Sichere Häfen für Geflüchtete: Heidelberg zeigt sich bereit, Mannheim will nachziehen [mit Bildergalerie und Video]
Bei einem bundesweiten Aktionstag der Initiative Seebrücke gingen am Samstag in ca. 100 Städten bis zu 45 000 Menschen auf die Straße. In Mannheim und Heidelberg demonstrierten rund 700 Menschen für die Aufnahme der aus Seenot geretteten Menschen und gegen die Kriminalisierung der zivilen Seenotretter*innen von Sea Watch, Lifeline, Sea Eye und anderen zivilen Organisationen, die im Mittelmeer Rettungsmissionen fahren.
Mannheim: Day orange in den Quadraten
(cki, Mannheim). Am Samstagnachmittag versammelten sich rund 200 Menschen in den Planken zu einer Kundgbebung der Mannheim Aktionsgruppe der Seebrücke. Mit orangefarbener Kleidung, Schirmen, Schwimmwesten, Bannern und Schildern drückten Sie ihre Solidaritäten mit den Seenotretter*innen aus, die von der italienischen Regierung kriminalisiert werden.
„Als vergangen Sommer italienische und maltesische Behörden erst das Schiff Lifeline und dann ein ziviles Rettungsschiff nach dem anderen ohne Rechtsgrundlage davon abhielten, Menschenleben zu retten, gründete sich die SEEBRÜCKE. Unser ziviles Bündnis schaut hin, wenn Menschen in libyschen Lagern gefoltert werden und ihr Tod im Mittelmeer als Abschreckungsmaßnahme in Kauf genommen wird. Wir kämpfen für sichere Fluchtwege, gegen die Kriminalisierung ziviler Retter*innen und für ein humanes Europa der Rettung!“ erklärte die Initiative.
Ein Demonstrationszug setzte sich in Bewegung und zog über den Paradeplatz zum Marktplatz. „Zwischen Neckar und dem Rhein soll ein sicherer Hafen sein“ und „Seenotrettung ist kein Verbrechen“ skandierten die Teilnehmer*innen aus allen Altersgruppen. Einige Passant*innen schlossen sich spontan an.
Videobeitrag: Demo der Seebrücke in Mannheim | Direktlink zu Youtube: https://youtu.be/GC3LeiQKhT8
Antrag wird am Dienstag entschieden
Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz forderten sie Sprecher der Seebrücke, Mannheim endlich zum sicheren Hafen zu erklären. Mehr als 60 Städte haben sich bundesweit dieser Aktion angeschlossen und damit ihre Bereitschaft signalisiert, freiwillig Flüchtlinge aufzunehmen, die aus dem Mittelmeer gerettet wurden. Heidelberg hat sich bereits vergangenes Jahr zum „sicheren Hafen“ erklärt. Im Mannheimer Gemeinderat wird das Thema am Dienstag, 9. Juli behandelt. Die Parteien Grüne, Linke, SPD und FDP haben entsprechende Anträge gestellt, die zunächst verschoben wurden und nun behandelt werden.
Dennoch will die Initiative Seebrücke dem Thema Nachdruck verleihen und plant für Dienstag eine Aktion vor der Gemeinderatssitzung. Auch bei der Demo ist immer wieder zu hören, dass es wichtig sei, schnell und deutlich Signale auszusenden. Den aktuellen Zugeständnissen und Erklärungen der Bundesregierung, sich für die Seenotretter*innen einzusetzen, wurde misstrauisch begegnet. So äußerte sich auch Emrah, einer der Redner. „Wenn Carola in den Knast geht, ist die Empörung in Europa auf einmal groß. Wenn aber seit Monaten Geflüchtete in den libyschen Foltergefängnissen verschwinden, gab es von der Bundesregierung nur Schweigen.“ Die Seebrücke kritisiert die Zusammenarbeit der EU mit der libyschen Küstenwache scharf. Libyen sei ein Bürgerkriegsland und keinesfalls sicher, argumentieren die zivilen Seenotrettungsorganisationen, die Gerettete nicht nach Libyen zurück bringen.
Die Mannheimer Initiative rief am Samstag den „Notstand der Menschlichkeit“ aus, denn „die europäischen Staaten ziehen sich nicht nur aus der Verantwortung, sie behindern aktiv die Rettungsarbeiten und potenzielle Zeug*innen ihrer menschenrechtsverletzenden Politik“. Bereits über 500 Menschen seien in diesem Jahr ertrunken. Europa trage dafür eine Verantwortung. Mitorganisator Leon brachte es auf den Punkt: „Es geht letztlich darum, in was für einer Gesellschaft wir leben wollen.“
Bildergalerie: Demo der Seebrücke in Mannheim
Heidelberg: „Wenn Seenotretter Verbrecher sind, dann sind wir Komplizen“
(dk, Heidelberg). Mit diesem Satz fasste Seebrücke Aktivist Daniel die Stimmung in Worte. Vor einem Jahr gründete sich die Seebrücke Bewegung, die erste Heidelberger Demonstration begann, wie am Samstag auch, mit einer Kundgebung auf der Bühne des Afrikamarktes.
