Premiere einer Autorenlesung: „Kein Dach über dem Leben“

Die Stadtbibliothek Mannheim im Dalberghaus hatte am 23.01.18 zur Premierenlesung von Richard Brox eingeladen. Die Veranstaltung war mit etwa 100 Personen ausgebucht. Die Lebensgeschichte eines Obdachlosen, in Mannheim-Schönau aufgewachsen, fesselte die Besucher*Innen. 1987 wurde der Autor obdachlos und lebte rd. 30 Jahre als „Berber“ auf deutschen Straßen.

 

Über den Autor: Richard Brox

Richard Brox, Jahrgang 1964, wurde unter sozial schwierigsten Umständen in Mannheim groß. Seine Eltern, durch den 2. Weltkrieg, schwer traumatisiert konnten sich um ihn und seine sechs Geschwister nur begrenzt kümmern. Der Vater verstarb 1977  mit nur 57 Jahren. Dieser war als 17-jähriger zwangsweise zum Militärdienst unter dem NSDAP-Regime eingezogen worden. Desertierte mehrfach, wurde daraufhin inhaftiert und wurde zum Ende des 2. Weltkriegs aus einem Konzentrationslager befreit. Seine Mutter, jüdischen Glaubens, kämpfte in Polen als Widerstandskämpferin gegen die Nazi-Diktatur, und kam ebenfalls in KZ-Haft. Richard Brox kam im Alter von 5 Jahren zum ersten Mal in ein Heim. In diversen Kinderheimen wurde er Opfer sexueller Gewalt durch dort beschäftigte Erzieher. Heute lebt er in Köln und engagiert sich seit Jahren in der Beratung für Obdachlose.

Kommentar

Obdachlos binnen 15 Minuten und mit nur 20 DM in der Tasche

Richard Brox und sein Co-Autor Albrecht Kieser lasen aus der Biographie „Kein Dach über dem Leben“. Erstmals kam es am 23.01. zu einer Lesung vor Publikum.

Bedrückend und eindrucksvoll zugleich schilderten die Autoren, das Schicksal welches Brox 1987 erfuhr, als er quasi urplötzlich von einem Mannheimer Gerichtsvollzieher, der Polizei und Mitarbeitern eines Speditionsunternehmens aus der elterlichen 2,5 Zimmerwohnung auf der Schönau verwiesen wurde. Auf der Straße stand mit zwei Plastiktüten in den Händen und 20 DM in der Tasche. Und vielleicht unüberlegt zu sich sagte: “Raus aus diesem hässlichen grauen Block”.

Die Zwangsräumung schien ihm schon bekannt gewesen zu sein, aber der damals 21-jährige Richard Brox, kokain- und alkohol-afin, hatte diesen Termin wohl vergessen. Umso größer war sein Schock, als er von jetzt auf nachher obdachlos wurde und seine nächste Unterkunft in einer städtischen Einrichtung suchen musste.

„Ich werde Berber“ – „Ich habe mir nie wieder einen Hund angeschafft“

Manifestiert durch seine damals jüngsten Erlebnisse in Mannheim entschloss sich Richard Brox „Berber“ zu werden. Mit dem Wenigen was er noch hatte zog er los von Mannheim in Richtung Ludwigshafen, Lampertheim und mit dem ersten Ziel Worms.

Von dort aus zog es ihn weiter in den Osten der Bundesrepublik. Als nächstes Eisenach via Kassel. Irgendwann ist er auch dort angekommen. Und dazwischen hatte er sich eine Hündin aus einem Tierheim zugelegt. Dieses Tier wurde für ihn zur treuen Begleiterin und Beschützerin. Übergriffe unter Obdachlosen sind keine Seltenheit. Vor allem anderen verschaffte die Hündin Richard Brox eine Art menschlich-tierische Geborgenheit, die wir Menschen mit einem festen Dach über dem Kopf und mit Vierbeinern gut nachvollziehen können. Eines Morgens, im Zweimannzelt, erwachte nur Brox. Seine Hündin war friedlich entschlafen und wurde von ihm naturnah beerdigt.

Viele Fragen und viele Antworten – Die Stadtspitze Mannheim und andere schweigen bis heute

Enorm stark war der Diskussionsbedarf unter den Besucher*Innen und den Autoren. Dementsprechend wurde der Leseabend auch flexibel angepasst. Anstatt der anfänglich geplanten 3 mal 15 minütigen Lesungen, gab es nur 2 Lesungen aus der Biographie, um dem Redebedarf gerecht zu werden.

Zahlreiche Fragen wurden aus dem Publikum gestellt. Sehr viele hatten einen persönlichen Tenor, wie es Brox heute gehen würde, wie er dies oder jenes erlebt habe.

Konkreter wurde es bei der Diskussion um die Situation für Obdachlose (in Mannheim und bundesweit) heute (Auszüge der Debatte):

  • Wie viele Obdachlose gibt es heute? „60-80.000 Obdachlose. Dazu kommen noch 400-800.000 Wohnsitzlose, als Resultat der Hartz IV-Politik und der enorm gestiegenen Mietpreise.“
  • Wie viele Migranten befinden sich unter den Obdachlosen? „Dieser Anteil erhöht sich, aus Gründen…“
  • Wurden Sie wegen der sexuellen Übergriffe entschädigt? „Nur in einem Fall ist dies geschehen; alle weiteren Kinderheime hüllen sich in Schweigen“
  • Hat die Stadt Mannheim Sie für die Zwangsräumung entschädigt (bei der auch Musikinstrumente  der U.S.-Army in Mannheim beschlagnahmt wurden, beide Elternteile waren musikalisch). „Die Stadtspitze in Mannheim hat bis dato keine Anfrage zufriedenstellend beantwortet“
  • Auf die Frage einer in Mannheim seit zwei Jahren obdachlosen Frau, die aus Mannheim weg will. „Ich empfehle ihnen in Heidelberg…“
  • Wie es um Mannheim bestellt ist in der Obdachlosenhilfe? „Im Vergleich Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg, liegt MA auf dem zweiten Platz. Ludwigshafen ist ein klein wenig schlechter. Deutlich besser ist Heidelberg.“

 

Der Autor hat dem Berichterstatter dieser Redaktion bestätigt, dass er gerne für einen weiteren Leseabend in 2018 nach Mannheim zurückkehren würde.

(Bericht und Bilder Christian Ratz)

 

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