Rassismus-Skandal in Friesenheim: Was wusste der Ortsvorsteher?
Kontroverser Neujahrsempfang
Mitte Januar hatten in Ludwigshafen Äußerungen des Ortsvorstehers Günther Henkel (SPD) und des Präsidenten der ‚Karnevalsgesellschaft Eule‘ Michael Stein Empörung ausgelöst (KIM berichtete in KIM 2/23 vom 2.2.2023). Stein hatte anlässlich der Angriffe auf Polizei und Feuerwehr in der Berliner Silvesternacht von der Leber weg gedichtet: „Ich will net sagen, stellt die an die Wand. Ne, nei ins Flugzeug un ab ins Morgenland.“ Henkel hatte die Anwesenden, falls sie Häuser zu verkaufen hätten, vor „agressiven(n) Kaufinteressenten mit Migrationshintergrund“ gewarnt. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Hans-Uwe Daumann sprach daraufhin von „nicht tolerierbaren rassistischen Entgleisungen“. Speziell Henkels Äußerungen empfand er als „völlig abwegig und hochgradig gefährlich“. Dies wiederum empfanden die beiden angesprochenen Herren als „geradezu lächerlich und infam“ (Henkel) bzw. als „das Allerletzte“ (Stein). Stein ergänzte trotzig: „Ich nehme kein Wort zurück!“ Man müsse „als Fasnachter in der Bütt die Dinge auch beim Namen nennen können“. Auch Henkel bekräftigte seinen Standpunkt und ergänzte, es sei ihm um Clans gegangen, die in Friesenheim Fuß fassen wollen, um illegale Unterkünfte zu errichten. Von diesen gebe es in Ludwigshafen schon über 30 und deshalb Probleme mit Lärm, Müll und Parkplätzen.
Sicht von Ordnungsamt und Polizei
Die behaupteten Vorgänge fallen, insofern sie Teil von Clan-Kriminalität sind, in die Zuständigkeit der Polizei. Für illegale Unterkünfte ist der ‚Bereich Öffentliche Ordnung‘ (Ordnungsamt) zuständig. Bezugnehmend auf die Friesenheimer Diskussion schrieben wir beide Behörden an. Der ‚Bereich Öffentliche Ordnung‘ (dem auch die Bauaufsicht angehört), antwortete durch den ‚Bereich Kommunikation und Beteiligung‘ das Folgende:
„In fast allen Stadtteilen gibt es illegale und legale Monteurunterkünfte. Die Wohnverhältnisse sind von schlecht bis gut zu beurteilen … Eigentümer von problematisch genutzten Immobilien sind gemischt von deutscher, aber auch migrantischer Herkunft … Im Stadtteil Friesenheim sind uns derzeit 18 Fälle bekannt. Im Moment steht die Task Force (der Bauaufsicht M.K.) im Kontakt mit dem Ortsvorsteherbüro … Ob es sich um kriminelle Clans handelt, kann die Bauaufsicht nicht beurteilen.“
Das Polizeipräsidium Rheinpfalz antwortete über seine Pressestelle. Das Schreiben begann mit einer ausführlichen Wiedergabe der geltenden Definition von Clankriminalität, der sich die folgende nüchterne Feststellung anschloss:
„Diese Kriminalitätsstrukturen gibt es in Ludwigshafen und sonst im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Rheinpfalz in der Vorder- und Südpfalz nach polizeilichen Erkenntnissen nicht.“
Die sogenannte Clankriminalität wird berichtet aus den Bundesländern Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. In ganz Rheinland-Pfalz aber gibt es sie nicht, dies ist auch die häufig wiederholte Aussage des ehemaligen Innenministers Roger Lewentz.
Dies bedeutet …
… dass Günther Henkel wider besseres Wissen mehrere unzutreffende und hochproblematische Feststellungen traf: Er sprach von kriminellen Clanaktivitäten, die es nach polizeilichen Erkenntnissen und wiederholter Mitteilung des Innenministeriums in Rheinland-Pfalz nicht gibt. Aus 18 problematisch genutzten Immobilien (laut der mit ihm in Kontakt stehenden Task Force der Bauaufsicht) machte er „über 30“. Die Eigentümer ordnete er „Clans“ zu, die „in Friesenheim Fuß fassen“, obwohl sie nach Auskunft der Stadt „gemischt von deutscher, aber auch migrantischer Herkunft“ sind – wie es ja auch die gesamte Ludwigshafener Bevölkerung ist. Die Clans sind aus seiner Sicht nicht nur kriminell, sondern auch schuld an Lärm, Müll, fehlenden Parkplätzen, und sie betreiben Geldwäsche. Aber er findet es „lächerlich und infam“, wenn dann jemand von „rassistischen Entgleisungen“ spricht.
Tatsächliche Hintergründe
Unter der Zwischen-Überschrift „Problemimmobilien“ weist die RHEINPFALZ in einem Artikel über den Ludwigshafener Norden („Zwischen Kröten und fehlenden Moneten“) auf einen Zusammenhang hin, den Henkel leider nicht erwähnt: „Für Anwohner in den Stadtteilen an der BASF gehört auch die Monteursproblematik zum Alltag.“ Frank Meier, Ortsvorsteher von Oppau, sagt hierzu „mit Blick auf die Diskussion in Friesenheim“, die BASF-Werksführung habe das Problem erkannt und „Fremdfirmen, die Aufträge im Werk wollen, müssen sich vertraglich verpflichten, dass die Arbeiter menschenwürdig untergebracht werden.“
KIM wies im September darauf hin, dass sklavereiähnliche Arbeitsverhältnisse sich auch im Rhein-Neckar-Raum ausbreiten. Das DGB-Projekt ‚Faire Mobilität‘ nennt vier Problembereiche, die hier immer wieder auftauchen: Lohnbetrug, fehlender Arbeitsschutz, fehlende Sozialversicherung und menschenunwürdige Unterkünfte. Diese moderne Sklaverei besteht vor allem in der Fleischindustrie, der Landwirtschaft und beim Bau, sie breitet sich aber rasch in viele andere Industriezweige aus. Die Profiteure sogenannter Problemimmobilien sind eben nicht nur deren Besitzer, sondern auch die Unternehmen, die die wirtschaftliche Not der dort wohnenden Menschen ausnutzen, um ihre Lohnkosten zu drücken. Die Problemimmobilien werden nicht aus den Städten verschwinden, wenn diesen Unternehmen nicht mehr auf die Finger geschaut wird. Durch ihre gute Kenntnis der Stadtteile könnten OrtsvorsteherInnen hier wertvolle Beiträge leisten, durch die niemand diskriminiert wird.
Michael Kohler