Verbreitung von Fake-News ist strafbar: Blogger aus dem Rhein-Neckar-Raum wurde zu einer hohen Geldstrafe verurteilt.
Das Amtsgericht und die Staatsanwaltschaft Mannheim sahen es als erwiesen an, dass der Betreiber eines Online-Angebots für „Nachrichten und Informationen“ den öffentlichen Frieden erheblich gestört hat. Der Verteidiger des Angeklagten plädierte auf Freispruch und lies kein gutes Haar an seinem Mandanten. Der angeklagte Blogger wurde 2018 vom deutschen Presserat wegen der Verbreitung von Falschnachrichten gerügt: „Dieser habe der Arbeit und dem Image deutscher Medien erheblichen Schaden zugefügt“.
(Az: 20 Cs 806 Js 10181/18)
Eröffnung der Hauptverhandlung am 17.12.18 – „Abspann“ des ersten Verhandlungstages:
- Das Gericht stellt die Personalien des Angeklagten fest
- Verlesung der Anklageschrift durch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft: Dem Beschuldigten wird vorgeworfen mit der Publizierung eines fiktiven „Gonzo“-Artikel unter einem Pseudonym den öffentlichen Frieden gestört zu haben (Stichworte: Terroranschlag in Mannheim, Tote und Verletzte, Nachrichtensperre, Kretschmann, OB Kurz, Polizeipräsident Köber, Paris, Berlin, Facebook, Twitter, Blog-Homepage mit Bezahlschranke, Polizei Mannheim, Artikel wurde 20.000 mal in Summe gelesen und in sozialen Netzwerken weiterverbreitet, Öffentlichkeit verunsichert und besorgt (Anrufe bei Polizei und Feuerwehr), § 126 StGB, der Autor der Falschnachrichten hatte 2018 einen Strafbefehl über € 9000,- abgelehnt.
- Die vorsitzende Richterin fragt den Blogger, ob er zur Sache aussagen möchte. Sein Verteidiger, RA Endler verneinte. Der Angeklagte widersprach seinem Verteidiger und sagte aus, dass die Einlassungen der Staatsanwaltschaft zutreffend sind.
- Eröffnung der Beweisaufnahme: Gericht fragt den Angeklagten, welches Motiv er für die Veröffentlichung des Artikels hatte. Die Aussage wurde verweigert.
- Gericht verliest den kompletten „Fake“-Artikel und weist auf die gegebenen Informationen, vor und nach Bezahlschranke, hin. Dieser Artikel wurde auf der Homepage des Bloggers, bei Facebook und Twitter publiziert. Ein Foto, welches Blut auf ggf. Textilien zeigt, wurde in der Berichterstattung verwendet. Der Angeklagte äußerte sich ungefragt: „Das wäre Malerkrepp“.
- Zeugenvernehmung (5 geladen, 2 sind vor Gericht erschienen): Der PHK G. (Staatsschutz Baden-Württemberg in Mannheim) gibt zu Protokoll, dass er 1 Tag nach der Veröffentlichung als Sachbearbeiter mit dem Fall betraut wurde. (Stichworte: Artikel löste Panik in Teilen der Bevölkerung aus, 50-60 Anrufe bei Polizei und Feuerwehr, Einholung von Infos bei OB Kurz und Polizeipräsident Köber. Anfrage beim Blog-Betreiber blieb unbeantwortet. Kurz und Köber haben dem Blogger im Vorfeld von der Veröffentlichung abgeraten („passt nicht ins Stimmungsbild“; 2 Privatpersonen haben Online-Strafanzeigen gegen den Blogger gestellt; Staatsschutz ermittelt in einem weiteren Fall gegen den Blogger; hier geht es um eine Berichterstattung bei einer anderen Online-Meldung. Als zweiter Zeuge wird der PM E. (Polizeipräsidium Mannheim) vernommen. Dieser war im Nachtdienst (telefonische 24-Stunden-Rufbereitschaft), als der Artikel online ging und wurde von dem Angeklagten angerufen und informiert, dass im Online-Blog ein fiktiver Text publiziert würde. Der Angeklagte habe gesagt, dass es sich um eine erfundene Geschichte handeln würde. E. schaute ins Internet und stellte fest, dass der Artikel bereits online ist. Der Zeuge sagte weiter, dass er daraufhin die Stabsstelle der Polizei Mannheim, das LKA (Landeskriminalamt) und den Staatsschutz in Baden-Württemberg informiert habe. Dann habe er, aus dem Gefühl der eigenen Verantwortung heraus, bei Twitter im Namen der Polizei Mannheim eine Nachricht gepostet, die darauf hinwies, dass der Blog-Beitrag „Fake“ ist. Gegen 5:30 Uhr am 25.3.18 hat sein Dienst geendet.
