Die Jungbuschvereinbarung – Verteidigung einer dialogbasierten Stadtteilpolitik
Nach fast einem Jahr der Zusammenarbeit hat die Monitoringgruppe Jungbusch der Öffentlichkeit die Jungbuschvereinbarung am 6. Mai erstmals vorgestellt. Sie ist auf überwiegend positive Resonanz in der Öffentlichkeit gestoßen und es haben sich inzwischen auch viele, die an der Entstehung nicht unmittelbar beteiligt waren (beispielswese der Verein Kulturbrücken) zu einer Unterstützung der Vereinbarung bereit erklärt.
Dennoch gibt es auch Kritik am Prozess und seinem Ergebnis, insbesondere aus Sicht linker Gruppierungen, wie der Interventionistischen Linken/ Antifa/ Wem gehört die Stadt (WGDS), die die Dialogbereitschaft der Stadt mit Investor*innen, Gastronom*innen und Unternehmer*innen als Kapitulation vor deren Interessen umdeuten. Aber zunächst einmal:
Wer und was ist diese Monitoringgrgruppe und wie ist sie legitimiert, eine Jungbuschvereinbarung zu erarbeiten?
In der Monitoringgruppe sind verschiedene Gruppen repräsentiert, die für die Entwicklung des Jungbuschs relevant sind: Gastronom*innen, Hauseigentümer*innen, Kreative und natürlich Bewohnerinnen und Bewohner. Wer in kommunalpolitischen Beteiligungsprozessen öfter aktiv war, der weiß, dass sich diejenigen an solchen Prozessen beteiligen, die Institutionen, Vereine und deren Interessen vertreten – und es sind oftmals die immerselben selbsternannten „Sprecher“ von Gruppierungen, die man immer wieder trifft. Um dies bei der Jungbuschvereinbarung zu vermeiden, haben wir auf institutionelle Vertreter*innen überwiegend verzichtet. In einigen Fällen (Gastronom*innen, Hauseigentümer*innen und Kreative) haben diese Gruppen selbst ihre Vertreter*in benannt, in anderen Fällen wurden Menschen gezielt für die Mitarbeit in der Gruppe angesprochen. Sind sie damit demokratisch legitimiert für alle zu sprechen? Nein, das sind sie nicht. Dennoch ist es über diesen Weg gelungen, in solchen Prozessen oft unterrepräsentierte Gruppen sicht- und hörbar zu machen: eine alleinerziehende Mutter, eine vor wenigen Jahren zugewanderte bulgarische Frau, eine seit 30 Jahren im Jungbusch lebende italienischstämmige Frau, eine junge Frau mit türkischen Migrationshintergrund, die im Jungbusch aufgewachsen ist, waren Teilnehmerinnen der Monitoringgruppe. Ungewöhnlich viele Frauen für politische Beteiligungsprozesse. Ohne die Ansprache von nicht organisierten Individuen wird man auch in Zukunft die Basis des Stadtteils nicht erreichen, denn weder die Vereine noch die politischen Organisationen erreichen die Menschen in ihrer Breite vor Ort.
Das ist mit erheblichen Bemühungen durch Sondersitzungen, Kleingruppengespräche und viel Vermittlungsarbeit dann auch zunehmend gelungen. Dass der Vertreter der Mieter*innen im Jungbusch, der über die Initiative „Wem gehört die Stadt“ für die Mitarbeit in der Monitoringgruppe rekrutiert wurde, keine Bereitschaft hatte, sich auf diesen Prozess einzulassen und nach nur einer Sitzung die Gruppe mit dem Argument, die migrantischen Frauen könnten nicht ausreichend Deutsch um den Sitzungen zu folgen, verlassen hat, sollte der Vollständigkeit halber auch erwähnt werden.
Unter Moderation von zwei vom Bezirksbeirat ernannte Vertretern, Johannes Schmidt (FDP) und der Autorin dieses Artikels, Isabel Cademartori (SPD), begleitet vom persönlicher Referent des Oberbürgermeisters Petar Drakul und Quartiermanager Michael Scheuermann ging die Gruppe an die Arbeit.
Besonders umstritten war die Teilnahme des Immobilieninvestors Marcel Hauptenbuchner, Vertreter der Immobilienfirma Hildebrandt und Hees, die in den letzten Jahren immer wieder für den Umgang mit Mieter*innen in der Kritik stand. Umso wichtiger war es, ihn in den Prozess zu integrieren, denn was wäre eine Vereinbarung wert, an die sich der größte Immobilienbesitzer des Stadtteils nicht gebunden fühlt? Welch besserer Ort kritische Vorfälle direkt und hautnah anzusprechen, als die Monitoringgruppe? So ist es gelungen, nicht nur ein Bekenntnis zur Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum zu erwirken, sondern auch belastbare Vereinbarungen über Verfahren zur Lösung von Mietkonflikten zu finden, die bereits in einigen Fällen schon erfolgreich Anwendung fanden. Ohne die Investoren in diese Verfahren zu integrieren, gibt es keine realistische Chance auf die Umsetzung des Vereinbarten. Was ist die Alternative – warten auf andere Mehrheiten in Land und Bund oder gar warten auf die Revolution? Das ist keine Option für diejenigen, die die reale Lebenswelt der Betroffenen in den Mittelpunkt ihres Engagements stellen.