In einem Jahr sind viele Menschen auf der Flucht gestorben. Wir haben viel Leid gesehen, aber auch Menschen, die sich solidarisierten und die Seebrücke zu einer festen Instanz wachsen ließen, an der man heute nicht mehr vorbei kommt. So haben sich in den letzten 12 Monaten 69 Städte zu sicheren Häfen erklärt, darunter waren 13 Städte, die in der Potsdamer Erklärung ihre Aufnahmebereitschaft bekräftigt und konkrete Vorschläge dazu gemacht. Der Vorwurf an das Innenministerium unter Horst Seehofer ist deutlich:
„Das hat Herr Seehofer ignoriert. Statt dessen überlässt er das Wort denen, die die Bühne dieses Dramas nutzen um ihre eigene Agenda des Hasses auf den Weg zu bringen. Es kann und darf nicht sein, dass man zulässt, dass Faschisten wie Salvini oder die Faschisten der AfD, die Deutungshoheit über Recht und Unrecht für sich beanspruchen. Wir sind auch darum hier: Um denen zu sagen: Es gilt das Völkerrecht, es gilt das Menschenrecht. Es gelten das Recht auf Rettung, das Recht auf Asyl, und das Recht auf einen Sicheren Hafen! Weil die europäischen Regierungen als Akteure in diesem Theater weiter auf Ignoranz und Schweigen setzen, rufen wir den Notstand der Menschlichkeit aus.“
Zur Aufnahmebereitschaft sprach Heidelbergs Oberbürgermeister Eckart Würzner: „Viele deutsche Städte habe sich bereit erklärt, neben dem Königssteiner Schlüssel, neben dem Flüchtlingskontingent, weitere Flüchtlinge, die in Seenot geraten sind, aufzunehmen. Ohne ein großes Regelwerk. Wir haben nochmals den Appell an die Bundesregierung gerichtet: Wir sind bereit. Wir können aufnehmen, wir wollen aufnehmen, also schafft bitte die rechtlichen Voraussetzungen dafür, dass dies gelingt. Damit diese unwürdige Situation vor Lampedusa, vor vielen anderen Häfen und auf dem Mittelmeer endlich aufhört.“
Würzner griff das Thema von Fluchtursachen ebenfalls auf: „Wenn 20% der Weltbevölkerung für 80% des Energieressourcenverbrauchs verantwortlich sind, dazu gehören wir auch, dann müssen wir auch die Verantwortung dafür übernehmen, wenn Situationen entstehen, die Flucht erst notwendig machen.“ Er bekräftigte seine Haltung als Unterstützer und Partner der Seebrücke und bedankte sich für das Engagement der Seebrücke „Danke, dass Sie hier sind. Danke, dass Sie laut sind. Und danke, dass Sie sich für Menschenleben einsetzen, die im Mittelmeer auch heute möglicherweise ertrinken.“
Videobeitrag: Rede von OB Eckart Würzner bei der Seebrücke in Heidelberg | Direktlink zu Youtube: https://youtu.be/jNdrUvDoIDo
Im Anschluss setzte sich der Demonstrationszug von etwa 500 Teilnehmer*innen über die Hauptstrasse und die Poststrasse in Bewegung. Laut, mit Sprechchören, und von einer Trommelgruppe unterstützt, zeigte man Haltung und brachte wieder auf vielen Schildern und Plakaten seine Meinung zum Ausdruck. Zur Abschlusskundgebung auf der Wiese der Schwanenteichanlage neben der Stadtbücherei sprach Mia Lindemann vom Asylarbeitskreis Heidelberg: „Unerträglich ist dieser EU-Seehofer-Salvini-Mechanismus, das Gegenteil von Rettung, das Gegenteil von Menschenrechten: Seenotrettung wird verweigert, Seenotretter*innen werden kriminalisiert, Häfen gesperrt – keiner rührt sich, Hunderte ertrinken im Mittelmeer, die in Europa Schutz suchen. Schutz vor grausamen Lagern, Zwangsarbeit, Tod in Lybien. Schutz vor der Perspektivlosigkeit und Verfolgung im Heimatland, die viel mit dem aggressiven Vorgehen europäischer Konzerne und der sie schützenden europäischen Wirtschafts- und Handelspolitik zu tun hat, von der wir in unserem Konsum profitieren.
Die EU und ihre Mitgliedsländer machen sich nicht die geringste Mühe, einen Ausweg aus der Blockierung der Verteilung von Schutzsuchenden in Europa zu finden. Fast alles gelingt in Europa, wenn die Mächtigen es wollen, aber nicht die Lösung eines politischen Problems, das Tausende von Menschen in jedem Jahr das Leben kostet! Diese Menschen interessieren die Mächtigen nicht!
Das Hau-Ab-Gesetz, euphemistisch als „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ bezeichnet, geht allen Geduldeten an die Gurgel, die ihre Identität nicht klären können, weil sie Papiere auf der Flucht verloren haben und keine Papiere im Heimatland „bestellen“ können.
