Verkehrs- vs. Wohnungspolitik: Wem gehört die Stadt?

Wohnen, Mobilität, öffentlicher Raum – die Lebensqualität in der Stadt ist veränderbar | Archivbild: KIM

Wohnen als Menschenrecht und Verkehr als beherrschender Faktor des öffentlichen Raums sind Politikfelder, die von einer Partei kommunalpolitisch in unterschiedlichem Maße beeinflusst werden können. Was passiert dazu von linker Seite in Mannheim?

Die Fraktion LTK (Die Linke – Tierschutzpartei – Klimaliste) im Gemeinderat Mannheim hat eine Reihe von verkehrspolitischen Anträgen und Anfragen gestellt. Auch für den kurz vor dem Beschluss stehenden Masterplan Mobilität Mannheim 2035+ haben sie und die Vorgänger-Fraktion LI.PAR.Tie. sich leidenschaftlich engagiert. Dass überhaupt ein Masterplan Mobilität über Jahre hinweg entwickelt worden ist und nun zum Beschluss kommt, ist v.a. auf das Engagement von Alt-Stadtrat Thomas Trüper und der linken AG Verkehr zurückzuführen. Dabei steht die Frage im Raum, ob dieses Engagement wirklich gerechtfertigt ist.

Die Partei Die Linke fand auf Bundesebene mit der Konzentration auf wenige Kernthemen von hoher Bedeutung für ihre Wählergruppen zurück in die Erfolgsspur. Ganz vorne dabei das Thema Wohnungsnot und hohe Mieten, seit vielen Jahren auch bei der Linken Mannheim und den Fraktionen mit linker Beteiligung im Gemeinderat ein Dauerbrenner. Entsprechend wird es dazu ebenfalls absehbar wieder Anträge und Anfragen geben. Das Problem in diesem Themenspektrum ist gegenüber der Verkehrspolitik zum einen die begrenzte Einflussnahme der Kommune auf den Wohnungsbau und die Mietenentwicklung, während die Verkehrspolitik in einem sehr viel größeren Maß von der öffentlichen Hand bestimmt wird. Zum anderen verfügt Mannheim über eine große und in großen Teilen sozial verantwortungsvoll handelnde kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die GBG, die etwas Druck aus dem Kessel nimmt. Nichtsdestotrotz gilt es, die GBG weiterhin in die richtige Bahn zu lenken und Fehlentwicklungen entgegen zu wirken. Weiterhin geht es hier auch im Zeithorizonte: Während sich verkehrspolitische Maßnahmen durchaus auch kurzfristig (im Zeitraum mehrerer Monate bis wenige Jahre) umsetzen lassen und ihre Wirkung entfalten, benötigen wohnungspolitische Maßnahmen viele Jahre. So vergehen zwischen erster Diskussion im Gemeinderat über städtebauliche Konzepte und Sozialquoten bis hin zu Fertigstellung und Bezug des besagten Quartiers gerne mal zehn Jahre, teilweise sogar mehr.

 Wohnungsnot und Mietenwahnsinn als drängendste Politikfelder

Trotz GBG und der (eher kosmetischen) Mietpreisbremse besteht in Mannheim schon länger ein angespannter Wohnungsmarkt, der es nicht nur einkommensschwächeren Menschen schwer macht, eine für sie noch bezahlbare Wohnung zu finden. Auch Menschen mit durchschnittlichem Gehalt finden kaum noch eine gute und bezahlbare Wohnung. Im Bestand steigen die Mieten, Neubauwohnungen werden kaum noch unter 14 €/qm angeboten. Der Mietspiegel 2025/2026 stieg um fast 8,4 % auf eine durchschnittliche ortsübliche Vergleichsmiete von 9,19 €/qm. In zentralen Lagen sind die Mieten oftmals deutlich höher. Auch die Nebenkosten steigen und machen einen immer größeren Anteil an der Gesamtmiete aus, was die Menschen zusätzlich belastet.

