Thema Israel / Palästina: Schon wieder Canceln einer unerwünschten politischen Position
Absage eines Israel-kritischen aber Dialog-orientierten Wissenschaftlers durch die Mannheimer Abendakademie
Der aktuelle Vorgang betrifft die geplante Veranstaltung der Abendakademie Mannheim in Kooperation mit der Nahost-Gruppe Mannheim am 27. März 2024. Als Gastredner war Dr. Aref Hajjaj eingeladen.
Aref Hajjaj ist ein international geachteter und renommierter Wissenschaftler und Publizist und wird gerne gehört zum Nahost-Konflikt. Auf der Webseite des WDR steht zu seiner Vita: „Aref Hajjaj wurde im Februar 1943 in Jaffa/Palästina geboren. Nach der Vertreibung 1948 wuchs er in Beirut und Kuwait auf, bevor er in Heidelberg Politikwissenschaften, Geschichte und Völkerrecht studierte. Nach der Promotion arbeitete er im Deutschen Auswärtigen Amt als Übersetzer und Dozent für Arabistik und interkulturelle Kommunikation. Seit 2003 ist Hajjaj Vorsitzender des Palästina-Forums Bonn. Zuvor war er Vizepräsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.“
Was sind die Gründe für die Absage?
Auf der Webseite der Abendakademie war zu lesen:
„Diese Veranstaltung wurde von uns abgesagt. Als Volkshochschule sind wir Mitglied des Mannheimer Bündnisses für ein Zusammenleben in Vielfalt. Diesen Werten fühlen wir uns verpflichtet. Die Nahost-Gruppe Mannheim hat sich in der Vergangenheit nicht eindeutig von der BDS (die antisemitische Boycott, Divestment und Sanctions Bewegung) distanziert. Wir lehnen die BDS Bewegung aufgrund unseres Selbstverständnisses ab. Als Teil der städtischen Familie sind wir darüber hinaus dem Gemeinderatsbeschluss dazu vom Dezember 2018 verpflichtet. Aus diesen Gründen kann die Veranstaltung nicht bei uns im Haus durchgeführt werden.“
Die angegeben Gründe sollten hinterfragt werden. Die Nahostgruppe Mannheim hat sich in einer Erklärung zur Absage geäußert. Diese ist unten stehend dokumentiert. Da die Veranstaltung in Kooperation mit der Nahost-Gruppe geplant wurde, können Zweifel angemeldet werden, ob die Absage der Veranstaltung durch die Abendakademie in freien Stücken zustande gekommen ist.
Am Tage und zur Uhrzeit, als die Veranstaltung stattfinden sollte, fanden sich eine ganze Reihe Menschen ein, die die Veranstaltung besuchen wollten und von der Absage offensichtlich keine Kenntnis hatten. Im Foyer der Abendakademie wurde Stadtrat Volker Beisel (FDP) mit einigen anderen Herren gesichtet. Darauf angesprochen, ob seine Anwesenheit mit der geplanten Veranstaltung im Zusammenhang stehen würde, antwortete Beisel sinngemäß, dass die Veranstaltung nicht stattfinden könne, da ein Stadtratsbeschluss, der BDS betrifft, umgesetzt werden müsse. Der Referent sei eindeutig ein Befürworter von BDS.
Nicht nur die Nahost-Gruppe Mannheim sondern auch der Referent Aref Hajjaj sind also Stein des Anstoßes.
Langsam bekommt es in Mannheim eine Tradition. Das Canceln von unerwünschten Positionen im israelisch-palästinensischen Konflikt.
Canceln kommt harmlos rüber, ist aber schlimmer als ein offizielles Verbot. Ein Verbot kann rechtlich angefochten werden. Ein Canceln lässt den unerwünschten Vorgang einfach verschwinden, ohne sich damit in der Öffentlichkeit auseinandersetzen zu müssen.