Da wird jetzt gleich mal ein Arbeitsverbot verhängt. Und dann: Reduzierung der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, und dann: Abschiebeknast….
Wenn sie das durchsetzen, wird binnen kürzester Zeit jeder Knast überfüllt sein, denn für Abschiebungen braucht die Bundesrepublik jeweils die Aufnahmebereitschaft des Ziellandes, sonst kann sie gar nicht abschieben.
Zweitens: Schutzsuchende, die bereits eine Anerkennung z.B. in Italien bekommen hatten, dort keinen Job und keine Wohnung gefunden und keinerlei sozialstaatliche Unterstützung erfahren haben – und das ist der Regelfall – die deshalb hierher geflohen sind, diese Schutzsuchenden kriegen hier noch gerade 2 Wochen Geld vom Sozialamt, dann nichts mehr!
Wir haben eine wachsende Anzahl von Solidarity City – Initiativen im Land. Das heißt: Solidarität mit Migrant*innnen! Mitunter auch: Solidarität mit allen Abgehängten in der Stadt.
Die einen Städte erklären sich zum Sicheren Hafen: in der Bundesrepublik inzwischen rund 60, darunter auch Heidelberg; in Europa haben zuerst die Bürgermeister*innen von Palermo, Neapel, Barcelona, aber auch von polnischen Städten erklärt, dass sie Geflüchtete aufnehmen werden. Sie verlangen, dass die nationalen Regierungen ihre Aufnahmebereitschaft nicht blockieren.
Was können die Städte tun? Der Städtetag kann sich an die Landesregierung wenden und verlangen, dass das Land Baden-Württemberg ein humanitäres Aufnahmeprogramm auflegt, über das Menschen auf der Flucht auf sicheren Fluchtwegen hierherkommen können, so wie das mit den Jesidinnen aus dem Irak ja schon geschah. Die gesetzliche Bestimmung, dass ein solches Landesprogramm des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern bedarf, muss enthorstet werden, die Jurist*innen sollen sich bitte dazu etwas einfallen lassen. Die Städte können verlangen, dass es eine kommunale Aufnahmeregelung geben soll.“
Eine Rettungsmission ist kein Mittelmeerurlaub; es ist der knallharte Abgleich mit der Realität.
Jutta, Aktivistin der Seebrücke mit Rettungserfahrung auf der Sea Watch 3, sprach über das, was sich jenseits der Kommentarspalten im Internet abspielt: „Bei unserer ersten Rettung, beim Rausfahren mit den Beibooten ist mir das erste Mal klar geworden was es heißt, allein auf dem Meer zu sein. Wir hatten plötzlich mehrere Dutzend Menschen im Wasser, die nicht selbstverständlicher weise schwimmen können, und die zu viele waren, um sie gleichzeitig auf den Beibooten unter zu bringen. In dem Chaos würde man im Zweifelsfall nicht merken ob jemand unter geht, denn Menschen die Ertrinken können nicht um Hilfe schreien. Wer ertrinkt, stirbt leise.“
Auch für Vorwürfe, die immer lauter aus dem italienischen Innenministerium kommen, fand sie klare Worte: „Die kriminalisierenden Vorwürfe von Salvini und co, das ist ein so offensichlicher Bullshit. Noch 2015 arbeiteten europäische Marineschiffe Hand in Hand mit den NGOs. An unserer Arbeit hat sich nichts geändert. Das was sich geändert hat, ist die Arbeit, nein, die Arbeitsverweigerung der Staaten, das Outsourcing von Menschenrechtsverletzungen an die sogenannte libysche Küstenwache und ihre schamlosen Kriminalisierungsversuche gegenüber denen die wirklich helfen! Wenn unser Tatbestand Menschlichkeit lautet, dann lasst uns hier gemeinsam als schuldig bekennen!“
Über den Lautsprecher kam eine Audiobotschaft von Carola Rackete, Kapitänin der Sea Watch 3. Sie sprach über ihre Situation, über ihr Anlegemanöver im Hafen von Lampedusa und ihre anschließende Verhaftung. Alle Zuhörer*innen waren ganz still, jeder hörte gebannt zu und für einen Moment konnte man denken, sie wäre da, vor Ort. Carola Rackete bedankte sich vor allem über diese unerwartet große Welle der Solidarität und die Unterstützung aus der Bevölkerung, klagte aber auch die fehlende Unterstützung von der anderen Seite her an.
Am Ende ernten Juttas und Carolas Beiträge anhaltenden Applaus von bewegten Zuhörer*innen.
Der 6. Juli rief bundesweit in fast 100 Städten, aber auch bei Aktionen in Valencia, Wien, Luxemburg oder New York knapp 40.000 Menschen auf die Strassen. Deutlicher könnte ein Zeichen gegen das Wegsehen nicht sein.
Bildergalerie: Demo der Seebrücke in Heidelberg