Der geförderte Wohnungsbau mit Sozialmieten hinkt abgeschlagen hinter dem Bedarf zurück. Daran haben auch die Konversionsgebiete wie Franklin oder Spinelli wenig geändert, da dort Sozialer Wohnungsbau nach wie vor eine untergeordnete Rolle spielt. Entgegen einem bundesweiten Trend ist die Zahl preisgebundener Sozialwohnungen in Mannheim seit 2021 leicht gestiegen – u.a. dank der Sozialquote, für die sich Die Linke starkgemacht hat. Dennoch werden mittel- und langfristig wieder deutlich mehr Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen als neue hinzukommen. Rund die Hälfte der Mannheimer Haushalte dürfte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, da die Einkommensgrenzen in BaWü relativ hoch liegen. Doch derzeit beträgt der Anteil Sozialwohnungen bzw. preisgebundener Wohnungen (5.350 Wohneinheiten) unter allen Wohnungen nur etwa 3,1 %.

Unter einem CDU-Bürgermeister wackelt die wenigstens für ein bisschen Entlastung sorgende Sozialquote von 30 Prozent für Neubauten. Dazu stockt der Wohnungsbau gerade insgesamt. Auf den Konversionsflächen liegen viele Baufelder brach. Die Schafweide ist seitens der Verwaltung nicht mehr für den Wohnungsbau vorgesehen, dem Collini-Center droht ein ähnliches Schicksal und könnte an den erstbesten Investor verscherbelt werden.

So weit, so schlecht. Immerhin liegt der Landesregierung Baden-Württemberg der Volksantrag „Mieten runter!“, für den allein in Mannheim weit über 1.000 Unterschriften gesammelt wurden, zur Prüfung vor. Auf kommunaler Ebene soll wieder verstärkt die Skandalisierung angegangen werden, verbunden mit klaren Forderungen an die Stadt: Mieten deckeln, mehr Sozialer Wohnungsbau, Grundstücke in öffentliche Hand (Bodenfonds), Spekulation und Wohnungsleerstand bekämpfen. Bereits im März beantragte LTK auf Initiative der Klimaliste-Stadträtin Jessica Martin die verstärkte Förderung für die Wärmewende einschließlich energetischer Sanierung, um einen der wichtigsten Klimaschutz-Bausteine für alle bezahlbar zu machen (A091/2025). Denn, wie oben erwähnt, sind es auch die immer weiter steigenden Nebenkosten, die Wohnen für viele unbezahlbar machen. Energetische Sanierungen sind daher sowohl aus Klima- wie auch Sozialaspekten unabdingbar, müssen aber entsprechend gefördert werden, um einerseits Kaltmieten nicht übermäßig steigen zu lassen und um andererseits „kleine“ Eigentümer:innen nicht im Stich zu lassen.

 Verkehrswende als Befreiungskampf

Ist da der Fokus auf die Verkehrspolitik, vordergründig ein aus Sicht vieler Menschen eher grünes Thema, nicht verfehlt? Dazu sei als Gegenfrage gestellt: Wem gehört die Stadt? So wie es ein Menschenrecht auf Wohnen gibt, so besteht ein Menschenrecht auf die gemeinsame und sozial gerechte Nutzung des öffentlichen Raums. Nicht nur Wohnen, sondern auch Mobilität ist Menschenrecht. Große Teile der Stadt (und der Welt) sind in Privateigentum. Doch die Mannheimer Straßen, Gehwege, Grünanlagen und Plätze sind öffentlich. Ihre Nutzung beeinflusst unseren Alltag, wie wir uns selbst fortbewegen und den Raum wahrnehmen. Hierzu gibt es in der Geographie zahlreiche Forschungen, u.a. mit sog. Mental Maps. Über Mobilität sprechen alle Menschen – egal, wie sie sich fortbewegen und welches Alter oder Geschlecht sie haben.

Auch wenn die meisten Erwachsenen über alle Klassen hinweg ein eigenes Auto nutzen – die Reichen allerdings meist mehrere – und häufig auch brauchen, um z.B. ihren Arbeitsplatz zu erreichen, stellt sich doch die eingangs gestellte Frage, wem die Stadt gehört. Denn der Autoverkehr beherrscht so umfassend den öffentlichen Raum in der Stadt, dass er zu einer Unterdrückung aller Verkehrsteilnehmer:innen ohne Auto (oder Motorrad) geführt hat. Der Platz, den Menschen für eine teilweise privilegierte Automobilität beanspruchen, nimmt anderen Menschen ohne Auto Platz weg. Die Fläche ist endlich: Das gilt nicht nur für Wohnungsbaugrundstücke, sondern auch für den öffentlichen Raum. Aus dieser Situation muss sich die Stadtgesellschaft befreien und sich eigene Lebensräume zurück erkämpfen – ein klassisch linkes Anliegen.

