Haushaltsdebatte Ludwigshafen – „Raus aus den Schulden – für die Würde unserer Städte“.
frr – Die große Koalition im Ludwigshafener Stadtrat beschloss am 13. Dezember 2014 den Doppelhaushalt für 2015/16. In einem Punkt waren sich alle Parteien weitgehend einig (die FDP natürlich ausgenommen), nämlich dass es keinen Weg mehr vorbei gibt an einer Gewerbesteuererhöhung. Der Hebesatz steigt ab Januar 2015 von 360 auf 405 Punkte.
SPD wie CDU betonten jedoch zugleich, dass man damit im rheinland-pfälzischen Durchschnitt liege, „jedoch noch immer deutlich unter den Hebesätzen anderer Großstädte mit über 100.000 Einwohnern“ (Scharfenberger, SPD). Ludwigshafen bleibe attraktiv, keine Standortnachteile seien zu befürchten, hieß es um Nachsicht bittend oder auch Vergebung heischend Richtung großer Industrie. Der Fraktionsvorsitzende der CDU zeigte sich erleichtert, dass die Kritik der BASF „moderat“ ausgefallen sei. Schließlich erbringe man als Stadt auch eine Leistung wie die vorzügliche Verkehrsinfrastruktur und eine neue S-Bahnanbindung Süd für die BASF. Die Mehreinnahmen aus der Gewerbesteuererhöhung sind auch schon verplant – für den Verkehr.
Ja, investiert wird vor allem im Straßenbau, die Schulsanierung falle der Straßensanierung zum Opfer (GRÜNE). Ausgebaut oder saniert werden Straßen, die als künftige Umgehung während des zehn Jahre dauernden Hochstraßenabrisses ab 2018 angedacht sind. Jedoch auch hier fehle (GRÜNE) ein zukunftsweisendes Verkehrskonzept.
GRÜNE wie FWG und LINKE monierten, dass diese Steuererhöhung zu spät komme und verwiesen auf ihre früheren Anträge. Liborio Ciccarello von den LINKEN hielt eine Erhöhung auf 420 Punkte angemessen. Die FWG erinnerte kritisierend daran, dass 2008 der Gewerbesteuerhebesatz von 390 auf 360 Punkte gesenkt worden war. Vehement hatte sich der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende und Mitglied im Aufsichtsrat der BASF sowie Geschäftsführer der IG BCE Küppers dafür eingesetzt und dabei die ständig in der Verwaltung gegenwärtige Angst geschürt, die BASF könnte Sitz ihren wegen zu hoher Steuern verlegen.
Dieses scheinbare Damoklesschwert führte jährlich zu heftigen, teils aggressiven Attacken seitens der CDU und SPD gegen all jene, die eine Gewerbesteuererhöhung forderten. Nun war dieser Schritt unumgänglich, aber wohl nur durch „Nachhilfe“ der ADD, der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion in Trier. In einem Schreiben war die Stadt von der ADD aufgefordert worden, alle Möglichkeiten der Haushaltskonsolidierung anzuwenden, um die drohende Überschuldung abzuwenden.
Hätte man auf die damalige Steuerabsenkung für die BASF verzichtet, läge laut FWG der Schuldenstand von Ludwigshafen „anstatt aktuell bei 1,6 Mrd. Euro etwa 300 Millionen niedriger. Ludwigshafen hat heute eine Pro-Kopf-Verschuldung von fast 8.000 Euro, und in den beiden folgenden Jahren beträgt das Haushaltsminus wieder insgesamt über 74 Millionen Euro. Die Stadt Ludwigshafen müsste für die nächsten 25 Jahre jährlich 46,5 Mio. tilgen. Wie das zu bewerkstelligen ist, bleibt offen. Entwickelt sich der Jahresfehlbetrag so weiter, ist Ludwigshafen in 12 Jahren bilanziell überschuldet, d.h. das Eigenkapital aufgebraucht (CDU); die Stadt müsste Insolvenz anmelden.
Not macht erfinderisch. So hat Ludwigshafen als zweite Stadt nach Mainz durch ein „leistungsfähiges und innovatives Kreditmanagement“ zum Mittel der Städteanleihe gegriffen (Laufzeit 10 Jahre, 1,25% Verzinsung) und so seine Zinslast gesenkt (SPD). Mit einer 150 Mio.-Euro-Anleihe, die „bei den Banken und Sparkasse gut an kam“, wurden Kredite abgelöst. Für die CDU ein Beweis der Bonität der Stadt.
