demonstrationsverbot durch. In den Bereichen Schloss, Paradeplatz, Neckartor, Alter Messplatz, Wasserturm und an weiteren Stellen in der Stadt führte die Polizei Personenkontrollen durch und erteilte Platzverweise. Am Friedrichsplatz standen zwei Wasserwerfer und ein Räumpanzer bereit.
Zahlreiche Querdenker berichteten in ihrer Telegram Gruppe von Personalienfeststellungen und Platzverweisen. Ersatzveranstaltungen kamen zumindest in Mannheim nicht zustande. Am Nachmittag wurde dazu aufgerufen nach Bruchsal zu fahren. Dort habe Bodo Schiffmann, eine Galionsfigur der Querdenken-Bewegung, eine Kundgebung angemeldet.
Die Polizei teilte am Abend mit, 70 Personen kontrolliert zu haben, von denen 10 Personen wegen Verstößen gegen die Corona-Verordnung und 7 Personen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz Anzeigen bekamen. Außerdem seien 50 Platzverweise für weite Teile der Mannheimer Innenstadt ausgesprochen worden.
Bilderstrecke: Keine Querdenker-Demo am Samstag in Mannheim
Wer steckt hinter den Querdenkern?
Die Mannheimer Querdenker-Gruppe besteht aus bislang politisch unauffälligen Personen. Eine enge Anbindung an die organisierte rechte Szene kann nicht festgestellt werden, dennoch werden die Versammlungen von Neonazis, AfD-Mitgliedern und Hooligans besucht. Eine glaubhafte Distanzierung gibt es nicht. Die konstituierende Programmatik sind die massenhaft über das Internet verbreiteten Verschwörungsmythen, von Zwangsimpfungen über den Aufbau einer Diktatur bis zur Tötung von Kindern durch Masken.
Zur näheren Beschäftigung mit der Querdenker-Szene empfehlen wir eine Online-Veranstaltung, die wir Anfang der Woche in Kooperation mit dem Bündnis Mannheim gegen Rechts auf unserem Youtube-Kanal veröffentlichten. Der Journalist und Rechercheur Lucius Teidelbaum analysierte die Szene in Baden-Württemberg, zwei Vertreter*innen des Offenen Antifaschistischen Treffens werfen einen Blick auf die lokalen Proteste in Mannheim.
Mitschnitt einer Online-Veranstaltung zum Thema Querdenker vom Bündnis Mannheim gegen Rechts
Kommentar: Was leider fehlt…
… ist eine vernünftige Kritik an der Ausgangsbeschränkung. Die Querdenker-Szene hat durch ihre bundesweite Aktivität eine Deutungshoheit über alles, was als Corona-Protest identifiziert wird, erlangt. Dabei gibt es doch eigentlich viel zu kritisieren, was die Regierung falsch macht. Doch leider geht sachliche Kritik bei aller berechtigen Aufregung über Verschwörungserzähler, Nazi-Randalierer und anderer Wirrköpfe im Getöse unter.
Immerhin, die Linksjugend Mannheim frägt provokant: Warum schafft es die Regierung nicht, weiterführende Schulen auf Wechselunterricht oder digitale Plattformen umzustellen oder Luftfilter für schlecht belüftete Klassenräume anzuschaffen? Stattdessen gibt es als populistische Maßnahme eine nächtliche Ausgangssperre, die viel Aufmerksamkeit aber wenig Wirkung entfalten wird. Private Besuche verlagern sich in den Nachmittag, Kontakte werden dadurch kaum reduziert. An die wirklich relevanten Bereiche, wie Schule, Einzelhandel, Gewerbe, Produktion und ÖPNV trauen sich die Herrschenden nicht ran. Stattdessen gibt es zwar einen massiven Eingriff in die Grundrechte, das aber bei geringer zu erwartender Wirkung.
Der Kollateralschaden ist der weitere Ausbau des Polizeiapparats, dem trotz fehlen jeglicher fachlicher Kompetenz eine Schlüsselrolle in der Pandemiebekämpfung zugesprochen wird. Nun dürfen einfache Streifenpolizist*innen sogar selbst entscheiden, ob man einen legitimen Grund hat, nach 21 Uhr noch auf der Straße zu sein.
Trotz allem ist es immer noch keine Diktatur, wie uns die Querdenker glauben machen wollen. Es ist der ganz normale Wahnsinn eines Polizeistaats, dem eine parlamentarische Demokratie zugrunde liegt. Demonstrationsverbote, Platzverweise, Polizeigewalt… all das ist nicht neu sondern jahrelang erprobt. Bisher haben es meist linke Aktivist*innen gespürt, aus der Umweltbewegung, Globalisierungskritiker*innen (man denke an den G20-Gipfel) bis zur Kriminalisierung von Antifaschist*innen. Nun trifft es die Querdenker-Bewegung – keine Diktatur, nur der ganz normale Wahnsinn. (cki)