Aktionstag in der Bahnindustrie Das System Schiene stärken – Arbeitsplätze sichern – Auch Mannheimer Betriebsrat von Bombardier unterstützt die Erklärung – Unterschriftensammlung der Kolleginnen und Kollegen
Die Bahnindustrie befindet sich im Wandel, der globale Wettbewerb hat sich verschärft.
Auf einem von der IG Metall organisierten Aktionstag in den Betrieben der Bahnindustrie
setzen Beschäftigte und Betriebsräte ein starkes Zeichen, die Zukunft der Bahnindustrie
zu sichern. Jürgen Kerner, Hauptkassierer der IG Metall, fordert von der neuen
Bundesregierung, einen Bahnkoordinator einzuführen.
Als er heute Morgen aufgewacht ist, früh um halb sechs, war sie wieder da, diese Unruhe,
diese Anspannung, eine untergründige Sorge. So ist das jetzt oft, wenn er zur Arbeit fährt.
“Wir sind hier alle nervös, wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Wie sicher auf lange
Sicht unsere Arbeitsplätze sind”, sagt Andre Jansen. “Das ist belastend. Wir müssen
etwas tun.”
Deshalb steht der 36-Jährige jetzt hier, deshalb stehen seine Kolleginnen und Kollegen
jetzt hier – insgesamt 600 Beschäftigte, die sich an diesem kalten Morgen vor dem
Werkstor von Siemens in Krefeld versammelt haben. Und nicht nur dort: Unter dem Motto
“Bahn bewegt Zukunft” organisierte die IG Metall einen Aktionstag in den Betrieben der
Bahnindustrie.
An vielen deutschen Standorten in der ganzen Republik, bei Bombardier in Berlin ebenso
wie bei Alstom in Salzgitter, kamen heute Beschäftigte zusammen: Sie halten
Transparente in der Hand, auf denen “System Schiene stärken – Arbeitsplätze sichern”
steht, sie heben Plakate in die Höhe, auf denen sie verstärkte Investitionen in ihre Branche
einfordern. Sie setzen ein starkes Zeichen, die Zukunft der Bahnindustrie zu sichern.
Bahnindustrie im Wandel
Der Handlungsbedarf ist gewaltig, die Herausforderungen sind es auch: Die Bahnindustrie
befindet sich in einem Wandel, spätestens nach der Fusion der beiden größten
chinesischen Zughersteller zum Giganten CRRC hat sich der Druck nochmals massiv
verschärft. Hersteller und Zulieferer entlang der gesamten Wertschöpfungsketten sind vom
schärfer werdenden Wettbewerb betroffen. Das aber hat Auswirkungen auf die deutsche
Bahnindustrie.
Schon seit längerem steckt der Hersteller Bombardier in einer harten Umstrukturierung,
viele Arbeitsplätze sind in Gefahr. Ende September gab Siemens bekannt, seine
Zugsparte mit dem französischen Anbieter Alstom zusammenzulegen. IG Metall und
Arbeitnehmervertretern gelang es, im Vorfeld Vereinbarungen auszuhandeln, die den
Beschäftigten fürs Erste Sicherheit geben: Mit den getroffenen Standortgarantien von vier
Jahren, einem Verzicht auf Kündigungen für mindestens vier Jahre, den Erhalt der
Mitbestimmung sowie der Absicherung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in
Deutschland und Frankreich ist eine Basis gelegt.
Allein mit diesen Vereinbarungen aber, das ist auch den Beschäftigten klar, werden die
Arbeitsplätze in Zukunft nicht zu halten sein. “Dazu braucht es mehr”, sagt Andre. “Wir
müssen das gesamte System Schiene stärken.”