Die Kommunale Selbstverwaltung wird zur Farce
Die ADD führt seit Jahren den Sparstift in Ludwigshafen. Dabei setzt sich der Ludwigshafener kommunale Haushalt zu 93 % aus Pflichtaufgaben zusammen, also aufgaben, die ihm von Bund und Land per Gesetz auferlegt sind. Nur noch 7 % des Haushalts sind freiwillige Aufgaben, über die die gewählten Vertreter der Bürger bestimmen dürfen. Und auch da ist nur gefesselte Entscheidungs“freiheit“ gegeben, greift doch die ADD bis in die Größe der Klassen an der Musikschule ein. Die Kommunale Selbstverwaltung wird zur Farce. Es dürfen nur noch Investitionen unter 100.000 Euro ohne Genehmigung der ADD getätigt werden und sonstige Investitionen „nur noch dann, wenn diese unabweisbar sind, mithin zur Beseitigung Gefahr drohender Zustände zweckdienlich“ seien, kritisierte die FDP. Große Zukunftsentwürfe sind hier nicht mehr möglich (SPD). So kann man kein urbanes Leben entwickeln, heißt es zurecht. „Obwohl das Gesetz vorschreibt, dass der Haushalt ausgeglichen sein muss, sind sich alle einig, dass die Stadt Ludwigshafen am Rhein mittelfristig leistungsunfähig und der Haushalt völlig unausgeglichen ist“ (FDP).
Liborio Ciccarello (LINKE) forderte die Einführung eines Bürgerhaushalts, so dass über diese geringen 7% wenigstens eine öffentliche Debatte geführt werde und der Haushalt sozial „ausgewogener“ werde, denn es werde an den falschen Stellen gespart. So sei der Bestand an Sozialwohnungen um rund 700 Wohnungen (ein Drittel) zurückgegangen, während sich die Nachfrage jedoch um 10 % erhöht habe. Tatsächlich zwingt die ADD die Stadt zum Verkauf von Wohnungen, zwingt zu Privatisierungen – und dies als Dienstaufsicht in einem rot-grün geführten Bundesland. Übrigens liegen vier der zehn höchst verschuldeten Städte Deutschlands in Rheinland-Pfalz.
Die GRÜNEN monierten, dass in Ludwigshafen die soziale Infrastruktur schleichend abgebaut werde. Eingestellt wurden: Sozialkaufhaus, drogenfreie Wohngemeinschaft, Beratungsstellen freier Träger – sonstige soziale Maßnahmen werden zurückgefahren oder können nicht bedarfsgerecht anboten werden, gleichzeitig steigt der Bedarf. Überhaupt kein Geld stelle die Stadt für die Förderung von jungen Menschen mit Migrationshintergrund zur Verfügung (LINKE), ein Grund für den überproportional hohen Anteil an Migranten ohne Schulabschluss in LU. Die SPD-LU möchte keine weitere Polarisierung von Arm und Reich. In Ludwigshafen ist diese inzwischen deutlich sichtbar in einer sterbenden Innenstadt mit vielen Leerständen, mit 5.500 Langzeitarbeitslosen, mit einer Innenstadt (LU-Mitte), in der fast jeder Dritte Einwohner und ein Viertel aller Jugendlichen von Hartz IV leben und andererseits den neuen Stadtvillen für Gutsituierte am Rheinufer.
Die andere Seite dieser Finanzmisere ist die Gebührenschraube gegen die Bürger. So wurden in letzter Zeit oder werden erhöht: die Eintrittspreise für Schwimmbäder, die Straßenreinigung, die Bestattungsgebühren, die Vergnügungssteuer, die Straßenausbaubeiträge (bei Straßensanierungen müssen die Anwohner mitbezahlen); eine Zweitwohnungssteuer wurde bereits vor einigen Jahren eingeführt etc. (Die Aufzählung ist unvollständig). Allein bei der Verkehrsüberwachung sollen im neuen Jahr 330.000 Euro mehr in den Stadtsäckel fließen.
Allerdings keine kostendeckenden Gebühren verlange die Stadt bei der Erteilung von Baugenehmigungen, monierte Ciccarello. Man denkt sofort an den Stadtvillenbau am Rheinufer Süd mit qm-Preisen bis zu 5.000 Euro. Der Zuzug der Reichen soll nicht durch Gebühren ausgebremst werden? Aber immerhin: das Sozialticket soll endlich eingeführt werden dem Beispiel HD und MA folgend.
