Rojava-Demo: “Stoppt den Krieg – Keine Waffenlieferungen in die Türkei” [mit Bildergalerie]
Angespannte Stimmung bei Demo gegen Krieg – Polizei mit hunderten Beamt*innen im Einsatz
Mit ihrer Verbotsverfügung war die Versammlungsbehörde der Stadt Mannheim gescheitert. Am Samstag durften Gegner*innen des Türkei-Kriegs wie geplant durch die Mannheimer Innenstadt ziehen. Entgegen aller Befürchtungen blieb es friedlich. Dennoch war die Stimmung angespannt.
Verbotsverfügung substanzlos
Gegen die seit einigen Wochen geplante Demonstration „Stoppt den türkischen Angriffskrieg in Nordsyrien! Solidarität mit Rojava!“ hatte die Stadt Mannheim in Abstimmung mit der Polizei am Donnerstag eine Verbotsverfügung erlassen. Es wurde lediglich eine stationäre Kundgebung erlaubt. Der Aufzug durch die Innenstadt wurde aus Sicherheitsgründen untersagt.
Die Veranstalter*innen legten dagegen Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein. Die gut 40-seitige Begründung der Stadtverwaltung erwies sich als substanzlos. Wesentliche Begründung der Verbotsverfügung war die Befürchtung von Ausschreitungen zwischen nationalistisch orientierten, Erdogan-treuen Türk*innen auf der einen und emotional bewegten Kurd*innen auf der anderen Seite. Das Gericht sah diese allgemein gehaltene Begründung als nicht ausreichend und kippte das Verbot am späten Freitagnachmittag.
Die Veranstalter*innen, ein Bündnis aus mehr als 20 kurdischen, türkischen und deutschen Organisationen erklärte, dass sie ein Sicherheitskonzept vorgelegt hätten und die vergangenen Demonstrationen in Mannheim zum selben Thema weitgehend störungsfrei verlaufen waren.
„Die einzige Region, wo Menschen verschiedener Völker und Glaubensgemeinschaften friedlich zusammenleben können“
Gegen 14 Uhr versammelten sich einige hundert Teilnehmer*innen am Schloss zur Kundgebung. Die Polizei war zu Beginn in weit größerer Zahl vertreten und besetzte nahezu alle Straßen rund um das Schloss herum mit zahllosen Einheiten. Auf Nachfrage wollte das Presseteam keine genau Angabe zur Anzahl der eingesetzten Polizist*innen machen und blieb bei der Formulierung mehrere Hundert.
Die Demonstration verlief wie geplant durch die Breite Straße. Mit Parolen, wie „Es lebe Rojava“, „Deutsche Panzer raus aus Kurdistan“ oder „Erdogan Terrorist“ äußerten die überwiegend kurdischen Teilnehmer*innen ihre Wut gegen den türkischen Angriffskrieg auf die nordsyrische Autonomieregion. In kurzen Redebeiträgen wurden Passant*innen immer wieder über das Anliegen der Demo informiert. Rojava sei die einzige Region im Nahen Osten, wo Menschen verschiedener Völker und Glaubensgemeinschaften friedlich zusammenlebten. Der türkische Militärschlag wolle das demokratische Projekt auf einen Schlag vernichten, erklärte Gökay Akbulut, Bundestagsabgeordnete der Linken, die selbst einen kurdisch-alevitischen Hintergrund hat. Auf der Abschlusskundgebung am Alten Messplatz sprach Ali Atalan, ein ehemaliger Abgeordneter der HDP im türkischen Parlament, der von der verfahrenen Situation in der Türkei berichtete.
Störungen und Provokationen blieben aus
Während der gesamten Veranstaltung kam es zu keinen ernsthaften Störungen. Die Zahl derer die sich lautstark gegen die Kurd*innen äußerten, konnte man an einer Hand abzählen. Am Marktplatz hatte die Polizei eine regelrechte Barrikade aus Polizeifahrzeugen aufgebaut, die wie eine Mauer den Platz von der Fußgängerzone trennte. Auf der einen Seite die Demonstration, auf der anderen Seite – nichts. Wo sonst lebhaftes Markttreiben herrscht, war ein leergefegter Platz.
Es blieb bis zum Ende eine friedliche und störungsfreie Veranstaltung. Auch die Polizeisprecher*innen bestätigten zum Abschluss, dass es zu keinen relevanten Vorkommnissen kam. War dann der Einsatz den Umständen angemessen? Die Polizei sah sich in ihrer Strategie bestätigt. Durch die hohe Präsenz habe man alles unter Kontrolle gehabt.
Die andere Seite des massiven Polizeiauftritts ist die abschreckende Wirkung auf die Öffentlichkeit und eine Einschüchterung der Teilnehmer*innen. Die Fridays for Future Bewegung hat in den letzten Wochen gezeigt, welche gesellschaftliche und politische Kraft Straßenproteste erzeugen können. Die Situation in Rojava ist ähnlich. Weite Teile der deutschen Bevölkerung erkennen die offensichtliche Ungerechtigkeit des Krieges und kritisieren eine Mitverantwortung der deutschen Regierung. Dies hat bereits zum (vorsichtigen) Umdenken in der Großen Koalition geführt. Große Straßenproteste, wie bei Fridays for Future, würden den Druck noch einmal erhöhen.
