Kontroverse um BDS und Initiative GG 5.3 Weltoffenheit geht weiter – Leserbriefe
Ist das Engagement für „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ verwerflich und antisemitisch, da diese Initiative den Dialog bzw. Diskurs mit Unterstützern des BDS nicht von vornherein ablehnt? Ausgangspunkt für die öffentliche Sichtbarkeit des Konflikts ist die öffentliche Aufforderung von Oberbürgermeister Peter Kurz an den Schauspielintendanten des Nationaltheater Mannheim, Christian Holtzhauer, sich zu seiner Unterstützung der Initiative GG 5.3 zu erklären. Die Initiative wird von 35 anderen Leitern großer deutscher Kultureinrichtungen unterstützt. (KIM berichtete).
BDS (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) verlangt ein Ende der Besatzung des Westjordanlandes, der Golanhöhen und Ost-Jerusalems durch Israel, die Gleichberechtigung arabisch-palästinensischer Bürger Israels und ein Recht auf Rückkehr nach Israel für palästinensische Flüchtlinge und deren Nachkommen. Die BDS-Kritiker sehen in den Forderungen des BDS eine Infragestellung des Staates Israel.
Da die Kontroverse viele zum Teil sehr unterschiedliche Leserzuschriften erzeugt, werden wir die Leserzuschriften in diesem Artikel chronologisch (die neusten Zuschriften als erstes) dokumentieren, und durch neue Zuschriften jeweils ergänzen.
Der zeitlich zuerst eingegangene Leserbrief ist von Mathias Kohler.
Die zweite Leserbrief als direkte Entgegnung ist von Johannes Hauber.
(KIM Redaktion)
Leserbrief von Johannes Hauber (15.02.2021):
Der Leserbriefschreiber Mathias Kohler setzt den Aufruf der Bewegung „Boycott, Deinvestment, Sanctions (BDS) gegen das Besatzungsregime des israelischen Staates mit dem Aufruf der faschistischen deutschen Regierung „Kauft nicht bei Juden“ gleich. Daraus folgert er, BDS sei antisemitisch. Diese Gleichsetzung rassistischer Hetze eines faschistischen Staats mit einer Widerstandsbewegung von Unterdrückten ist nicht nur falsch, sondern eine politische und moralische Bankrotterklärung.
Was ist BDS?
Die Palästinenser befinden sich in einer Situation, die ihnen das Recht auf Widerstand gibt, weil ihnen fundamentale Menschenrechte verweigert werden und das Völkerrecht verletzt wird. Eine sehr große Zahl palästinensischer Organisationen schloss sich in der BDS-Bewegung zusammen, um mit gewaltlosem Widerstand ein Ende der israelischen Besatzung und eine dauerhafte Konfliktregelung zu erzielen. Denn alle vorhergehenden Ansätze zur Erreichung einer palästinensischen Selbstbestimmung hatten sich als wenig erfolgreich erwiesen. Weder Verhandlungen im Rahmen des Oslo-Prozesses, noch der bewaffnete „Widerstand“ der zweiten Intifada (2000-2005) oder der Rechtsweg – etwa das Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes von 2004 zu den israelischen Sperranlagen – hatten zu Fortschritten geführt.
Der BDS-Bewegung geht es um drei Ziele:
- Beendigung der nunmehr seit 54 Jahren fortdauernden Besatzung von Westjordanland, Gaza-Streifen und Ost-Jerusalem (sowie der syrischen Golan Höhen) und der Blockade Gazas;
- Gleichstellung der palästinensischen Bürger*innen mit jüdischen Bürger*innen Israels;
- Anerkennung des Rückkehrrechts der palästinensischen Flüchtlinge.
Alle drei Ziele der BDS-Bewegung sind im Völkerrecht verankert (insbesondere in Resolution 194 der UN-Generalversammlung, Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Genfer Konvention). Bezüglich der Flüchtlingsfrage hebt die BDS – Bewegung – wie auch die Oslo-Abkommen – hervor, dass eine Regelung notwendig ist und dass diese die Rechte der Flüchtlinge einbeziehen muss. Sie postuliert aber keineswegs, dass die tatsachliche Rückkehr alle Flüchtlinge nach Israel die einzige mögliche Umsetzung sei.
Die BDS-Bewegung distanziert sich dabei explizit von Antisemitismus. Sie ruft ausdrücklich nicht zum Boykott jüdischer Menschen auf, sondern derjenigen Israelis (gleich welchen Glaubens), die sich nicht von Besatzung und Diskriminierung distanzieren.
