„Quo vadis Kandel?“ – KIM-Kommentar zum Demonstrationsgeschehen am 12.01.19
Ich laufe hinter einem Mitarbeiter der Versammlungsbehörde. Er wird von einem Fotografen angesprochen, dieser weist ihn darauf hin, dass in Marco Kurz’ Demozug eine vermummte Person läuft. Er zeigt ihm das Bild auf dem Display seiner Kamera. Der Mitarbeiter der Versammlungsbehörde empfiehlt relativ unaufgeregt, das Bild an die Kreisverwaltung zu schicken. Erst als der Fotograf mit erheblichem Nachdruck darauf besteht, wegen der Sache aktiv zu werden, geht der Mitarbeiter zum nächsten Polizeibeamten, um die Sache zu schildern. Ich höre, wie der Polizist den Mann der Versammlungsbehörde abschmettert, „Es ist halt Winter, da zieht man sich den Schal schon mal höher ins Gesicht.“ Damit ist die Sache erledigt.
Jetzt mit Paragraphen etc. zu kommen, ist müßig. Wir wissen, dass es Auflagen zu Demonstrationen gibt, jeder weiß das, denn sie werden vor Beginn einer jeden Demo und Kundgebung verlesen. Dass man von den Teilnehmern und Ordnern eines Marco Kurz nicht viel Gewissenhaftigkeit zu erwarten hat, ist bekannt. Und Polizei wie auch die Versammlungsbehörde wissen das auch, oder sollten es zumindest.
Kandel geht mit der unsäglichen Vereinnahmung durch das sogenannte Frauenbündnis ins zweite Jahr. Das Frauenbündnis, es bestand nie wirklich in bedeutenden Teilen aus Frauen und auch getrauert wurde hier nie, anfangs noch von der AfD gestützt, ist jetzt nur noch ein Magnet für abgehalfterte Verschwörungstheoretiker und Abgehängte. Irgendwie ist drumherum leider nicht viel passiert, das Frauenbündnis stagniert und auch die konzeptionellen Änderungen durch M. Kurz fruchten nicht. Ist zwar gut, doch da läuft noch mehr schief.
Von Anfang an tat man sich mit dem bereits über Jahre von Rechtspopulisten gezeichneten Bild der Steine werfenden Krawall-Antifa schwer. Man gab sich kaum Mühe, das Engagement durch Antifaschisten und ihren Initiativen, ihren Bündnissen als Hilfe anzuerkennen und das gezeichnete Bild der Realität anzupassen. Man wollte ihre Fahnen verbieten, man ließ lieber andere gewähren.
Medial haben die Kurz-Leute inzwischen aufgerüstet. Da laufen bizarre Gestalten rum, „Sendemasten auf zwei Beinen“, nahezu jeder filmt und fotografiert ohne jede Hemmung. Rechtlich mag das im Rahmen des Erlaubten sein, aber wohin wird es führen, wenn Marco Kurz via Lautsprecher seinen Leuten Informationen über die Bewohner bestimmter Häuser in Kandel und deren Zugehörigkeit als Kritiker seiner Aufzüge an die Hand gibt? Wir sehen seine Leute Klingel- und Briefkastenschilder abfotografieren. Da wird ganz bewusst gezeigt, „Wir sehen euch, wir wissen von euch, und wir müssen nicht lange nach euch suchen.“ Es wird subtil versucht zu drohen und einzuschüchtern. Und halten wir das mal fest, darunter sind Leute, die sich nicht schämen den Hitlergruß zu zeigen, während Kurz solchen Leuten suggeriert, mit ihrer Haltung im Recht zu sein.
Die Polizei und Kreisverwaltung mit Versammlungsbehörde, unter deren Augen das alles passiert, stehen nicht besser da. Da finden Entscheidungen statt, die nicht nachvollziehbar sind. Demorouten und Kundgebungsorte werden kurzfristig verlegt, untersagt oder auf anderer Seite genehmigt, es werden teils merkwürdige Dienstwege dabei beschritten. Ordner des Frauenbündnis lässt man gewähren, wenn sie fotografieren und filmen, während die einen auf Distanz gehalten und eingepfercht werden, können sich andere fast völlig frei zwischen den Kundgebungen bewegen und das für Provokationen nutzen. Ein Gegenprotest in Hör- und Sichtweite ist inzwischen kaum noch gewährleistet. Wohlwollend wird über Vieles hinweggesehen und das vermittelt den falschen Leuten ein noch falscheres Signal: Ihr tut nichts Falsches, ihr könnt euch im Recht fühlen.