Offensive für die Schiene
Wie das aussehen kann, was dazu nötig ist, das machte Jürgen Kerner vor Beschäftigten
am Siemens-Standort Krefeld und am Nachmittag bei Alstom in Salzgitter
unmissverständlich deutlich. “Um Arbeitsplätze in der Branche langfristig zu sichern,
braucht es zukunftsweisende Konzepte für die einzelnen Standorte und dazu neue
Produkte und Investitionen”, betonte Kerner, der als geschäftsführendes Vorstandsmitglied
die Branchenpolitik der IG Metall auch für die Bahnindustrie verantwortet. “Wir brauchen
eine Offensive zur Sicherung und Stärkung unserer Arbeitsplätze, Standorte und
Wertschöpfungsketten.”
Heinz Spörk sieht das genauso. Der Betriebsratsvorsitzende von Siemens-Krefeld steht
neben Kerner, er kennt die Sorgen, Ängste, die Unsicherheiten der Kolleginnen und
Kollegen sehr genau – in den vergangenen Tagen hat er jede freie Minute mit der
Belegschaft gesprochen. “Die Beschäftigten wollen Sicherheit, sie brauchen
Perspektiven”, sagt der 59-Jährige. “Wir als Betriebsräte bringen uns deshalb aktiv in die
Gestaltung unsere Branche ein. Das machen wir natürlich standorts- und
unternehmensübergreifend.”
Zum Aktionstag haben die Betriebsräte der IG Metall in der Bahnindustrie ihre
Forderungen auf den Punkt gebracht und eine “Gemeinsame Erklärung” veröffentlicht.
“Wir erwarten von den Unternehmen Investitionen in Fachkräfte und neue Produkte”, sagt
Thomas Ueckert, der Betriebsratsvorsitzende von Alstom in Salzgitter. Dazu sei es
dringend nötig, “kleinkarierte Sparmaßnahmen” aufzugeben, sagt Michael Wobst, der
Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Bahnsparte von Bombardier.
“Wir erwarten mutige Entscheidungen für Innovationen in Deutschland.” Die seien nicht
nur für den Fortbestand der einzelnen Standorte wichtig. “Wir brauchen sie auch für die
integrierte Mobilität der Zukunft”, sagt Heinz Spörk. Moderne Mobilitätskonzepte seien
ohne die Schiene nicht zu denken. “Eine starke Bahnindustrie schützt überdies Klima
sowie Gesundheit.”
Branchenkoordinator für die Bahnindustrie
Der Markt alleine jedoch wird es nicht richten können. Das betonte Jürgen Kerner vor
Beschäftigten in Krefeld. “Die Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel stehen in der
Pflicht, für Deutschland und Europa eine innovations- und beschäftigungsorientierte
Branchenpolitik mitzugestalten”, so der Hauptkassierer der IG Metall. Dazu gehöre ein
Branchendialog für Eisenbahn und Bahnindustrie mit Politik, Arbeitnehmern, Arbeitgebern
und Forschung, der Transparenz schafft und gemeinsame Strategien klärt.
“Und wir brauchen, wie in der Luft- und Raumfahrtindustrie schon lange bewährt, einen
Branchenkoordinator der Bundesregierung, der auf Staatssekretärsebene Bahnindustrie
und Bahnbetrieb zusammendenkt und die Aktivitäten der Ministerien bündelt. Das muss
fest im Koalitionsvertrag verankert werden.”
Notwendig sei gleichzeitig die Einrichtung eines nationalen Forschungsprogramms für die
Bahnindustrie. Dieses würde Unternehmen und Arbeitsplätzen zugutekommen. Auch
müsse eine faire Auftragsvergabe der öffentlichen Hand und der Deutschen Bahn
gewährleistet werden, um die industriellen Wertschöpfungsketten in Deutschland und
Europa zu sichern. Schließlich, darauf verwies Jürgen Kerner in Krefeld, stünden auch die
Betriebe in der Pflicht. “Die Sicherung von hochqualifizierten Fachkräften durch Aus- und
Weiterbildung ist eine Kernaufgabe der Unternehmen”, betonte der Hauptkassierer der IG
Metall. “Allerdings müssen sie in Zeiten zunehmender Digitalisierung von der öffentlichen
Hand unterstützt werden.”
IG Metall, 07.11.201