Weitere Informationen: https://bdsmovement.net/what-is-bds
Gegen den Vorwurf des Antisemitismus
Namhafte jüdische und israelische Akademikerinnen und Akademiker, darunter renommierte Holocaust-Forscherinnen und Forscher, – unabhängig von ihrer jeweiligen Haltung zu BDS – lehnen eine Gleichsetzung von BDS mit Antisemitismus ab und betonen das Recht jedes und jeder Einzelnen, BDS zu unterstützen.
http://bds-kampagne.de/2019/05/15/ein-aufruf-an-die-deutschen-parteien-bds-nicht-mit-antisemitismus-gleichzusetzen/
Mittlerweile haben mehrere Gerichtsurteile in verschiedenen Städten Deutschlands den pauschalen Antisemitismusvorwurf gegen BDS Aktivistinnen und Aktivisten zurückgewiesen.
Die Zeitschrift Kommunaljurist 2020/7 kommt in einer Rechtsanalyse, bezüglich von BDS-Beschlüssen in Städten, zu folgendem Fazit: „Den Anti-BDS-Beschlüssen kommt in dieser Hinsicht keinerlei rechtliche Relevanz zu. Sie sind lediglich Ausdruck einer populistischen Symbolpolitik.“ Das Verwaltungsgericht Köln hat 2019, der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) am 11. Juni 2020 und der Bayrische sowie der Hessische Verwaltungsgerichtshof haben in 2020 geurteilt, dass Veranstaltungen über die internationale BDS-Kampagne durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt sind. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam zum Ergebnis, dass der Bundestagsbeschluss (sowie entsprechende Beschlüsse auf Landesebene) keine Gesetzeskraft hat und daher nicht herangezogen werden kann, um das Grundrecht auf Meinungsfreiheit einzuschränken.
BDS-Beschluss des Deutschen Bundestages Angriff auf die Meinungsfreiheit
Frieden in Nahost?
M.K. stellt das Existenzrecht Israels in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. Dabei hat er offensichtlich weder die Menschen in Israel noch die in Palästina im Blick. Er präsentiert die offizielle israelische Lesart der nahöstlichen Geschichte und Gegenwart, ohne sich mit der Frage zu befassen, wie Frieden in Israel/Palästina hergestellt werden könnte.
Es wird keine Friedensregelung geben können, wenn die Lebenssituation der Palästinenser*innen nicht wahrgenommen wird. Ohne Friedensregelung gibt es aber auch für die jüdische Bevölkerung Israels keine Perspektive, selbst nicht, wenn auf die schrittweise Vertreibung der Palästinenser gesetzt würde.
Uri Avneri, den M.K. mit einer unglaubwürdigen Äußerung zitiert (er gibt keine Quelle an) (1), betont die unveräußerlichen Rechte der Palästinenser, er sagt: „Jeder zukünftige Friedensvertrag zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina muss einen Paragraphen einschließen, der besagt, dass Israel im Prinzip das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen anerkennt. Kein palästinensischer Führer könnte einen Vertrag unterzeichnen, der nicht diese Klausel enthält. Erst wenn dieses Hindernis beseitigt worden ist, kann die wirkliche Diskussion über die Lösung beginnen. http://www.uri-avnery.de/news/441/17/Das-schreckliche-Problem
Bereits 2001:
https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/das-recht-auf-rueckkehr-0
https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/das-recht-auf-rueckkehr
Ein Weg zu einem Friedensprozess würde nach Rolf Verleger voraussetzen, „dass Israel, vertreten durch seine Regierung, die Palästinenser für das Unrecht der Vertreibung und Enteignung von 1948 um Verzeihung bittet. Dann wäre ein Neuanfang möglich“ (R. Verleger, Hundert Jahre Heimatland).
Die Situation der Palästinenser*innen
Die israelische Friedensbewegung B’Tselem hat die Ausrichtung der politischen und rechtlichen Systeme im Gebiet zwischen Jordan und Mittelmeer als Apartheid bezeichnet, weil sie darauf ausgerichtet seien, die Vorrangstellung und Herrschaft der jüdischen Bevölkerungsgruppe sicherzustellen.
