Bündnis Fahrradstadt Mannheim: “Interessenkonflikte bei IHK Rhein-Neckar und Handelsverband Nordbaden? Wir nehmen Stellung zu den Stellungnahmen zum Verkehrsversuch Innenstadt“

Stellungnahme des Bündnis Fahrradstadt Mannheim (BFM) zum Start des Verkehrsversuches in der Mannheimer Innenstadt am 11. März 2022 und den kritischen Stimmen aus Wirtschaft und Teilen der Öffentlichkeit

Das Bündnis Fahrradstadt Mannheim hat die Durchsetzung der Verkehrswende in Mannheim mit dem Schwerpunkt Fahrradverkehr zum Ziel. Es wird von 15 Verbänden, Initiativen und Arbeitskreisen sowie mehreren Privatpersonen unterstützt:

Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC) Mannheim o Verkehrsclub Deutschland (VCD) Regionalverband Rhein-Neckar o Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)  Mannheim o Kidical Mass Mannheim o QuadRadEntscheid Mannheim o XR Extinction Rebellion o LaMa, Lastenvelo Mannheim e.V. o Fridays for Future Mannheim o Greenpeace Mannheim-Heidelberg o Ökostadt Rhein-Neckar e.V. o Verkehrsforum Neckarau o Lokale Agenda 21 Mannheim-Neckarau o Die GRÜNEN/Bündnis 90 Kreisverband Mannheim o Arbeitskreis Radverkehr der GRÜNEN Mannheim o AK Verkehr der LINKEN Mannheim o und viele Einzelpersonen

Auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Stadt will Mannheim eine lebenswerte Innenstadt für alle: Bewohner, Besucher und die Wirtschaft. Am 11. März 2022 startet deshalb ein Teil des geplanten Versuchs “Lebenswerte Innenstadt”. Am Rande der Fressgasse und Kunststraße werden zusätzliche Aufenthaltsbereiche eingerichtet. Um die Aufenthaltsqualität der Innenstadt zu verbessern werden Kurzzeitparkplätze in sogenannte Parklets umgewandelt. Neue öffentliche Begegnungsräume, Sitzgelegenheiten, Fahrradparkplätze und mehr Grün soll die Aufenthaltsqualität steigern.

Kommunalinfo Mannheim: Wie steht das Bündnis Fahrradstadt Mannheim zu den Plänen der Stadtverwaltung?

BFM: Wir begrüßen die Maßnahmen vollumfänglich. Sie sind überfällig.

Kommunalinfo Mannheim: Der Mannheimer Morgen schreibt, es gäbe kein solides Konzept, wie der Durchgangsverkehr die City dauerhaft umfahren kann und der Verkehrsversuch werde scheitern.

BFM: Im Juni 2020 stellte das Verkehrsbüro R+T im Gremium des runden Tisches Mobilität ein aufwändiges Gutachten über die geplante Verkehrsführung in den Quadraten vor. Es wurde von der konservativen Annahme ausgegangen, dass sich das PKW-Aufkommen zukünftig nicht verringert. Anfang 2021 folgte die Ausarbeitung eines Evaluationskonzeptes zur geänderten Verkehrsführung seitens der Verwaltung. Mehr Planung und Transparenz geht kaum. Hier ist der Stadt nichts vorzuwerfen. Der Ring wird vorübergehend mehr Verkehr aufnehmen müssen. Mittel- und langfristig wird der PKW-Verkehr in Mannheim unweigerlich abnehmen – schon alleine wegen der Klimaziele, zu denen sich Mannheim verpflichtet hat. BFM ist irritiert über solche schlecht recherchierten Kommentare im MM. Es genügt nicht den Anforderungen an Qualitätsjournalismus, die Stellungnahmen der Handelsverbände zu lesen und dem Volk aufs Maul zu schauen.

Kommunalinfo Mannheim: Hendrik Hoffmann, Vizepräsident des Handelsverbands Nordbaden, meint, weder der Ring noch die Reichskanzler-Müller- sowie die Bismarck-Straße seien attraktive Alternativen zur Durchquerung der Innenstadt.

