DIE REISE NACH MANNHEIM – ankommen statt umkommen
Zum Tag der Menschenrechte am 10.12.2016 organisierte Save-me Mannheim in der Justus-von-Liebig-Schule auf Einladung der Schule und unterstützt von vielen Kooperationspartner*innen eine Veranstaltung. Zu Beginn erinnerte die Moderatorin Anna Barbara Dell an den Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948, in dem es nach den Erschütterungen des zweiten Weltkrieges heißt: „Jeder hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“. Die grundlegenden Rechte von Schutz suchenden, verfolgten und diskriminierten Menschen wurden 1951 in der Genfer Flüchtlingskonvention niedergelegt und ausgeweitet.
Heutzutage sei das Asylrecht als individueller Schutzanspruch in Europa längst ausgehöhlt und für viele Gruppen auch in Deutschland fast abgeschafft, was beispielhaft anhand der veränderten Rechtslage des sog. „subsidiären (nachrangigen) Schutzes“ für aus Syrien und Afghanistan geflohene Menschen erläutert wurde.
Im ersten Teil der Veranstaltung berichtete Reinhard Schmitz, Kapitän des Seenotrettungsschiffes Sea-Watch von seinen Erfahrungen. Sea-Watch ist eine Initiative von Freiwilligen, die dem Sterben der flüchtenden Menschen im Mittelmeer nicht mehr tatenlos zusehen wollen. Reinhard Schmitz las u.a. aus seinem Tagebuch vom Sommer 2016:
„6. Juli: Schlauchboot mit 130 Männern, Frauen und Kindern geborgen. Viel medizinische Versorgung notwendig. Meine Gedanken heute: Einen Mann, am ganzen Leibe zitternd vor Angst, halte ich in meinen Armen. Bekleidet mit einer alten, labbrigen Unterhose, triefend nass von Salzwasser. Keine Schuhe, kein Hemd, keine Strümpfe, kein Pass, kein Geld, gar nichts. So sehen die Wirtschaftsflüchtlinge aus, die sich an unserer Sozialversorgung bereichern wollen, klingen mir die Sprüche der Satten und sozial Versorgten in den Ohren.
- Juli: Bin nach 17 Stunden Dauereinsatz völlig fertig. Haben seit drei Uhr früh ca. 3.500 Menschen geborgen. Viele Tote. Das Meer war voller fliehender Boote. Soweit das Auge reichte. Hatten keine Rettungswesten mehr. Wann hört dieser Wahnsinn auf.“
Reinhard Schmitz klagte alle offiziellen im Mittelmeer stationierten europäischen Sicherheitskräfte und Marieneinheiten an, keines dieser Schiffe sei an der Rettung der Menschen aus Seenot, sondern ausschließlich an der Sicherung und Abschottung von Europas Grenzen interessiert. Meist werden Menschen, die auf völlig maroden Booten schlingernd dem Tod nahe sind, von vielen Militär- und Sicherheitsschiffen, die retten könnten, einfach ignoriert. Immer wieder gebe die Politik vor, den Schleppern und Schleusern das Handwerk legen zu wollen. Fakt aber sei, dass das Geschäft der Schleuser enorm floriere und sogar den Drogenhandel überrundet habe. Die einzigen Kräfte, die für die Rettung von Menschen präsent sind, seien privat organisierte und finanzierte Schiffe, auf denen freiwillige Ärzt*innen sowie technisch und logistisch versierte Leute meist Wochen- oder monatelang den lebensrettenden Dienst tun.
In diesem Jahr (2016) sind trotz der Einsätze von Freiwilligen über 4600 Menschen im Mittelmeer ertrunken, das seien aber offizielle Zahlen, die tatsächlichen sind unbekannt. In der lebhaften Diskussion nannte Reinhard Schmitz einen wichtigen Grund für die Zunahme von Toten im Mittelmeer: völlig seeuntüchtige Boote aus China, die von den Schleppern eingesetzt werden, um Geld zu sparen.