- Die vorsitzende Richterin beginnt mit der Verlesung von rund zwei Dutzend Kommentaren in sozialen Netzwerken, die den Sachverhalt betreffen. Das Gericht unterbreitet das Angebot die Verhandlung zu unterbrechen, damit Anwalt und Mandant sich den folgenden Vortrag in Ruhe ansehen können und Zeit zur Beratung haben. Das Angebot wird nicht wahrgenommen. Der Angeklagte unterbricht die Richterin und fordert, dass zumindest alle 400 Kommentare bei Facebook verlesen werden. RA Endler legt nach „Es sollen auch entlastende Kommis verlesen werden“ und „es wird ein unvoreingenommenes Verfahren erwartet“. Gericht sagt ein faires Verfahren zu. Es werden auch Reaktionen des Bloggers bspw. bei Facebook verlesen. Dort hatte sich der Blogger seiner Leserschaft gegenüber abschätzig geäußert und mit der Löschung unliebsamer Kommentare gedroht.
- Gericht will zwei weitere Belege aus Online-Netzwerken verlesen, die sich bis dato nicht in der Gerichtsakte befinden und stellt den Antrag, die Beweisstücke während der Beweisaufnahme der Akte hinzu zu fügen. RA Endler lehnt dies ab und beantragt eine 1-stündige Prozessunterbrechung zur Formulierung eines Befangenheitsantrags gegen die Richterin. Diesem Antrag wird stattgegeben.
- RA Endler verliest einen 3,5 DIN A4-seitigen Befangenheitsantrag. Im Kern des Antrags der Verteidigung stehen zwei Komplexe: a) die Richterin habe zum Beginn der Beweisaufnahme das Wort „besorgt“ benutzt (N.B:: Zitat aus der Anklageschrift). Damit habe sie sich als befangen gezeigt. b) Das Verlesen ausgewählter Kommentare aus sozialen Netzwerken wirft aus Sicht der Verteidigung die Frage auf, inwieweit das Gericht Aufklärung bzw. eigene Ermittlungen betreibt. Endler unterstellt der Richterin mangelnde Unvoreingenommenheit. Und fordert von ihr eine dienstliche Stellungnahme. Richterin lehnt eine dienstliche Stellungnahme ab. Der Antrag wird gerichtsintern geprüft und einer Entscheidung zugeführt.
- Das Gericht lehnt den Antrag ab und begründet dies u.a. damit, dass die Verteidigung das Angebot zur Einsicht in die Beweismittel nicht wahrgenommen hat.
- RA Endler moniert nun, dass ihm seitens Amtsgericht nicht sämtliche Beweismittel im Vorfeld der Hauptverhandlung zugestellt worden seien. Er beantragt die Hauptverhandlung zu vertagen und bittet das Gericht um vollständige Übermittlung der Gerichtsakte. Diesem Antrag wurde stattgegeben.
Am 07.01.19 wurde die Verhandlung fortgeführt.