Erst kürzlich im Februar konnte die Veranstaltung mit Charlotte Wiedemann („Den Schmerz der Anderen begreifen“) nur deshalb stattfinden, weil die Stadt keine Handhabe sah, den Mietvertrag mit dem Bürgerhaus Neckarstadt zu kündigen. Die künftige Devise der Stadt wird sein, keinen Mietvertrag mehr abzuschließen. Auch bei der Veranstaltung im Bürgerhaus stand neben der veranstaltenden Nahost-Gruppe die Referentin im Visier der Stadt und der Jüdischen Gemeinde. Angeblich würde Wiedemann relativierende Äußerungen bzgl. des Holocausts machen. Dies sei objektiv gesehen antisemitisch. Jeder, der sich mit dem Werk von Wiedemann auseinandersetzt, sollte wissen wie substanzlos und absurd dieser Vorwurf ist. Selbiges gilt für die Person Aref Hajjaj.
Israelkritik = Antisemitismus?
„Der israelische Historiker und Antisemitismusforscher Moshe Zuckermann meint, dass es nicht antisemitisch sei, Israels Politik zu kritisieren. Der Antisemitismusvorwurf sei eine politische Taktik, um Kritiker einzuschüchtern. Ungerechtfertigte Vorwürfe führen dazu, dass die Öffentlichkeit verunsichert werde und Schwierigkeiten habe, echten Antisemitismus zu erkennen und zu bekämpfen.“ (DLF Kultur, 6.3.2024)
Unterschiedliche Definitionen des Antisemitismus, hier seien vor allem die IHRA-Definition und die Jerusalem Declaration (JDA) erwähnt, erschweren die Einordnung dessen, was Antisemitismus sei.
Die Vorwürfe werden nicht belegt, sondern es werden Gerüchte gestreut.
Mit dem Verdacht, sich nicht genügend von BDS distanziert zu haben und damit des Antisemitismus verdächtig zu sein, wurden in der jüngsten Vergangenheit auch andere Veranstaltungen behindert oder verhindert und Personen unter Druck gesetzt. Erinnert sei nur an fünf weitere Vorgänge.
- Eine Ausstellung über das Vertreibungsschicksal der Beduinen in der Wüste Negev (Israel) in der Stadtbibliothek Mannheim, die für den November 2022 geplant war, wurde auf Druck der Stadtverwaltung verhindert.
- Der Musiker Joss Turnbull musste sich im Dezember 2023 von einer Verlinkung mit der jüdisch-US-amerikanischen Philosophin Judith Butler distanzieren, um einer Ausladung durch Zeitraumexit in Mannheim zuvorzukommen.
- Im November 2023 wurde die Fotobiennale 2024 in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg abgesagt. Einer der Kuratoren, Shahidul Alam, hat sich in einem Social-Media-Post „propalästinensisch“ gezeigt und den Gaza-Krieg Israels als Genozid bezeichnet.
- Der Schauspielintendant des Nationaltheaters Mannheim Christian Holtzhauer musste im Januar 2021 Abbitte und Selbstkritik leisten, um seiner Abberufung zuvorzukommen. Mit vielen anderen Intendanten und Kunstschaffenden hat er den Apell einer „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ unterzeichnet. Es geht darin mitnichten um eine Unterstützung von BDS, aber es geht um die Meinungsfreiheit, andere Positionen zuzulassen, und Offenheit für Denkräume zu verteidigen.
- Erst nach einstweiliger Verfügung konnte eine Veranstaltung im Oktober 2019 mit dem deutsch-jüdischen Arzt und Publizisten Rolf Verleger im Trafohaus stattfinden. Das Kommunalinfo schrieb hierzu: “Bei der Veranstaltung am 29. Oktober (2019) hat Rolf Verleger deutlich gemacht, dass BDS für ihn im Prinzip gar kein Thema sei. Aber es ist ein Thema für Palästinenser, und das müsse man zu Kenntnis nehmen. Die notwendige Diskussion um dieses Thema wird auch in Mannheim geführt werden müssen. Es wäre fatal, diese Diskussion mit Verboten zu torpedieren.”