So ist es kein Zufall, dass an den lauten, abgasgeschwängerten Hauptverkehrsstraßen eher ärmere Menschen, nicht selten ohne eigenes Auto, wohnen, während mit wachsendem Vermögen die Wohngebiete ruhiger und grüner werden – mit mehr Platz für Doppelgaragen und Hofauffahrten für Zweit- und Drittwagen. Auch der ruhende Verkehr belastet den öffentlichen Raum: Es gibt kaum eine Straße in Mannheim, die nicht beidseitig zugeparkt ist, wodurch kaum Platz für den Fußverkehr oder Kinder mit dem Fahrrad bleibt. Schon die Forderung, die Gehwege wenigstens so weit frei zu lassen, dass Menschen mit Rollstühlen und Kinderwägen durchkommen, führt zu Proteststürmen bei den betroffenen Autobesitzer:innen. Das politische Engagement für die Verkehrswende ist also der Einsatz für mehr Lebensqualität in verkehrsbelasteten Wohngebieten und im öffentlichen Raum auch und gerade für gesellschaftlich benachteiligte Gruppen: Kinder, Senior:innen, Behinderte und einkommensschwache Anwohner:innen, die sich kein Auto leisten können oder wollen oder keines fahren können.

Die Verkehrswende darf jedoch kein Ausspielen der grundlegenden Interessen Aufenthaltsqualität versus Mobilität sein. Um beides voranzubringen, eröffnen sich gerade im kommunalen Bereich vielfältige Ansätze wie der Ausbau und die Taktverdichtung des öffentlichen Nahverkehrs, der auf lange Sicht kostenfrei werden soll, bessere Fahrrad-Infrastruktur, mehr Sharing-Angebote usw. In den letzten Monaten hat LTK dazu einige Anträge und Anfragen im Gemeinderat gestellt, die allesamt noch auf Antwort warten:

– Geschwindigkeitsmessungen in einer Spielstraße auf der Schönau (A184/2025)

– Neue Fahrradstraßen in der Schwetzingerstadt (A164/2025)

– Bewertung von Fahrradschutzstreifen (A155/2025)

– Ein Quartiersparkhaus am Kompaktbahnhof Neckarau (A156/2025)

– Umsetzung des BaWü-Landesmobilitätsgesetzes (A147/2025)

– Fahrradstellplätze in Innenstadt-Parkhäusern (A116/2025)

– S-Bahn-Haltepunkt Schönau bei der Bahn einfordern (A092/2025)

u.v.m.

Ziel muss es sein, die Abhängigkeit vom (eigenen privaten) Auto drastisch zu reduzieren oder gar zu beseitigen. Mehr sozial verträgliche und klimagerechte Mobilität ist auch mit deutlich weniger Autos möglich, v.a. innerhalb der Stadt. Die frei gewordenen Flächen, die heute für Pkw-Fahrstreifen und Parkplätze (allesamt meistens versiegelte Flächen) benötigt werden, können für Mobilitätsformen des Umweltverbundes genutzt werden, entsiegelt und begrünt werden und letztendlich den Menschen zurückgegeben werden, die über keinen eigenen Garten oder keine eigene Terrasse verfügen.

Verkehrs- und Wohnungspolitik bedeuten gleichermaßen dicke Bretter bohren und immer wieder Rückschläge hinnehmen zu müssen wie zuletzt der abgeräumte Verkehrsversuch Innenstadt, durch den der Durchgangsverkehr aus den Quadraten verbannt werden sollte. Oder die oben erwähnten Wohnungsbauprojekte Schafweide und Collini-Center. Aber die Geschichte lehrt uns, dass es sich trotzdem lohnt, auch auf kommunaler Ebene für die Ziele linker Politik unbeirrt einzutreten. Das sind wir den Menschen in Mannheim schuldig.

Autoren: Dennis Ulas ist Stadtrat für Die Linke Mannheim und fachpolitischer Sprecher der Fraktion LTK u.a. für Wohnen und Verkehr, Stephan Bordt ist LTK-Fraktionsgeschäftsführer und ebenfalls Mitglied der Linken