Im Rahmen der Beweisaufnahme wurden zwei weitere Zeugen durch die vorsitzende Richterin angehört.
Der Mannheimer Polizeipräsident Köber sagte im Zeugenstand aus, dass er kurz vor Weihnachten 2017 von dem Blogger telefonisch und schriftlich angefragt und um Meinung zu einem geplanten „Gonzo“-Artikel gebeten wurde. Der Artikel in einer Entwurfsversion beschäftigte sich mit einer möglichen Terrorgefahr für Mannheim. Der Zeuge hat dem Blogger mitgeteilt, dass er diesem von einer Veröffentlichung dringend abrate. „Eine Verunsicherung der Bevölkerung, die Polarisierung auf bestimmte Gesellschaftsgruppen, würden nicht ins Stimmungsbild passen“. Nachdem der Artikel danach nicht publiziert wurde, ging der Zeuge davon aus, dass die Sache erledigt sei. Nachdem der Fake-Bericht Ende März 2018 online erschienen war, ist der Zeuge durch Mitarbeiter über den Sachstand informiert worden.
Als weiterer Zeuge vernommen wurde ein in Mannheim lebender Akademiker, der schriftlich Strafanzeige gegen den Autor des Gonzo-Artikels gestellt hatte. Kenntnis von dem Onlinebericht habe er über soziale Medien erhalten, als er in den frühen Morgenstunden nach dem Besuch einer Veranstaltung in Mannheim nach Hause gekommen sei. Zunächst war er „zu Tode erschrocken“. Nach dem Abschluss eines Abos konnte er die Bezahlschranke (N.B. des Online-Blog) überwinden. Beim zweiten Lesen des Artikels wurde dem Zeugen selbst klar, dass es sich um falsche Nachrichten handeln muss. Fehler im Text, für ihn als Mannheimer erkennbar, und der Umstand, dass er auf seiner Heimfahrt keinerlei außergewöhnlichen Beobachtungen im Stadtgebiet machen konnte, führten ihn zu diesem persönlichen Fazit. RA Endler versuchte den Zeugen durch spitzfindige Fragen zu verunsichern. Dieser blieb jedoch standhaft bei seiner Strafanzeige und seinen vor Gericht gemachten Aussagen.
Die Richterin verlies nun umfangreich Kommentare des Bloggers auf Facebook zu dessen Bericht, sowie unter dem Bericht auf der Internetseite des Nachrichten-Blogs. Ergänzend wurde ein Interview verlesen, welches ein Mediendienst mit dem Blogger geführt hatte, sowie ein Bericht des Mannheimer Morgen vom Juli 2018. RA Endler beantragte daraufhin, dass das Gericht auch die E-Mail-Korrespondenz der Polizei Mannheim und sämtliche Kommentare seines Mandanten auf Facebook zu seinem „Fake-Bericht“ verlesen solle. Das Gericht lehnte beide Anträge ab.
Die Plädoyers
Für die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hatte die Hauptverhandlung voll umfänglich bewiesen, dass der Anklagevorwurf erfüllt ist. Der Angeklagte habe mit der Art und Weise seiner Berichterstattung den Straftatbestand gemäß §126 StGB erfüllt. Das vom Blogger unterhaltene Online-Angebot für „Nachrichten und Informationen“ verweist nicht darauf, dass dort auch „Fake-News“ verbreitet werden. „Gonzo“-Journalismus sei nicht gänzlich von der Kunstfreiheit gedeckt. Im konkreten Fall sei die Grenze der straffreien Berichterstattung in diesem Genre überschritten worden. Selbst das als „Experiment zur Überprüfung der Medienkompetenz der Leserschaft“ bezeichnete Verbreiten von Fake-News, durch die Vortäuschung einer Straftat, wäre bewiesen worden. Dies kann mit einer Haftstrafe bis zu 3 Jahren oder mit einer Geldstrafe gerichtlich geahndet werden. Strafmildernd würden wirken, dass der Angeklagte zugegeben hatte unter einem Pseudonym veröffentlicht zu haben. Eine korrigierende Nachberichterstattung zum Ursprungsartikel hätte stattgefunden. Zudem habe der Angeklagte die Polizei in Mannheim darüber informiert, dass die Falschnachricht veröffentlicht wurde. Polizeieinsätze wären wegen der Verbreitung der Falschnachricht nicht nötig geworden. Strafverschärfend würde wirken, dass die Verbreitung der Falschberichterstattung langfristig geplant war und der Angeklagte die Bitte des Polizeipräsidenten Köber (Mannheim), den Bericht nicht zu bringen, in den Wind geschlagen habe. Der Angeklagte habe seine Leserschaft wiederholt verhöhnt und diese herabgewürdigt. Eine deutliche Rüge des Presserats wäre erfolgt. Der Angeklagte habe keine Auskünfte über seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse abgegeben. Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin eine Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je € 100,- und die Übernahme der Verfahrenskosten durch den Beklagten.
