Im Windschatten der Lager – die würdelose Nachbarschaft (mit Bildergalerie)
Wir sehen seit langem mit Entsetzen auf die Geschehnisse in und um das Lager Moria auf Lesbos. Als Sinnbild für eine Monstrosität der Unmenschlichkeit, auf europäischem Territorium gewachsen, wirft Moria lange Schatten. Diese Lager existieren entlang jeder Fluchtroute quer über die griechischen Inseln und den Balkan. Sie sind gut bekannte Hot Spots der Unwürde. Man muss aber nicht in die Ferne schweifen, um beklagenswerte Zustände in der Unterbringung Geflüchteter wahr zu nehmen. Ellwangen bleibt auch kein Einzelfall, es gibt diese Unmenschlichkeiten vor vieler unserer Haustüren.
Schauen wir nicht nur nach Griechenland
Im Heidelberger „PHV“, der ehemaligen US Wohnkaserne Patrick Henry Village, sind seit 2014 Geflüchtete untergebracht, analog zur Historie Morias und im Grunde aller Flüchtlingslager, war das zunächst als Notunterkunft für den Winter gedacht, dann schuf man mehr Platz und brachte zwischenzeitlich die dreifache Zahl an Menschen dort unter, das ganze wurde als „Registrierzentrum“ ausgebaut, Drehkreuz, Pilotprojekt… Mit allen vollmundigen Versprechen aber auch den Nebenwirkungen die, zwar nicht ins Extrem der griechischen Lager oder der auf dem Balkan gehend, man so kennt, doch am Ende ist es immer die Würde, die niemand einplant.
Inzwischen ist das Gelände auf dem die „LEA“, die Landeserstaufnahmeeinrichtung, untergebracht ist mit jedem Jahr begehrter geworden. Dabei geht es um die Belebung der 97 Hektar großen Fläche als attraktiven Stadtteil, der mit einer LEA „nicht funktionieren“ würde. Das ist die Begründung, die in der Diskussion um die Verlagerung in die Wolfsgärten voran geführt wird. Die Wolfsgärten sind ein Areal bei Wieblingen zwischen Autobahn 565, A5/Kreuz Heidelberg, Grenzhöfer Weg und der Bahntrasse zwischen Heidelberg und Mannheim, derzeit wird es landwirtschaftlich genutzt, in dem die Geflüchteten auf inhumane Weise eingezwängt wären. Ohne wirklichen Anschluss an die Stadt, die Umgebung und die Gesellschaft. In keinem der vier Szenarien für die Zukunft des PHV finden die Themen Migration oder Integration Platz. Doch diese Diskussion ist viel länger und umfangreicher als hier wiedergegeben, aber bleiben wir bei Unmenschlichkeiten.
Im PHV sind derzeit etwa 800 Menschen untergebracht, sie konnten sich frei bewegen, es gab einen Busshuttle der für Anschluss an Stadt und Gesellschaftsleben oder für Versorgung die über die in der Unterkunft angebotene hinaus ging, sorgte. Es gab auch Zwischenfälle, von gelegentlichen Ladendiebstählen wurde berichtet, aber auch von Polizeieinsätzen wegen Gewalt, die untereinander ausgeübt wurde. Machen wir uns nichts vor, wo Menschen eng zusammengehalten werden gibt es Konflikte. Entgegen dem, was die AfD propagiert, blieb die Umvolkung durch Islamisten und Messermänner aus, wir haben insgesamt nichts erlebt, das sich signifikant in der Heidelberger Kriminalstatistik nieder schlägt.
Bis die Corona Pandemie auch Heidelberg erreichte, mit Betroffenen und Infektionen auch unter den Geflüchteten im PHV. Es gab vier Infizierte, sie und deren Kontaktpersonen waren in Quarantäne, alle Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen wurden getestet, es blieb bei vier Fällen unter den Geflüchteten.
Abschottung nicht nur an Fluchtrouten
Die Anforderungen die Kontaktverbote und Abstandsregeln aber fordern sind schwer umzusetzen, das liegt allein schon an der Art der Unterbringung. In der Umgebung die eine Militäreinrichtung infrastrukturell anbietet, sind die Hürden der Separierung allerdings nicht mehr hoch und einfach umzusetzen.