Gaza
Am untersten Ende, so der B’Tselem-Bericht, stehen die rund 2 Millionen Palästinenser*innen im zutiefst verarmten und blockierten Gazastreifen, wo der Staat Israel „faktische“ d.h. totale Kontrolle ausübt. Laut UNO ist die Schwelle der Unbewohnbarkeit in Gaza bereits überschritten. Ein normales Leben ist wegen der mangelhaften Infrastruktur – prekäre Versorgung mit Trinkwasser und Strom, fehlende Abwasserreinigung – der hohen Jugendarbeitslosigkeit und der mangelnden Gesundheitsversorgung nicht mehr möglich. Weitere Informationen zu Gaza: https://www.dw.com/de/gaza-leben-am-limit/a-43840936
Westbank
Eine Stufe darüber, so B’Tselem, stehen die rund 2,7 Millionen palästinensischen „Untertanen“ in der Westbank, die in Dutzenden unzusammenhängenden Enklaven zwischen jüdischen Siedlungen, unter strikter Militärherrschaft und ohne politische Rechte leben. Nach den in den 1990er Jahren im Zuge der „Oslo-Verhandlungen“ unterzeichneten Abkommen haben die Palästinenser*innen in der Westbank eine begrenzte Selbstverwaltung. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist allerdings immer noch Israel unterworfen und kann ihre begrenzten Befugnisse nur mit Israels Zustimmung ausüben.
Staatsgebiet
Auf der höchsten Stufe der Hierarchie stehen die palästinensischen Bürger*innen Israels, welche die Staatsbürgerschaft besitzen und etwa ein Fünftel aller Israelis ausmachen.
B’Tselem erklärt, dass auch diese Bürger*innen in der Hierarchie unter den jüdischen Bürger*innen stehen. Sie sind faktisch vom Landerwerb ausgeschlossen, und es gibt ein Gesetz, das jüdischen Menschen zusätzliche politische Rechte einräumt.
Jahrzehntelange Landbeschlagnahmungen und diskriminierende Planungsmaßnahmen haben die Palästinenser*innen mit israelischer Staatsbürgerschaft in dicht besiedelten Städten und Dörfern konzentriert. In vielen jüdischen Städte gibt es Zulassungsausschüsse, die Palästinenser effektiv davon abhalten, dort zu leben.
Gleichzeitig fördert die israelische Regierung das Wachstum und die Expansion jüdischer Gemeinden, von denen viele auf den Ruinen palästinensischer Dörfer errichtet wurden, die 1948 zerstört wurden. Der israelische Staat kontrolliert 93 Prozent des Landes. 13 % davon besitzt der Jewish National Fund (JNF). Eine Regierungsbehörde, die Israel Land Authority (ILA), verwaltet und teilt das staatliche Land zu. Fast die Hälfte der Mitglieder seines Leitungsorgans gehört dem JNF an, dessen ausdrückliches Mandat darin besteht, Land für Juden und keinem anderen Teil der Bevölkerung zu entwickeln und zu verpachten.
https://mannheimnahost.wordpress.com/2021/02/05/btselem-this-is-apartheid/
Im Jahr 2017 hatte die UN Economic and Social Commission for Western Asia als erstes UN-Gremium in Israel Apartheid, d.h. nach internationalem Recht ein Verbrechen, festgestellt.
Der jüdische Völkerrechts-Experte Richard Falk stellte in einem Bericht fest, dass Israel „ein Apartheid-Regime errichtet hat, welches das palästinensische Volk als Ganzes unterdrückt und beherrscht“. Nachzulesen unter: https://oldwebsite.palestine-studies.org/sites/default/files/ESCWA%202017%20%28Richard%20Falk%29%2C%20Apartheid.pdf
UN-Generalsekretär Gutiérrez distanzierte sich schnell von dem Bericht und ordnete seine Entfernung von der UN-Website an. Der Druck aus den USA hatte nicht auf sich warten lassen. Nachzulesen unter: https://www.timesofisrael.com/un-chief-requests-report-accusing-israel-of-apartheid-be-pulled-from-web/
[1] Anmerkung zum Zitat von Uri Avneri das Mathias Kohler anführt: Während seines langen Lebens hat Uri Avneri seine politische Meinung mehrmals geändert. Als Teenager war er ein rechtextremer Terrorist (was er später sehr bedauerte) und als zionistischer Knesset-Abgeordneter war er noch Zionist, pro jüdischer Staat. Er hat die Oslo-Abkommen unterstützt und die BDS-Kampagne abgelehnt, aber einen Boykott von Siedlungsprodukten unterstützt. Heute, immerhin noch 2017, hat er auch zur Flüchtlingsfrage eine Meinung, die konform zum Völkerrecht ist. Bei genauer Recherche hätte M.K. feststellen müssen, dass es notwendig ist, ein Zitat im Kontext wiederzugeben, zumindest mit Zeitangabe. (Diese Fußnote ist am 16.02.2021 ergänzt worden. Die Red.)