Die einseitige Gewichtung spiegelt sich in der Arbeit der Behörden wider, aber auch dazu muss man sagen, dass der Fisch vom Kopf her stinkt. Landrat Fritz Brechtel sieht sich vermutlich als den Vermittler zwischen Interessen, versucht im besten Falle unparteiisch zu erscheinen, doch zum Schluss fallen Entscheidungen zu Gunsten derer, die Kandel gerne verschwinden sehen möchte. Daran ist Brechtel mitschuldig.
In einem Telefonat, das ich mit einer Kandeler Bürgerin führte, wurde etwas genauso Wichtiges wie Bedrückendes gesagt: „Es sind Freundschaften, die hier inzwischen kaputt gehen.“ Und das ist für einen Ort der Größe Kandels pures Gift. Dies durch das Agieren der beteiligten Akteure allein den antifaschistischen Protesten in die Schuhe zu schieben, ist zu einfach.
Für die Bürger in Kandel ist der Spielraum für Diskussionen darüber, wie man dem Treiben im Ort begegnet, längst aufgebraucht. Es gibt nur die Option des aktiven Gegenprotests, Botschaften, die in Fenstern hängen, zeigen zwar die Haltung, aber beeindrucken niemanden. Leider.
Das ist der Stand der Dinge in Kandel im Januar 2019.
Als ich einige Tage später Antworten auf Fragen, die ich auf Grund der Widersprüche zwischen mir geschilderten Ereignissen und der Pressemitteilung der Polizei vom 12.1., im Redaktionsauftrag an die Polizei stellte, musste ich staunen. Die Verletzten, die aus dem Angriff mit Pfefferspray und Schlagstock hervorgingen, sind der Polizei nicht bekannt. Sie äußert sich über den Widerspruch zur Pressemitteilung wie folgt:
„Über die Anzahl von Verletzten und den Umfang von Verletzungen gab es keine Hinweise. Daraufhin wurden sofort zwei Ermittlerteams an die Örtlichkeit zur Aufnahme des Sachverhaltes entsandt. Dort konnten allerdings keine Verletzten angetroffen werden. Trotz intensiver Nachfrage der Ermittler, gaben sich keine betroffenen Personen zu erkennen.“
Die Notwendigkeit des Einsatzes von Schlagstock und Pfefferspray überhaupt, erklärt die Polizei damit dem Versuch des Durchbrechens der Absperrung zur Robert Koch Strasse zu verhindern. Die „Absperrung“ bestand aus Polizeikräften, sie sollte ein Aufeinandertreffen gegnerischer Gruppen verhindern.
Dem widerspricht die Schilderung von Anwohnern und Beteiligten. Die Strasse wurde danach wieder frei gegeben. Dazu war ein Aufeinandertrefffen frühestens an der Einmündung zur Bahnhofstrasse möglich: das Frauenbündnis lief durch die Juststrasse, die Gegendemonstranten wollten den Weg durch die Robert Koch-Strasse nehmen. Der Kreuzungsbereich zur Bahnhofstrasse war für meine Begriffe ausreichend gesichert, und es wäre auch ausreichend gewesen nur hier zu sichern. Von den Gegendemonstranten ging keinerlei offene Aggression aus.
Den anfangs geschilderten Fall von Vermummung eines Frauenbündnis Teilnehmers kommentiert die Polizei so: „Im Fall von Straftaten bei Versammlungslagen, zu denen u.a. eine Vermummung zählt, ist ein sofortiges polizeiliches Einschreiten geboten. Das oben genannte Bild wurde, auch auf Nachfrage, weder am Versammlungstag noch bis heute für Ermittlungen zur Verfügung gestellt.
Nach dem Hinweis auf vermummte Personen wurden unverzüglich Einsatzkräfte mit der Überprüfung beauftragt. Es waren jedoch keine vermummten Personen mehr feststellbar. Nach einer Bildauswertung ergaben sich mittlerweile Hinweise auf eine mögliche Vermummung, was die Einleitung entsprechender Ermittlungen zur Folge hat.“
Richtig ist, dass das Bild nicht als Datei zur Verfügung gestellt wurde. Richtig ist aber auch, dass man das gerade mal einige Minuten alte Bild dem Mitarbeiter der Versammlungsbehörde noch vor Ort vorführte.
(Kommentar und Foto: d.k.)