Wie kann eine Stadt – so fragt man sich – die den weltgrößten Produktionsstandort, der chemischen Industrie beheimatet, so stark verschuldet sein? Mängel in der Haushaltsführung sagen manche, geprasst in den 70er Jahren, frühere Fehlentscheidungen bei guter Kassenlage? Zu niedrige Gewerbesteuern? Der AfD-Vorsitzende Matzat kritisierte die „Unart, mit niedrigen Steuersätzen Unternehmen anzulocken“. Die SPD benennt als Kernproblem das „fremdbestimmte strukturelle Defizit für soziale Sicherung“ (in 2016 liegt dies bei 140 Mio Euro). Was fehle sei eine aufgabengerechte Finanzausstattung, um handlungsfähig zu bleiben. Ebenso äußerte sich Ciccarello von den Linken, das Konnexitätsprinzip werde verletzt, das heißt, den übertragenen Aufgaben, insbesondere im Sozialbereich steht keine adäquate finanzielle Ausstattung der Gemeinden gegenüber. Die Kommunen sind das schwächste Glied im föderalen System. Die jährliche strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen in der Bundesrepublik beträgt etwa 8 – 9 Mrd. Euro (KfW-Kommunalpanel 2011).
Einhelliger Konsens aller Parteien zum Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“
Einhelligen Konsens über alle Parteien hinweg gab es daher, dass Ludwigshafen dem Bündnis „Raus aus den Schulden – für die Würde unserer Städte“ beigetreten ist. In NRW und Rheinland-Pfalz machen Kassenkredite schon fast 50 % der Verschuldung aus. Von 2010 bis 2014 hat Ludwigshafen 188,8 Mio. Euro an neuen Kassenkrediten aufgenommen. Mannheim zum Beispiel weist keinerlei Kassenkredite aus. Das Aktionsbündnis „Raus aus den Schulden“ wurde in Nordrhein-Westfalen gegründet, wo es ca. 19 Städte umfasst. Es geht darum, die „finanzielle Ausstattung der Kommunen und damit die Lebensqualität der Bürger zu sichern“. Dabei sind die Bürger aufgefordert, die Gemeinden zu unterstützen und an öffentlichen Aktionen teilzunehmen. Im November 2014 schlossen sich dem Bündnis nach einem Treffen in Kaiserslautern sieben Städte aus Rheinland-Pfalz an. In ihrer Begründung für diesen Schritt sprechen sich OB Lohse (CDU) und Stadtkämmerer Feid für eine Neustrukturierung und Neujustierung der Finanzströme aus, um den Kommunen ihre Gestaltungskraft wiederzugeben beziehungsweise zu erhalten. Sie forderten unter anderem von Bund und Ländern, den Städten nicht immer neue Aufgaben im Sozial- und Jugendbereich aufzubürden, ohne die Kommunen ausreichend bei den entstehenden Kosten zu unterstützen. „Die kommunale Selbstverwaltung und der Gestaltungswille der Städte ist ernsthaft bedroht, wenn sich die Finanzstruktur nicht grundlegend ändert” (OB Eva Lohse).
Keine Verfassungsklage gegen Landesfinanzausgleich
Darüber hinaus drängen FDP und AfD auf eine Klage gegen das Land wie sie die Stadt Pirmasens und der Landkreis Südliche Weinstraße bereits führen. Als Vizepräsidentin des Deutschen Städtetages müsse sich OB Lohse hier einreihen. Pirmasens kämpft in einer Musterklage mit einer 50-seitigen Verfassungsbeschwerde gegen den Landesfinanzausgleich. Der dortige OB sieht nicht, wie die Kommunen aus eigener Kraft noch aus der Schuldenfalle herauskommen können. Würden Land und Bund Aufgaben, die sie der Stadt übertragen, wie beispielsweise Ausbau der Kitas, Heimunterbringung oder Hilfen zum Lebensunterhalt, ausreichend finanzieren, hätte Pirmasens einen ausgeglichenen Haushalt und könnte Altschulden abtragen, führte er aus. Da das aber nicht der Fall sei, müsse die Stadt wieder und wieder neue Liquiditätskredite aufnehmen. Mit diesem Problem kämpften auch andere Kommunen, deshalb klagten auch drei kommunale Spitzenverbände vor dem Verfassungsgerichtshof in Koblenz. Schon im Februar 2012 hat der Verfassungsgerichtshof RLP nach einer Klage der Stadt Neuwied den kommunalen Finanzausgleich für verfassungswidrig erklärt. Kleine Änderungen wurden durchgeführt, das brachte LU etwas mehr Geld ein.
Die Ludwigshafener CDU, SPD und die GRÜNEN sehen jedoch aktuell keinen Sinn darin, sich der neuen Klage anzuschließen. Sie warten mal ab, könnte ja auch schief gehen.
Wie wird es erst aussehen, wenn ab 2020 die gesetzliche Schuldenbremse in Kraft tritt?