Das seit 2003 als Folge der Anschläge vom 11. September schwer gesicherte Gelände wurde nach dem Weggang der Amerikaner zehn Jahre später nie von den hohen Zäunen und dem Stacheldraht befreit und Zyniker die 2014 zur Unterbringung Geflüchteter in einer verlassenen US Kaserne sagten „wie praktisch, da muss man die Kameras nur in die andere Richtung drehen“, bekommen heute, spät und unfreiwillig, Recht.
Es werden Umstände geschildert, die selbst in Zeiten der Corona Pandemie hinterfragt werden müssen. Die verhängte Ausgangssperre vom 27. April, wurde bis zum 12. Mai verlängert. Die Unzufriedenheit wuchs verständlich unter den Isolierten in einem höheren Maß als unter denen die das weniger hart traf. Die Bewohner*innen fühlten sich regelrecht bewacht, und dieser Eindruck entspricht scheinbar den Tatsachen. Die Polizeipräsenz die geschildert wird, findet sich auch im Umfeld des PHV. Polizeipferde, Mannschaftswagen, ein verstörendes Bild, wenn man sieht wie die einheimische Bevölkerung sich trotz vielfältigeren Möglichkeiten einer Ansteckung mit Covid 19 bewegen darf. Dabei muss man immer vor Augen haben, dass die Situation im PHV keine Bitte um #stayathome war, also nicht freiwillig.
Hier zahlt sich die dezentrale Unterbringung Geflüchteter aus. Niemand sieht es, und das Festhalten an diesem Konzept wirft kein gutes Licht auf die Verantwortlichen. Leider dürften gerade die sich jetzt, nach den aktuellen Infektionen in der Unterkunft im nordrhein-westfälischen Sankt Augustin, im Recht fühlen, auch wenn sich hier eine gravierende Schwäche der zentralen Unterbringung zeigt.
Würde ist nicht geplant
Auf die Bedürfnisse von Fastenden während des Ramadans wurde keine Rücksicht genommen. Es soll fast täglich Nudeln gegeben haben, an einigen Tagen nur Brot und Käse. Zu wenig für einen normalen Tag, und zum Fastenbrechen gänzlich ungeeignet. Der Ramadan endet in diesem Jahr am 23. Mai.
Es war faktisch nicht möglich sich im Freien aufzuhalten, vielleicht Sport zu treiben oder nur ans Sonnenlicht zu gehen, Checkpoints gibt es jetzt nicht nur am Eingang, sondern auch innerhalb des Geländes. Das Technische Hilfswerk war zudem auch im Einsatz, in der Nacht ist alles in beide Richtungen ausgeleuchtet, weil man Verstöße gegen die Ausgangssperre fürchtet, es entsteht ein bizarres Bild: „Willkommen“ zeigt es nicht, aber auch nicht das Gegenteil davon…
Taschengeld wurde zeitweise nicht ausgegeben, die Handyguthaben waren darum schnell aufgebraucht, Internet gibt es nicht und so kann kein Kontakt zu Verwandten gehalten werden und auch sonst war Kommunikation nicht mehr, oder nur sporadisch, möglich. Die Menschen waren nicht nur räumlich isoliert.
Auch Online-Beratungen konnten so nicht stattfinden, damit blieben wichtige Fragen unbeantwortet. Über den Ablauf von Verfahrens- und Sozialberatung kann man unter diesen Voraussetzungen nur vermuten. Es gab und gibt Stimmen die warnen, dass es brodelt und die Stimmung kippen kann. Dass Frust und Ängste groß sind, wird kein Geheimnis sein, und das erklärt die Polizeipräsenz im Umfeld des PHV.
Die Rolle der Bundeswehr in der Einrichtung ist nicht ganz geklärt, es heißt man übernehme im Rahmen von Amtshilfe helfende Aufgaben, aber keine hoheitlichen. Untergebracht sind die Soldat*innen in einem nahen Hotel. Schaut man darauf, wie sich die Bundeswehr derzeit als Helfer für die Öffentlichkeit präsentiert, beispielsweise mit dem Herstellen von Desinfektionsmittel oder dem Beschaffen von Mund/Nasen-Masken, könnte man vermuten es würde wenigstens damit ausgeholfen. Doch Fehlanzeige – Desinfektionsmittel gab es im PHV zeitweise nicht. Auch keine Masken. Nicht in ausreichender Menge. Für die Essensausgabe braucht man jedenfalls keine Soldaten.