Nach diesen Informationen war es emotional schwer, zum nächsten Teil der Veranstaltung überzugehen. Save-me zeigte nach dem Bericht von Sea-Watch ein Kurzvideo der griechischen Fotografin Dimitra Stasinopoulou. Es vermittelte ein eindrückliches Bild von geflüchteten Menschen, die in Griechenland „gestrandet“ sind. Die Bilder zeigten nicht nur traurige und abwesende Blicke, sondern auch Fröhlichkeit und Zuversicht, insbesondere in den Kindergesichtern. Man konnte erahnen, wie erleichtert die Menschen sein mussten, dem Mittelmeer entronnen zu sein. Es wurde aber auch sichtbar, dass die Zustände in Griechenland für die Geflüchteten alles andere als gut sind. Eine Bekannte der Fotografin, die anwesend war, machte deutlich, dass nach der Schließung der Balkanroute über 60.000 Menschen in Griechenland festsitzen. Es gibt dort keine angemessene medizinische Versorgung, die Verpflegung ist miserabel. Griechenland, das jahrelang auch durch deutsche Spardiktate ausgezehrt wurde, ist kaum in der Lage, die eigene Bevölkerung zu versorgen. Trotz der eigenen Not versuchen viele Griechen dennoch, den geflüchteten Menschen zu helfen. Sie beklagte insbesondere, dass das Land kaum mehr in der Lage sei, seine von alters her bekannte Gastfreundschaft auszuüben.
Im Anschluss fand eine moderierte Gesprächsrunde mit zwei geflüchteten Schüler*innen der Justus-von-Liebig-Schule sowie mit der Schulleiterin Frau Ruiner statt.
Der junge Mann aus Afghanistan hat bereits die Schule erfolgreich abgeschlossen, eine Lehrstelle in der Metallindustrie angetreten, die Gesellenprüfung abgelegt und spart derzeit, um seinen Meister zu machen. Also ein sehr gelungenes Beispiel von sog. „Integration“.
Das Mädchen aus Eritrea berichtete hauptsächlich von seiner Fluchtgeschichte, die zu Herzen ging. Nach dem Hauptschulabschluss möchte die junge Frau eine Ausbildung als Krankenschwester beginnen, ein Praktikum im Krankenhaus hat sie bereits absolviert.
Zum Schluss erläuterte die Schulleiterin Frau Ruiner, was sie motiviert, die Schule zu führen. Das besonders große Engagement dieser Schule und Schulleitung war den ganzen Abend über spürbar, sei es durch die Herzlichkeit der Ansprache, das leckere Fingerfood, das5we4 ein Lehrer mit anwesenden Schülern selbst gebacken hatte oder auch die Freundlichkeit des Raumes.
Frau Ruiner informierte die Anwesenden knapp aber umfassend über Schülerzahlen, Angebote und Abschlüsse der Justus-von-Liebig-Schule. Es wurde deutlich, dass diese Schule sehr erfolgreich insbesondere geflüchtete Schüler*innen nicht nur aufnimmt, sondern auch meist zu einem erfolgreichen Abschluss führt. Das ist zum großen Teil Verdienst von motivierten Lehrer*innen und der Leitung. Frau Ruiner wies allerdings darauf hin, dass es immer noch nicht möglich sei, qualifizierte Schüler*innen, die geflohen sind, in Gymnasien aufzunehmen. Denn die Ausbildungen aus den Fluchtländern würden nicht anerkannt und seien meist nicht kompatibel. Haupterschwernis allerdings sei die deutsche Sprache, denn ohne Beherrschung derselben sei ein Abschluss in einer Berufsschule undenkbar.
Am Ende sagte Frau Ruiner: “Ziel sollte doch sein, dass die jungen Menschen auf eigene Füße kommen und eine Arbeit finden, von der sie leben können.”
Viele der zirka 70 Anwesenden zeigten sich von der Veranstaltung beeindruckt.
(and)