Seebrücke-Aktionen in Mannheim und Heidelberg: „Hier ist Platz“ (mit Kommentar)

Am vergangenen Samstag, 05.09.20, folgten etwa fünfzig Menschen dem Aufruf der Mannheimer Seebrücke, an der Kundgebung unter dem Motto „Hier ist Platz“ teilzunehmen.
Die auf dem Marktplatz aufgestellten leeren Stühle, Besucher*innen konnten auch eigene mit bringen, symbolisierten die Bereitschaft zur Aufnahme Geflüchteter aus den überfüllten Lagern. Das bekannteste dieser Lager, die sich überall in Europa und entlang der Fluchtrouten befinden, ist Moria auf Lesbos. Neben Redebeiträgen wurde eine Audiobotschaft einer Bewohnerin des Lagers abgespielt.

 

 

Die Schilderungen über die Zustände, die unhaltbare Situation der Schutzsuchenden, vor allem aber die Beschreibungen der Enttäuschung über verlorene Hoffnung und Träume berühren. Die Beschreibung der Angst vor Abschiebung in Länder, die weder sicher sind, noch eine Zukunft bieten, ließ die Zuhörer*innen bedrückt zurück.
Auch die Botschaft eines Retters, der eindrücklich von seiner Fahrt auf der Sea Watch 3 im vergangenen Sommer erzählt, macht deutlich, das sich auf politischer Ebene nicht viel getan hat.
Während die beteiligten Politiker weiter von einer „gesamteuropäischen Lösung“ fantasieren, geht das Sterben an den Grenzen zur EU unvermindert weiter. Deutliche Kritik ist auch an Horst Seehofer adressiert, er riskiert mit seiner Blockadehaltung weiterhin fahrlässig, dass tausende von Menschen in unwürdigen, unsicheren Verhältnissen leben und täglich ihr Leben riskieren müssen.

Eine gemeinsame Audiobotschaft (von Seebrücke Dresden zur Verfügung gestellt) des „Moria Corona Awareness Teams“ und der „Moria White Helmets“, Initiativen von Geflüchteten in Moria macht den bedrohlichen Stand in Sachen Corona-Pandemie noch deutlicher: Es gibt keine Möglichkeiten des Schutzes. Weder in Fragen der Hygiene noch räumlich im Camp. Es sind alle Menschen akut bedroht.

Die Rede von Tristan (iL Rhein-Neckar); es gilt das geschriebene Wort:

Liebe Freund*innen, liebe Genoss*innen,

wir stecken noch immer inmitten einer globalen Pandemie. Viele Politiker*innen geben sich große Mühe zu betonen, dass diese Pandemie doch alle gleich hart trifft. Dass das nicht stimmt, können wir aber immer wieder sehen. Während die Verluste großer Konzerne immer wieder mit Steuergeldern in Milliardenhöhe ausgeglichen werden, bekommen Menschen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind noch nicht einmal ein paar Euro extra um sich mit Masken versorgen zu können. Während sich viele Städte zum sicheren Hafen erklärt haben zielt die Politik Deutschlands in Europa noch immer darauf ab Seenotrettung zu kriminalisieren und sichere Fluchtrouten zu verhindern. Während noch immer massenweiße Hotels und Wohnungen leerstehen, stemmt sich die Bundesregierung, und allen voran der Innenminister, immer noch dagegen die hoffnungslos überfüllten Lager an den EU-Außengrenzen endlich zu evakuieren. Schon bevor im März dort bis jetzt andauernde Lockdowns verhängt wurden, war die Lage katastrophal. Umso mehr hat sie sich durch die faktische Umwandlung in Freiluftgefängnisse noch weiter verschärft. Nach einem kürzlich aufgetretenen Corona-Fall soll nun auch ein Zaun um das Lager in Moria gezogen werden, was einer Reihe entwürdigender und gefährlicher Maßnahmen die Krone aufsetzt.  Und obwohl es möglich war Urlauber*innen mit dem richtigen Pass nach Deutschland zurückzuholen oder tausende Erntehelfer*innen einzufliegen, um sie hier in der Landwirtschaft auszubeuten, wurde noch immer keine Möglichkeit gefunden mehr als 47 minderjährige Geflüchtete nach Deutschland zu bringen.