In einer Einrichtung dieser Größe läuft nie alles rund, aber die Anforderungen, die die Corona Pandemie stellt, muss auch für Geflüchtete in den Unterkünften ein Hochschrauben der Hilfeleistungen bedeuten. Das ist auch schwer mit dieser Zeit der Krise zu rechtfertigen, denn es ist auch eine Zeit, in der für viele Branchen und Menschen die Hilfsschirme aufpoppen – zumindest für die als nützlich befundenen.
Der Sicherheitsdienst der Einlass und Ausgang, und auch das Gelände selbst betreut ist zumindest in Heidelberg unauffällig. In München stand die Firma vor einigen Jahren in Zusammenhang mit Übergriffen gegen Geflüchtete in einer Unterkunft. Im Internet äußern sich ehemalige Mitarbeiter überwiegend negativ über die Unternehmensführung, frustrierte Mitarbeiter in der Sparte dürften aber sicher niemanden wundern, das ist auch für den in Heidelberg eingesetzten Dienst kein Alleinstellungsmerkmal.
Als ich am Eingang des PHV in der vergangenen Woche versuchte mit Bewohnern ins Gespräch zu kommen, mit Abstand und Mundschutz, kam nach kurzer Zeit ein Ruf aus dem Torhäuschen:
„Nicht reden, einfach reingehen!“ Das deutet, für mich, darauf was da läuft. Frustriert und schlecht bezahlt kennen wir aus vielen Branchen, da gilt leider oft: pay peanuts – get monkeys.
Dass wir davon wenig sehen liegt nicht an mangelndem Interesse, es soll nicht gesehen werden. Außer hübschen Bildern mit Innenminister Strobl neulich, wo alle lächeln und jeder zufrieden ist, sieht man wenig und darum ist das hier nur eine Situationsbeschreibung von außen und rückblickend.
Das alles macht das PHV sicher nicht zu einem Hotspot, doch hat das PHV einiges mit anderen solcher Orte gemein, und man muss hinterfragen wie willkürlich die Ausnahmeregelungen unter einer Pandemie angewendet werden und mit welchem Ziel. Das ist ein Ansatz von „Willkommensverwahrlosung“ und ein Stück Moria vor jeder unserer Haustüren.
Weil auch das erwähnt sein muss. Die Geflüchteten ertrugen vieles mit Fassung, die einen mehr die anderen weniger. Und darum ist auch das Teil der Schilderungen aus dem PHV – viele sind, trotz allem, dankbar und haben sich mehrheitlich an die Regeln gehalten. Ein Covid 19 Ausbruch in einer Dimension wie in Ellwangen und Sankt Augustin blieb aus. Fairer weise muss man das dem Ganzen, trotz Beigeschmack, zugutehalten.
Mit Blick auf die drohende Verlegung der Einrichtung auf das Areal der „Wolfsgärten“, ich war dort und es ist dort furchtbar laut, selbst in Zeiten mit wenig Verkehr. Notwendige Schallschutzmauern erfüllen dort gleich mehrere Zwecke. Die Heidelberger Grünen im Gemeinderat sprechen sich, entgegen ihrer Aussagen und Positionierung im vergangenen Kommunalwahlkampf, nun dafür aus – könnte man diese Quarantäne im PHV auch als Ausblick verstehen bei dem die Heidelberger Grünen sich von einst geschätzten Positionen entfernen und sich einer Stimmung der Gleichgültigkeit schöntun. Enttäuschend für die, die sich wegen eben dieser Position zur Stimme für die Grünen entschieden.
Eine Petition wendet sich gegen diese Pläne über die am 18. Juni 2020 im Heidelberger Gemeinderat entschieden werden soll. Sie kann hier unterzeichnet werden:
Die Seebrücke-Gruppen in Heidelberg und Mannheim rufen für den 23.05.20 zu Kundgebungen und Aktionen auf. Das Motto lautet: “Evakuiert die Lager #LeaveNoOneBehind”.
(Text/Bilder: Daniel Kubirski – Screenshots Seebrücke Heidelberg und Mannheim bei Facebook)