BFM: Mit attraktiver Alternative meint Herr Hoffmann wohl eine 24 Stunden staufreie Innenstadtquerung. Das ist reines Wunschdenken. Es sind zu viele KFZ auf den Mannheimer Straßen und alle bisherigen straßenbaulichen Maßnahmen zur Kapazitätserhöhung führten zu noch mehr PKW-Verkehr, der alle Bemühungen wieder zunichte macht. Dieses Phänomen – wer Straßen sät, wird Verkehr ernten – ist weltweit zu beobachten.

Kommunalinfo Mannheim: IHK, Handelsverband und Werbegemeinschaft fordern, dass beim Auftreten irreversibler Schäden der Versuch vor dem eigentlich terminierten Datum beendet werden muss. Wie steht das BFM zu dieser Forderung?

BFM: Die Wortwahl ist schon erstaunlich, denn irreversible Schäden können per Definition nicht rückgängig gemacht werden. Aber welche Schäden könnten denn auftreten? Umsatzeinbußen im Einzelhandel? Die können viele Ursachen haben. Stau? Den haben wir heute schon. Die Forderung nach vorzeitigem Abbruch ist unredlich, denn verkehrliche Maßnahmen benötigen immer Zeit, bis sich die Verkehrsteilnehmer darauf einstellen. Nehmen Sie die Sperrung der Hochstraße Süd in Ludwigshafen oder die des Fahrlachtunnels. Nach ein paar Tagen oder Wochen lösen sich anfängliche Staus überwiegend auf.

Kommunalinfo Mannheim: IHK-Präsident Manfred Schnabel fragt sich, ob die Stadt selbst künftig noch sinnvoll bewirtschaftet werden kann und der Kommentator des MM Christian Schall sorgt sich um den für Mannheim so wichtigen City-Einzelhandel und die damit verbundenen Existenzen und Arbeitsplätze.

Bündnis Fahrradstadt Mannheim für den Verkehrsversuches in der Mannheimer Innenstadt

BFM: Dieses Argument wird seit 50 Jahren, als die ersten Fußgängerzonen geplant wurden, immer wieder verwendet. Es sind in zweifacher Hinsicht falsch: Erstens bleiben alle Parkhäuser in der Innenstadt erreichbar. Kein PKW-Kunde wird durch die Maßnahme vertrieben, denn die Parkhäuser sind in MA längst nicht ausgelastet. Zweitens wird seit vielen Jahren in zahllosen empirischen Studien immer wieder dargelegt, dass die Umsätze der Kunden, die mit dem PKW kommen, vom Handel systematisch überschätzt wird. Sie liegt in Innenstädten tatsächlich unter 10% des Umsatzes. Verkehrsversuche in anderen Städten haben immer wieder gezeigt, dass ein Zurückdrängen des Autoverkehrs zu höheren Umsätzen führt. Tatsächlich ist es ja vielerorts auch erklärtes Ziel dieser Maßnahmen, die Städte zu beleben und attraktiver zu machen: Wer möchte unterwegs sein in einer Stadt, die mit Autos vollgestopft ist, von Abgasen verpestete Luft einatmen, Lärm ertragen, und schon beim Überqueren einer Straße Stress verspüren? Für viele Menschen sind solche Städte kaum zugänglich: insbesondere für Kinder und Jugendliche ist es derzeit ausgeschlossen sich mit dem Fahrrad frei in Mannheim zu bewegen. Die Tatsache, dass die Umsätze steigen, sobald mehr Menschen sich in der Stadt mühelos bewegen können, ist absolut keine Überraschung.

Kommunalinfo Mannheim: Warum wird das Argument trotzdem von Wirtschaftsverbänden in Mannheim immer wieder gestreut?

BFM: Möglicherweise liegen die Umsätze von Kunden, die mit dem Auto anreisen, in innerstädtischen Elektronikmärkten und Shopping Centern über 10% des Umsatzes und damit über dem Durchschnitt von inhabergeführtem Einzelhandel und Gastronomie. Der Präsident der IHK Rhein Neckar ist auch geschäftsführender Gesellschafter bei expert-ESCH und der Vizepräsident des Handelsverbands Nordbaden ist auch Geschäftsführer der CRM – Center & Retail Management GmbH. Die CRM betreibt das Q6 Q7 Mannheim.