Johannes Hauber
Anmerkung des Kommunalinfo vom 19.02.2011: Der vollständige Text von Uri Avneri (“Die große BDS-Debatte”
vom 12. März 2016) ist unter folgenden LINK nachzulesen:
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/meinung/pmsp0546.html
Leserbrief von Mathias Kohler (12.02.2021):
Die BDS-Kampagne ist antisemitisch und kein Diskurs-Partner
Im Zusammenhang mit der Debatte wegen der Unterstützung der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, der „die Anwendung der BDS-Resolution des Bundestages große Sorge bereitet,“ durch den Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters wird teilweise eine Verharmlosung der antisemitischen BDS-Kampagne betrieben, der widersprochen werden muss.
BDS steht für Boykott, Desinvestment (Investitionsentzug) und Sanktionen. Die Kampagne wurde 2005 ins Leben gerufen und labelt sich als friedlich. Argumentiert wird im Gründungsaufruf von 2005 und bei den BDS-Aktionen im Namen der Menschenrechte, des Antirassismus und des Antikolonialismus. Die Taktik der weltweit agierenden Kampagne ist jedoch eine Taktik der Diffusität, die im Wesentlichen die Ziele hat, Israel das Existenzrecht abzusprechen, Jüdinnen und Juden zur Minderheit in Israel machen Gewalt und Antisemitismus zu fördern.
Ein Boykott von Israel ruft für viele Menschen zu Recht Erinnerungen an die antisemitischen Boykotte im Nationalsozialismus hervor. Omar Barghouti, ein führender Kopf der BDS-Kampagne formuliert unmissverständlich, dass die BDS-Kampagne sich nicht gegen die Politik Israels richte, sondern gegen Israel als Ganzes. Dies erlaube „Widerstand mit allen Mitteln, einschließlich des bewaffneten Widerstandes“, so Barghouti.
Wenn man auf der deutschen Website der BDS-Kampagne nach einer klaren Aussage zum Existenzrecht des israelischen Staats sucht, sucht man vergebens. Keine Aussage ist bekanntermaßen auch eine Aussage. Man findet nur eine krude Stellungnahme eines südafrikanischen Professors und BDS-Mitglieds vom Februar 2017. Ein paar Zitate daraus: „Die kalte historische Tatsache ist, dass Staaten kommen und gehen.“ „Das Dritte Reich, das tausend Jahre alt werden sollte, ist verschwunden.“ „Ich weigere mich, dem Druck nachzugeben, dass ich das Existenzrecht irgendeines Staates anerkennen muss.“ Jeder Anhänger, Verteidiger oder „nur“ Gesprächspartner der BDS-Kampagne muss wissen, dass die BDS-Kampagne das Existenzrecht Israels in Frage stellt.
Genau dieser Punkt ist von großer Bedeutung und eine zentrale Frage für den fast einstimmigen Beschluss des Mannheimer Gemeinderats vom 18. Dezember 2018. Die Nichtduldung von jeglicher Form des Antisemitismus und der Aufruf an „alle Mannheimer Bürgerinnen und Bürger, Konfessionen, Vereine, Vereinigungen und alle anderen öffentlichen Akteure in unserer Stadt auf, sich dieser Haltung anzuschließen,“ verpflichtet u.a. auch, den Claqueuren der antisemitischen BDS-Kampagne im wahrsten Sinne des Wortes keinen Raum zu geben. Wenn erfahrene politische Akteure, die die Hintergründe und eigentliche Zielsetzung der BDS-Kampagne sehr genau kennen, unschuldig mit den Augen klimpern und diese Kampagne als nur gegen die israelische Regierungspolitik gerichtet verharmlosen, dann versuchen sie einer eindeutig antisemitischen und antiisraelischen Kampagne einen Schleier umzulegen.
