Hanau-Gedenkveranstaltung in Mannheim: 6 Monate nach dem terroristischen Anschlag am 19. Februar
Die Stadt Hanau (Hessen) hatte kurzfristig die bundesweite und zentrale Gedenkveranstaltung, für die neun Menschen mit Migrationshintergrund, die am 19.02.2020 durch einen bis dato damals von den Behörden nicht wahrgenommenen und mutmaßlichen Rechtsterroristen Tobias R. ermordeten Personen verboten. Erwartet wurden bis zu 5000 Menschen. Aufgrund der in jüngster Zeit in Hanau auftretenden und steigenden Corona-Infektionsfälle sah die Stadtspitze keine andere Möglichkeit, als das Verbot. Die zentrale Gedenkveranstaltung, so Berichte, soll zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden.
Anteilnahme aus dem Rhein-Neckar-Raum
Die iL-Rhein Neckar und die Seebrücke Mannheim hatten geplant mit Interessierten zusammen im Zug am 22.08.20 nach Hanau zu fahren. Bereits am 19.08.20 fand eine gut besuchte Gedenkveranstaltung auf dem Mannheimer Marktplatz statt.
Aufgrund der Verbotsverfügung in Hanau trafen sich in Mannheim am letzten Samstag rund 70-80 Personen am Neumarkt in der Neckarstadt-West. Reden gab es keine. Über Lautsprecher übertragen wurde der Audio-Live-Stream (Link zum Stream weiter unten) einer, von der Teilnehmerzahl klein gehaltenen, Versammlung in Hanau.
Dort sprachen u.a. Angehörige der ermordeten Opfer. Niederschlag fanden diese in ihren Äußerungen (sinngemäße Zitate folgend), die neben Verlustgefühlen, auch deutliche Kritik und Forderungen formulierten:
„Struktureller Rassismus“, „Behördenversagen“, „Rassisten entwaffnen“
Aber auch Dankesworte wurden gesprochen. Diese richteten sich zentral an die Initiative “19. Februar”, die sich nach den Mordanschlägen in Hanau formiert hatte und den Hinterbliebenen bisher eine gute Unterstützung anbieten konnte.
Deutlicher wurde die Kritik in den in Hanau gehaltenen Reden an der Landesregierung und den hessischen Polizeibehörden. „Über Stunden und Tage hinweg“, seien Angehörige nicht über das Schicksal ihrer Verstorbenen informiert worden. „Krankenwagen und Feuerwehr wären binnen Minuten aus weiter entfernten Ortsteilen (z.B. Lamboy-Viertel) am ersten Tatort gewesen um Hilfe zu leisten. Die Polizei (nächste Wache 300 Meter entfernt) wäre erst nach 20 Minuten da gewesen“. „Der Polizeibeamte, der den ersten Tatort betrat, verlies diesen, nachdem er das Massaker gesehen hatte und musste sich übergeben“.
„Ich vermisse meinen Cousin“, lautete der Wortbeitrag eines Teenagers. Die Mutter eines Ermordeten lies verlesen: „Mein Sohn hat die Schule mit besten Noten abgeschlossen. Er hatte noch viele Pläne für sein Leben. Er wurde auch schon zu Schulzeiten rassistisch von einem Lehrer gemobbt“.
Was wird gefordert? – Eigentlich ganz einfach, aber nur schwer umsetzbar, kurzfristig in anhaltenden Corona-Pandemie-Zeiten
Relativ einfach liese sich die Forderung nach der Entwaffnung potenzieller Menschenhasser und möglicher künftiger Attentäter umsetzen. Meist sind diese Personen den Behörden bekannt. Dies kann auch im Fall von Tobias R. so angenommen werden. Die für die Ausstellung zuständigen Behörden für Waffenbesitzkarten sind augenscheinlich personell chronisch unterbesetzt und in Schützenvereinen mangelt es oft an der notwendigen Sensibilität.
Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, strukturell und institutionell bedingt, kann in der Gesellschaft nur durch öffentliche Aufklärung und Schulungsangebote nachhaltig bekämpft und beseitigt werden. Anzufangen wäre an erster Stelle bei Polizei, Bundeswehr und Ordnungsbehörden. Gefolgt parallel an staatlichen, privaten Schulen und anderen zivilgesellschaftlichen Bildungsanbietern. An den vorgenannten Stellen besteht immer noch Mangel bei spezifischer Bildung-/Weiterbildung.
Und quasi zu guter Letzt, wie es in einer Rede in Hanau (sinngemäß) gesagt wurde:
„Rassisten raus aus den Parlamenten“. Damit dürfte wohl die AfD gemeint sein. Ob diese eingeforderte Umsetzungsmassnahme erfolgreich sein wird, hängt allein vom Willen der stimmberechtigten BürgerInnen bei anstehenden Wahlen ab. Nicht nur in Hessen, sondern bundesweit.
Die kompletten Reden (Audio-Aufzeichnung; rund 2 Std.) aus Hanau vom 22.08.20 können hier nachgehört werden:
https://www.freie-radios.net/103948
(Bericht: Christian Ratz / Fotos: Christine Schultze (dpa) und Christian Ratz)