Diese Liste von gecancelten Personen und von Veranstaltungen, die nicht oder erst nach Gerichtsbeschluss stattfinden konnten, ließe sich um etliche Fälle erweitern. Man muss nicht mit allen Betroffenen einer Meinung sein. Was allerdings bedenklich stimmt, dass die Auseinandersetzung mit den Betroffenen erst nicht versucht wird. Stattdessen wird gecancelt. Mit dem härtesten aller Vorwürfe, dem Antisemitismusvorwurf. Nur sehr wenige widersprechen solchen Vorwürfen, da man selbst damit in Verdacht gerät, angeblich antisemitisch zu sein. Wo bleibt da die demokratische Gesprächskultur?
Was ist diesen geschilderten Fällen gemeinsam?
Alle gecancelten Personen sind aus dem linken oder linksliberalen und demokratischen Spektrum. Personen wie Hajjaj und Wiedemann kämpfen um eine Gesprächsebene zwischen Israelis und Palästinenser und versuchen die Sprachlosigkeit zu überwinden. Wie infam mag es da erscheinen, diese Positionen als antisemitisch zu diffamieren?
Die fatale Wirkung des Anti-BDS-Beschlusses des Mannheimer Gemeinderats
Der Anti-BDS-Beschluss des Mannheimer Gemeinderats vom 18.12.2018 ist in einem ähnlichen Duktus gehalten wie ein diesbezüglicher Beschluss des Bundestags. Das macht ihn aber auch nicht besser. Er gibt vor, „jegliche Form von Antisemitismus“ nicht zu dulden, und alle Aktivitäten, die im Zusammenhang mit BDS stehen „aufs schärfste“ zu verurteilen und entgegenzutreten.
In der praktischen Anwendung richtet sich der Beschluss jedoch nicht gegen rechte und wahrhaft antisemitische Positionen. Er richtet sich auch nicht gegen das Stattfinden Veranstaltungen rechter Parteien wie der AfD. Er richtet sich stattdessen gegen jegliche Form von Kritik, die die aktuelle israelische Politik in Frage stellt. Die fatale Wirkung des Beschlusses des Mannheimer Gemeinderats wird bei allen hier geschilderten Vorgänge deutlich. Eine Revidierung dieses Beschlusses ist angesagt!
Roland Schuster
Erklärung der Nahost-Gruppe Mannheim (27. März 2024)
Maulkorb für Israel/Palästina: Abendakademie sagt Veranstaltung ab.
Die Welt empört sich über die unvorstellbaren Grausamkeiten, die Israel den Menschen in Gaza antut, u.a. mit deutschen Waffen. Ein Vortrag über die Gesamtsituation und Perspektiven in Israel und Palästina ist in Mannheim jedoch unerwünscht. Die Mannheimer Abendakademie hat den für heute geplanten und von der Nahostgruppe Mannheim organisierten Vortrag von Aref Hajajj abgesagt. Sein Thema: Gibt es trotz der blutigen Eskalation Aussichten auf ein friedliches Zusammenleben?
Die Abendakademie begründet ihre Absage mit ihrer Verpflichtung auf die „Mannheimer Erklärung für ein Zusammenleben in Vielfalt“ und damit, dass die Nahostgruppe Mannheim „sich in der Vergangenheit nicht eindeutig von BDS (Bewegung für Boykott, Investitions-Entzug und Sanktionen) distanziert“ habe.
Welche Vielfalt?
Die Nahostgruppe Mannheim bekennt sich seit ihrer Gründung 2019 zur Mannheimer Erklärung, wurde aber vom „Bündnis für Vielfalt“ mit fadenscheinigen Gründen abgewiesen. Es hieß, sie engagiere sich für ein „außenpolitisches Thema“, nicht ein Thema der Stadtgesellschaft. In jüngster Zeit hat jedoch kaum ein anderes Thema Mannheim so sehr bewegt wie der Palästinakonflikt! Die zahlreichen Informationstische, Mahnwachen und großen Demonstrationen der mit Palästina solidarischen Menschen– all dies bleibt von dieser „Vielfalt“ ausgeschlossen. Dialogangebote der Nahostgruppe werden ignoriert. Oder es wird versucht, sie zu unterbinden, – wie jetzt und vor kurzem bei der Veranstaltung mit der Publizistin Charlotte Wiedemann.