Und um es deutlich zu formulieren, es geht nicht darum, israel-kritische Diskussionen zu verhindern, es geht ausschließlich darum, keinen „Platz für die antisemitische Boycott, Divestment and Sanctions (BDS)-Bewegung in Mannheim“ zu schaffen. Es ist nachvollziehbar, wenn christliche Bildungseinrichtungen, Bürgerhäuser oder Hotels kritisch darauf achten, wen sie zu Gast haben oder auch nicht haben wollen. Apologeten der BDS-Kampagne dürfen sich angesichts der tatsächlichen Zielsetzung dieser Kampagne nicht wundern, wenn Ihnen nicht überall die Türen geöffnet werden.
Selbst der von Israel-Kritikern gern zitierte Uri Avnery (verstorben am 20.08.2018 in Tel Aviv), israelischer Journalist, Schriftsteller, Politiker und Friedensaktivist, der in drei Legislaturperioden als Parlamentsabgeordneter für unterschiedliche linke Kleinparteien Abgeordneter der Knesset war, für den Boykott ein legitimes Mittel im politischen Kampf war, und der früher selbst für den Boykott von Waren aus den Westbank-Siedlungen eingetreten war kennzeichnete die BDS-Bewegung als eine Bewegung, die “von palästinensischen Nationalisten initiiert, an die Weltöffentlichkeit gerichtet, ohne Rücksicht auf die israelischen Gefühle“ gegründet wurde.
Weiter schrieb er: „Die proklamierten Ziele von BDS sind drei: Beendigung der Besatzung und der Siedlungen, garantierte Gleichheit für die Araber innerhalb Israels, außerdem die Rückkehr der Flüchtlinge. Dies klingt harmlos, ist es aber nicht. Es erwähnt nicht Frieden mit Israel. Es erwähnt nicht die Zwei-Staaten-Lösung. Der Hauptpunk ist der dritte… Der Exodus der Hälfte des palästinensischen Volkes aus ihren Wohnsitzen im 1948er-Krieg – die zum Teil in einem langen, grausamen Krieg fliehend, zum Teil absichtlich vom israelischen Militär vertrieben wurde – es ist eine komplizierte Geschichte. Ich war ein Augenzeuge … Die hervorragende Tatsache ist, dass ihnen nicht erlaubt wurde, nach dem Ende des Krieges heimzukehren und dass ihre Häuser und ihr Land jüdischen Immigranten, viele von ihnen waren Flüchtlinge, die den Holocaust überlebten [überlassen wurde]. Diesen Prozess jetzt umzukehren, ist so realistisch, als ob man von den weißen Amerikanern verlangen würde, dorthin zurück zu kehren, wo ihre Vorfahren herkamen und das Land seinen ursprünglichen Besitzern zurückzugeben. Es würde die Abschaffung des Staates Israel und die Gründung des Staates Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordanfluss bedeuten, ein Staat mit einer arabischen Mehrheit und einer jüdischen Minderheit. …
Für einen waschechten Antisemiten der alten Schule ist BDS heute die einzige sichere Kanzel, von der sie ihre abscheulichen Prinzipien predigen können und zwar unter dem Mantel des Antizionismus und des Anti-Israelismus.“
Diesen Ausführungen von Uri Avnery ist nichts mehr hinzuzufügen.
Roger Waters, Mitbegründer der britischen Band Pink Floyd und ein prominenter Lautsprecher der BDS-Kampagne, der antisemitische Verschwörungstheorien vertritt, hat in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Shebab, die der islamistischen Terrororganisation Hamas nahe steht, zum Tod von George Floyd in Minnesota die Haltung vertreten, Amerikas „militarisierte Polizei“ habe ihre tödlichen Praktiken, namentlich das Luftabdrücken durch das Knien auf dem Opfer, von der israelischen Armee gelernt, wo dies angeblich gegenüber den Palästinensern praktiziert werde. Die USA flögen regelmäßig Experten aus Israel ein, die den Polizisten dort beibrächten, wie man schwarze Menschen in effizienter Weise umbringe, behauptete Waters. Der Zionismus sei ein „hässlicher Fleck“, den „wir vorsichtig entfernen müssen“, sagte der Frontmann der BDS-Bewegung. In einem selbst komponierten Lied hat er für „Befreiung Palästinas vom Jordan bis zum Meer“, d.h. zur Vernichtung Israels aufgerufen. Diese Hintergründe sollte man in Betracht ziehen, wenn man die BDS-Kampagne zwar ablehnt aber für diskursfähig hält.
Mathias Kohler