Während wir also hier stehen, spitzt sich die Lage in den griechischen Lagern weiter zu. Letzte Woche wurde bekannt, dass sich im Lager Moria eine Person mit dem COVID-19 Virus infiziert hat. Wenn jetzt nicht gehandelt wird und die Menschen evakuiert werden, droht eine schnelle Ausbreitung der Krankheit im Lager, die gerade durch die fehlende Gesundheitsversorgung das Leben tausender Menschen bedroht. 

Die Menschen müssen jetzt endlich evakuiert werden!

Tristan (iL Rhein-Neckar)

Zwar haben diverse Kommunen und mittlerweile mehrere Bundesländer ihre Bereitschaft Geflüchtete aus Griechenland aufzunehmen signalisiert – doch das Bundesinnenministerium blockiert diese Initiativen weiterhin. Wir müssen den Druck auf Seehofer und die Bundesregierung deshalb jetzt weiter erhöhen! Auch die Landesregierung von Baden-Württemberg muss dafür endlich Verantwortung übernehmen und ein eigenes Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete beschließen. Dabei kommt es auf uns an- Solidarität oder Menschlichkeit können wir uns von den Herrschenden nicht erhoffen – Sie muss von uns erkämpft werden. Denn in ihrer Logik von Standortkonkurenz, Nationalismus und kapitalistischer Verwertung zählt der Mensch nicht als Mensch, sondern nur als Ware. Demgegenüber für solidarische Perspektiven zu streiten ist unsere Aufgabe!

 Wir wollen nicht weiter den Ungerechtigkeiten dieser Welt zusehen müssen. Wir wollen keinen Staat, der sich mit seiner rassistischen Politik den Hetzer*innen von rechts anbiedert während weiterhin Menschen an den Außengrenzen der EU leiden und sterben.

Stattdessen wollen wir grenzenlose Solidarität, die nicht die Interessen von Kapital und Nationalstaat dient, sondern denen hilft, die gerade ganz besonders leiden. Wir wollen Hilfe für Arme, Obdachlose und Fliehende. 

Öffnet die Hotels und macht die leerstehenden Wohnungen bewohnbar. Chartert Flieger nicht mehr um Menschen abzuschieben, sondern um die Lager an den griechischen Grenzen zu evakuieren. Stoppt die Kriminalisierung von Seenotrettung, und schafft sichere Fluchtrouten statt weiter in tödlichen Grenzschutz zu investieren.

Gemeinsam können wir für eine Zukunft kämpfen, in der wir die Gewalt dieser Welt überwunden haben. Lasst uns mit echter, grenzenloser Solidarität beginnen!

Auch in Heidelberg gab es am Vormittag einen Informationsstand am Anatomieplatz in der Hauptstraße. Interessierte konnten sich über die Situation an den EU-Außengrenzen und über zahlreiche Organisationen und Projekte informieren. Das Motto „In Deutschland und an den Außengrenzen – wir lassen niemanden zurück“ legt besonders in Heidelberg einen kritischen Fokus auf den geplanten Umzug der Landeserstaufnahmeeinrichtung vom Patrick Henry Village (PHV) in die Wolfsgärten an der Autobahn bei Wieblingen.

Kommentar:

Wir können uns in Fragen humanistischer Werte, mit denen sich die EU gerne schmückt, unterwürfige Gesten einem grassierenden Rechtspopulismus gegenüber nicht mehr leisten. Wenn wir aus Angst vor Wahlergebnissen tatenlos bleiben, oder weniger möglich machen als wir es könnten, geben wir uns einer Barbarei preis, die unser „gesamteuropäisches Gewissen“ beschädigt. Wir können uns auch keine Politiker*innen leisten, die die Legenden vom Pullfaktor gebetsmühlenartig wiederholen und so valide Studien dazu ignorieren. Diese Politiker*innen laufen den hohlen Phrasen der Rechten hinterher und verzerren ihre eigenen christlichen Werte zu einer Karikatur, die man als Humanist*in und Europäer*in nicht erst an der Wahlurne quittieren muss, sondern auch vorher schon: Als Engagierte*r, als Aktivist*in, als Bürger*in.

(Fotos, Kommentar und Bericht mit Material der il Rhein-Neckar und Seebrücke Mannheim: Daniel Kubirski)