Weitere Rationalisierungen im Kommunalbereich, weiterer Abbau sozialer Leistungen im Kultur-und Sozialbereich, noch mehr Verscherbeln des kommunalen „Tafelsilbers“? Hier müssen auf Bundesebene generelle Änderungen erzwungen werden.
Opposition einig gegen Containerlager für Asylbewerber in Ludwigshafen
Ende letzten Jahres hat der Stadtrat nach einer heftigen Auseinandersetzung und großem Widerstand in der Öffentlichkeit von Kirche und Flüchtlingsinitiativen mehrheitlich – also mit den Stimmen von CDU und SPD – beschlossen, in einem abgelegenem Gebiet zwischen Ludwigshafen und Frankenthal ein Containerlager für männliche Flüchtlinge einzurichten. Kostenpunkt über 2 Millionen Euro, Belegungsplan 13,5 qm für drei erwachsene Personen inklusive Kühlschrank und Ess- und Kochutensilien, abgesehen vom persönlichen Bedarf. Das Außengelände ist so klein, dass es keinen Platz bietet, sich zu bewegen – also Lageratmosphäre pur.
Eine wohl erstaunliche Einigkeit besteht in der Ludwigshafener Opposition aus FWG, FDP, LINKE, GRÜNE, AfD in der Ablehnung des geplanten Container“dorfes“.
Hier einige Zitate aus den Haushaltsreden:
LINKE: „…für Asylbewerber eine normale Wohnung …Das Prinzip der Menschlichkeit spricht hier eine klare Sprache, die wir alle intuitiv kennen dürften. Aber nicht nur sie: Auch aus Klugheitserwägungen heraus wäre es angebracht, unseren Asylbewerbern menschlich zu begegnen: Gerade wir in Deutschland mit unserer besonderen Vergangenheit und dem damit verbundenem Image haben eine besondere Verantwortung, mit anderen Völkern menschlich zu sein…“.
Die GRÜNEN forderten immer wieder eine dezentrale Unterbringung in der Stadt, ebenso die AfD, die sich in Ludwigshafen vom ostdeutschen AfD-Kurs deutlich abhebt.
AfD: „Wir stehen als AfD-Fraktion uneingeschränkt zu unserer humanitären Verpflichtung, gerade aus den Krisengebieten dieser Welt, Flüchtlinge aufzunehmen. Dies kann jedoch nicht dauerhaft den städtischen Haushalt belasten. Wer auf der einen Seite Flüchtlinge aufnimmt und versorgen muss, aber auf der anderen Seite kein Geld für die sogenannten ‚freiwilligen Leistungen‘ beispielsweise für Sprachkurse, gerade für ältere Kinder hat, ja gar nicht haben darf, da die freiwilligen Leistungen keinesfalls erhöht werden dürfen, kann diesen humanitären Verpflichtungen nicht gerecht werden. An dieser Stelle muss dringend ein Ausgleich durch das Land und Bund erfolgen. Wenn man davon ausgeht, dass eine hohe Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, dauerhaft hier bleibt, muss in die Sprachförderung investiert werden. “(Jörg Matzat)
FDP: “Den Flüchtlingen aus dem Krisengebiet Syrien muss geholfen werden. Die FDP-Fraktion möchte deshalb keine Container–Dauer–Lösung! Wenn man schon die Würde des Menschen für unantastbar erachtet, müssen die Flüchtlinge in Wohnungen und Häusern untergebracht werden, und zwar nicht in der Nähe eines Schrottplatzes oder auf einem abgelegenen Feld, sondern in unserer Stadt – und wenn Wohnungen und Häuser fehlen, dann müssen sie eben gebaut werden, auch wenn man dann auf andere soziale Annehmlichkeiten verzichten muss.“
FWG: “..Nach wie vor befürchten wir erhebliche Nachteile durch das Containerdorf. Als schlimm sehen wir es auch an, dass laut Aussage im Hauptausschuss die schulische Betreuung und Förderung der Kinder an Lehrkräftemangel leidet. Dies muss auf jeden Fall verhindert werden, Asylbewerber brauchen insbesondere zur Integration dringend diese Betreuung.“
Art.49 Landesverfassung RLP: Finanzausstattungsgarantie
(5) überträgt das Land den Gemeinden oder Gemeindeverbänden nach Absatz 4 die Erfüllung öffentlicher Aufgaben oder stellt es besondere Anforderungen an die Erfüllung bestehender oder neuer Aufgaben, hat es gleichzeitig Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen;..
(6) Das Land hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden auch die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderliche Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern.“.Art 28 GG: Kommunales Selbstverwaltungsrecht
(2) Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln….“