Zur Mannheimer „Vielfalt“ zählen nicht die zahlreichen Palästinenser:innen und die besonders betroffenen Menschen aus Gaza, die in Mannheim mit uns leben. Viele davon sind deutsche Staatsbürger. Ihr Leiden zählt nicht, nicht für den „Mannheimer Morgen“ und nicht in der öffentlichen Debatte. Nein, Mannheimer sollen möglichst wenig erfahren, was sie vom proisraelischen Kurs der deutschen und Mannheimer Politik abbringen könnte! Man hört sogar unverhohlenes Bedauern darüber, dass die Rechtslage keine bessere Handhabe zur Unterdrückung der „Straße“ gibt, auf die die Palästinasolidarität ausweichen muss. Klingt fast wie: Verdammte Meinungs- und Versammlungsfreiheit!
Die Raumverbote mit Verweis auf Anti-BDS-Beschlüsse politischer Gremien sind rechtlich nicht haltbar.
So urteilte u.a. das Bundesverwaltungsgericht am 20.01.2022:
„Die Beschränkung des Widmungsumfangs einer kommunalen öffentlichen Einrichtung, die deren Nutzung allein aufgrund der Befassung mit einem bestimmten Thema ausschließt, verletzt das Grundrecht der Meinungsfreiheit.“
Was ist BDS?
BDS ist eine weltweite gewaltfreie Bewegung zur Durchsetzung der Menschenrechte und des Völkerrechts für alle Palästinenser:innen. Sie wurde 2005 nach dem Vorbild der erfolgreichen Boykottbewegung gegen das Apartheidregime in Südafrika gegründet und wird getragen von einer sehr großen Koalition palästinensischer Gewerkschaften, Massenorganisationen, Flüchtlings-Netzwerke und NGOs. BDS lehnt alle Formen von Rassismus einschließlich Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ab. Die Bewegung richtet sich gegen Institutionen und Veranstaltungen, welche die israelische Politik der Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen unterstützen. Sie richtet sich nur dann gegen Personen, wenn diese selbst als Vertreter dieser Politik auftreten oder sich dafür instrumentalisieren lassen.
Was ist daran auszusetzen?
Das Recht auf Boykott ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausdrücklich anerkannt worden. Weltweit bejahen über 40 jüdische Organisationen die BDS-Bewegung.
Die israelische Regierung bekämpft BDS und nutzt dafür das Stigma des Antisemitismus. Dies ist das übliche Vorgehen bei ernsthafter Kritik an der israelischen Politik. Ungeprüft haben sich dieser Propaganda 2018-19 mehrere deutsche Stadträte – auch Mannheim – sowie der Bundestag angeschlossen. Der Mannheimer Gemeinderat verstieg sich dabei sogar zur Gleichsetzung von BDS mit dem nationalsozialistischen Aufruf „Kauft nicht bei Juden!“. Die rassistische Hetze eines faschistischen Staats mit einer Widerstandsbewegung in illegal besetzten Gebieten gleichzusetzen, ist nicht nur falsch, sondern eine politische und moralische Bankrotterklärung. Der Beschluss wurde mit der Aufforderung verbunden, diese Bewegung in keiner Form – beispielsweise durch Vergabe öffentlicher Räume – zu unterstützen.
In Mannheim gibt es bisher keine BDS-Aktivitäten. Auch die Nahostgruppe Mannheim ist keine BDS-Gruppe. Wir wenden uns jedoch entschieden gegen eine Beschränkung der Meinungsfreiheit in Diskussionen über Israel und Palästina. Wir setzen uns gegen Rassismus in allen Ausprägungen ein.
Mit den Blamagen, die sie juristisch bisher bei den Unterdrückungsversuchen der Palästinasolidarität einstecken musste und weiter erleiden wird, tut die Stadt ihren Bürgern keinen Gefallen!
Der Anti-BDS-Beschluss des Stadtrats muss weg!
Wer Antisemitismus ernsthaft bekämpfen will, kann das nicht mit politisch und juristisch unhaltbarer Unterdrückung berechtigter und sehr notwendiger Kritik an Israel!