Die Jungbuschvereinbarung schlägt vor, dass Vermieter*innen sich in Konfliktfällen an das Quartiermanagement und dort beschäftigte Kulturdolmetscher wenden, statt sofort mit Kündigungen und Rechtsanwält*innen auf ihre Mieter*innen loszugehen. Mieter*innen sollen „durch vermittelnde Angebote unterstützt“ werden. Insofern ist klar, dass es in dieser Passage mitnichten darum geht, den Mieter*innen die rechtliche Beratung (zB durch den Mieterverein) zu verweigern, sondern vielmehr darum die Eigentümer*innen dazu zu verpflichten, Vermittlungsangebote vor Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen. Der Realitätscheck durch die Diskussion in der Monitoringgruppe, zB durch den Input der bulgarischen Teilnehmerin, hat aber auch gezeigt, dass nicht der Mangel an Beratungsangeboten, sondern an Vertrauen und Wissen darüber, sie in Anspruch zu nehmen, das größte Hindernis dabei sind, Mieter*innen durch Beratung zu unterstützen.
Auch Teil der Jungbuschvereinbarung ist die Passage: „die Stadt greift auch selbst in den Wohnungsmarkt ein“ – dies ist an verschiedenen Stellen im Jungbusch bereits geschehen, wo die Stadt durch die Drohung, das Vorkaufsrecht zu ziehen, mit Neueigentümern zivilrechtliche Vereinbarungen über Mietpreishöhe und Mieterzusammensetzung abschließen konnte. Schärferes Eingreifen der Stadt Mannheim oder des Staates im Allgemeinen bedarf teilweise neuer (bundes-)gesetzlicher Instrumente, weshalb OB Peter Kurz als baden-württembergischer Städtetags Präsident ein generelles Vorkaufsrecht für Kommunen zum Verkehrswert fordert. Weitere Vorschläge grundsätzlicher Art für eine gerechtere Boden- und Mietraumpolitik sind Gegenstand des laufenden Kommunal- und Europawahlkampfs. Natürlich erhebt die Jungbuschvereinbarung nicht den Anspruch, die Verteilungsfragen grundsätzlich zu lösen – vielmehr ist sie eine, angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat, bereits sehr weitreichende Willensbekundung der Stadt, mit ihren vorhandenen Mitteln im Jungbusch einzugreifen. Wenn das konservative Lager im Gemeinderat die eine zusätzliche Stimme, die ihnen aktuell fehlt, nach der Wahl bekommt, wird dieses Engagement der Stadt im Jungbusch und auch in der Neckarstadt nicht mehr möglich sein.
Die Jungbuschvereinbarung ist ein Empowerment Werkzeug, um die Menschen im Jungbusch darin zu bestärken, Probleme nicht nur zu beklagen, sondern selbstbestimmt und gemeinsam anzugehen. Vielleicht fühlen sich Kritiker davon provoziert, dass die Jungbuschvereinbarung die Menschen selbst und nicht ihre selbsternannten Vertreter zu Wort kommen lässt. Oder vielleicht davon, dass die Interessen der arbeitenden Menschen im Jungbusch sich viel stärker um Themen wie die Einhaltung der Nachtruhe und einen sauberen Spielplatz drehen, als sie wahrhaben wollen. Dies ist auch der Grund, weshalb keine alleinerziehende Mutter im Jungbusch einem mit Spielautomaten vollgestopften Raucherlokal, aus dem unter Missachtung aller Arbeitsschutzgesetzte 22 Stunden am Tag laute Musik herausdröhnt, nachtrauert. Statt solche Lokale zu Kiezikonen hochzustilisieren, lade ich die jungen, deutschen Mittelschichtsstudierenden der Interventionistischen Linken, Antifa, WGDS, die in den letzten Jahren in den Jungbusch zogen, dazu ein, die Filterblase ihres Hinterhofs zu verlassen und mehr politische und kulturelle Vielfalt in ihren Runden aufnehmen. Der Jungbusch ist keine Kulisse und die Menschen darin sind nicht Statisten für eine Inszenierung ihrer Version des Klassenkampfs. Es sind Menschen mit konkreten Anliegen und Problemen, für die sie konkrete Antworten und Lösungen erwarten. Das erfordert von uns allen Dialogbereitschaft, wenn wir echten Fortschritt mit den Menschen erreichen wollen. Ein erster Schritt könnte die Unterzeichnung der Jungbuschvereinbarung und die aktive Beteiligung an ihrer Umsetzung sein. Nicht, weil sie die Lösung aller Probleme bringen wird – sondern weil sie die Gemeinschaft derer, die gemeinsam an Lösungen arbeiten wollen, größer und stärker und macht.
Isabel Cademartori