Mit der Strategie einer polizeiliche Sonderbehandlung der Demos und der Deklaration des Konflikts als einen ausländischen zwischen Türk*innen und Kurd*innen, wird der Bewegung Wind aus den Segeln genommen. Passant*innen verließen aus Angst vor der Demo am Samstag die Fußgängerzone, wie sie auf Nachfrage erklärten. Der Grund dafür war die massive Polizeipräsenz. Die laut Polizei rund tausend Teilnehmer*innen stammten zum großen Teil aus der kurdischen Community, ein kleinerer Teil waren Unterstützer*innen von linken deutschen und türkischen Organisationen. Eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung blieb aus.
Wie geht es weiter mit Rojava?
Das demokratische Projekt Rojava scheint nach wenigen Jahren der Revolution gescheitert zu sein. Die drei zentralen Säulen des Projekts, Basisdemokratie, Frauenrechte und Ökologie, waren der islamisch-konservativen AKP in direkter Nachbarschaft zu ihrem Staatsgebiet eine zu große Gefahr. Zu riskant war offenbar die Bedrohung, dass die Demokratiebewegung auch in den kurdisch geprägten Regionen der Türkei zu neuen Freiheitsbestrebungen führen könnte.
Die Großmächte USA und Russland haben der türkischen Regierung ihren Segen erteilt. Der Einfluss der deutschen Regierung wird allgemein als gering eingeschätzt. Der relevante Beitrag Deutschlands zum Konflikt ist ohnehin bereits erfolgt. In den vergangen Jahren lieferte Deutschland Panzer und Waffen für zig Millionen Euro an die türkische Regierung, die nun im Krieg eingesetzt werden. Das von Gökay Akbulut geforderte Waffenembargo nach niederländischem Vorbild ist zwar richtig. Es käme aber zu spät.
Polizei sieht sich am Limit
Dass die Demonstrationen aufhören, davon ist jedenfalls nicht auszugehen. Auch wenn der türkische Sieg sicher scheint, wird sich der Krieg noch wochen- oder monatelang hinziehen. Beinahe täglich gibt es Meldungen über Hinrichtungen von kurdischen Politiker*innen, Bombeneinschläge in Wohngebieten, sogar chemische Waffen sollen laut kurdischen Nachrichtenagenturen eingesetzt werden. Das ARD Magazin Kontraste hat eine Zusammenarbeit der Türkei mit islamistischen Milizen, die für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, nachgewiesen. Viele fürchten in der chaotischen Situation ein Wiedererwachen der Terrororganisation IS, die eigentlich durch die kurdischen Milizen bereits besiegt war.
Aus seinen Plänen macht Präsident Erdogan kein Geheimnis. Es geht um eine ethnische Säuberung des Gebietes von Rojava. Nach Niederschlagung der atheistisch geprägten kurdischen Autonomieverwaltung will er islamisch orientierte Araber ansiedeln und in der Verwaltung einsetzen. Im türkischen Fernsehen sagte Erdogan zu seinen Plänen: „Wichtig ist, dass der Lebensstil in dieser Region unter Kontrolle gehalten wird. Die am besten geeigneten Leute dafür sind Araber. Der Lebensstil der Kurden ist dafür nicht geeignet.“
Die in Deutschland lebenden Kurd*innen bekommen täglich Horrornachrichten, viele direkt von Verwandten und Freund*innen aus der Krisenregion. Machtlosigkeit, Wut und Trauer treibt sie auf die Straße, wohl wissend, dass Deutschland durch die jahrelange, enge Zusammenarbeit mit der Erdogan-Regierung eine Mitverantwortung an der Situation trägt.
In Stuttgart gingen Kurd*innen in den letzten Wochen täglich auf die Straße, in Mannheim mehrmals in der Woche und in vielen weiteren Städten gab es ebenfalls Demos. Die Polizei klagt über Mehrbelastungen mit bislang 30 000 zusätzlichen Einsatzstunden und will künftig wegen mangelndem Personal mehr Pferde bei Demonstrationen einsetzen.
Der Konflikt scheint völlig verfahren, die Situation aussichtslos. Ob Demonstrationsverbote zum Nachteil der Kurd*innen hier der richtige Weg sind? Viele Betroffene dürften die Stadt Mannheim als verlängerten Arm des türkischen Regimes angesehen haben und das kann ja wohl nicht das Ziel solcher Maßnahmen sein. Der einzige Gewinner in diesem Chaos ist ohnehin Präsident Erdogan mit seiner autoritären AKP-Regierung, die von Konflikt zu Konflikt ihre Position in der Türkei festigt.
Repression nach Innen, Krieg nach außen – die Faschisierung der Türkei ist in vollem Gange.
(cki)
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