Der Strafverteidiger griff in seinem Plädoyer Staatsanwaltschaft und Gericht scharf und theatralisch an. Er fordere einen Freispruch für seinen Mandanten und die Kostenübernahme des Verfahrens durch die Staatskasse. Er führte aus, dass es seitens des BGH diverse Urteile zum §126 StGB, Absatz 2 gäbe, die eine Gesamtwürdigung der straftatrelevanten Umstände unabdingbar machen würden. Diese wäre im Verfahren nicht erbracht worden. Seinen Mandanten betreffend sagte RA Endler, dass dieser einen schlechten, „überflüssig wie einen Kropf“ verfassten Artikel veröffentlicht habe, der keinerlei Informationsgehalt besäße. Die Bedeutung des Online-Blogs im Rhein-Neckar-Raum bewertete er, im Vergleich zu anderen Medien, als unbedeutend. Er führte weiter aus, dass die Verbreitung von Fake-News zwar subjektiv betrachtet ärgerlich ist, jedoch wäre dies in Deutschland nicht strafbar.
Der Angeklagte wollte, auf Nachfrage des Gerichts, keine weiteren Erklärungen abgeben.
Im Namen des Volkes
Wegen der Störung des öffentlichen Friedens (§126 StGB; „(2) Ebenso wird bestraft, wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wider besseres Wissen vortäuscht, die Verwirklichung einer der in Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten stehe bevor.) wurde der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je € 100,- verurteilt. Die Verfahrenskosten und weitere Auslagen hat der Verurteilte zu tragen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
In der mündlichen Urteilsverkündung begründete die Richterin das Urteil u.a. damit, dass die Beweisaufnahme erbracht hat, dass der Blogger den öffentlichen Frieden de facto mittels seiner gewählten Form der Berichterstattung gestört hat („Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten“). Die Aussagen der vor Gericht geladenen Zeugen haben dies bestätigt. Zudem sprechen die Einlassungen des Verurteilten vor Gericht und die Beweisstücke in der Gerichtsakte eine deutliche Sprache. Bei der Strafzumessung hat das Gericht, nachdem der Blogger keine Angaben zu seiner wirtschaftlichen Situation machen wollte, eine Schätzung angelegt.
Verurteilter Blogger zeigt sich weiter uneinsichtig und droht Medienvertretern mit Abmahnungswellen
Nach eigenen Angaben will der Verurteilte in Berufung gehen. Der Öffentlichkeit ließ er wissen, dass er allen Journalisten und Redaktionen, die seiner Meinung nach, unsachlich über die Urteilsverkündung berichtet haben, mit Abmahnungen begegnen will.
Information zum §126: https://dejure.org/gesetze/StGB/126.html
Was ist Gonzo? Wir bieten diese Quelle an: https://de.wikipedia.org/wiki/Gonzo-Journalismus
(Bericht und Bilder: Christian Ratz)