Neutralitätsgebot vor der Kommunalwahl – Misst die Stadt mit zweierlei Maß?
Für wen gilt das Neutralitätsgebot, dem staatliche Organe im Vorfeld der Kommunalwahl unterliegen? Welche Veranstaltungen dürfen stattfinden, welches Handeln ist erlaubt? Darüber wird zur Zeit in Mannheim viel diskutiert. Aktueller Anlass ist die kurzfristige Absage einer Podiumsdiskussionsveranstaltung des Migrationsbeirates.
Die Pressemitteilung des Migrationsbeirat vom Sonntag kam überraschend. “Wir bedauern sehr, Ihnen mitzuteilen, dass die für den 6.2. vorgesehene Podiumsdiskussion “Wahlarena” abgesagt werden muss. (…) Nach Einschätzung unseres Stadtoberhauptes gäbe es das Risiko eines Verstoßes gegen die grundgesetzliche Neutralitätspflicht mit der möglichen Konsequenz einer erfolgreichen Wahlanfechtung.”
Was war geplant? Der Migrationsbeirat hatte eine Diskussionsrunde mit sechs Stadträt*innen und Kandidat*innen für die Kommunalwahl geplant, moderiert von zwei Vertretern des Migrationsbeirats. Thema: “Wie gestalten wir Zusammenleben in Mannheim bis 2024?” In der Absage hieß es abschließend: “Mit unserer Veranstaltung wollten wir (…) einen Beitrag für die Meinungsvielfalt sowie zur Politisierung und Wahlmobilisierung der Mannheimer Bevölkerung, eben auch denen mit einer Migrationsbiografie, leisten.”
Die Grenzen verlaufen fließend
Als städtisches Gremium unterliegt der Migrationsbeirat der Neutralitätspflicht. Doch war eine Absage der Veranstaltung notwendig? In einschlägigen Kommentaren zur Rechtslage heißt es, das Neutralitätsgebot verbiete es staatlichen Organen, im Vorfeld von Wahlen in amtlicher Funktion offen oder verdeckt für eine bestimmte Partei zur werben – oder eine bestimmte Partei zu bekämpfen. Dazu zählt auch die Unterstützung mit staatlichen Mitteln und Ressourcen. Dennoch ist es den staatlichen Organen weiterhin gestattet, Öffentlichkeitsarbeit zu tätigen. Die Grenze zur Wahlwerbung ist dann überschritten, wenn der informative Gehalt hinter einer reklameartigen Aufmachung in den Hintergrund gerät. Hier wird deutlich: Die Grenzen sind fließend und jeder Einzelfall muss gesondert betrachtet werden. Auch der Zeitraum vor der Wahl ist nicht eindeutig formuliert. Mal wird von sechs Wochen, mal von drei Monaten gesprochen. Es gibt keine eindeutige Regelung, allenfalls Urteile, auf die man sich beziehen kann. Somit beruhen Entscheidungen der Stadt auf einer Einschätzung des Rechtsamtes, die schwer zu überprüfen ist – insbesondere für Menschen, die juristisch nicht versiert sind.
Die Absage der “Wahlarena” ist nicht der einzige Vorfall dieser Art, der für Diskussionen sorgte. Beim Neujahrsempfang im Januar untersagte die Stadt der Initiative “Aufstehen gegen Rassismus” einen Infostand (KIM berichtete). Begründung: Es werde nicht nur gegen Rassismus im Allgemeinen, sondern konkret gegen den der AfD geworben. Es gab öffentliche Diskussionen und Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Am Ende wurde sich darauf geeinigt, dass die Initiative einen Stand machen konnte, in den Infomaterialien durfte aber kein Bezug zur AfD hergerstellt werden durfte (KIM berichtete). Vor Ort wurden die Mitglieder der Initiative im Rosengarten regelrecht gefilzt, bevor sie ihr ihren Stand aufbauen konnten.
Wird mit zweierlei Maß gemessen?
Pikant wird das Thema, wenn man sich das Verhalten der “großen” Parteien anschaut. Also das Verhalten derer, die in den kommunalen Staatsorganen tatsächlich über machtvolle Positionen verfügen, konkret über Bürgermeisterposten und Führungspersonen innerhalb der Stadtverwaltung.
Die CDU hat beispielsweise mit Alfried Wieczorek den Generaldirektor der städtischen Reiss-Engelhorn-Museen als Kandidaten für die Kommunalwahl aufgestellt. Die Grünen kritisieren dessen Nominierung zurecht. “Dass Herr Wiezcorek, ein sehr gut verdienender, leitender Stadtangestellter, für die CDU im Wahlkampf als Stimmenzieher herhalten soll, hat allein schon einen schalen Beigeschmack”, findet Grünensprecherin Mareile große Beilage. “Dass er als Stadtangestellter das Mandat nach der Wahl gar nicht antreten darf, ist eine bewusste Täuschung der Wählerinnen und Wähler (…).”
Noch dreister wird es bei der SPD. Während für Parteien die Nutzung städtischer Räume im Vorfeld der Wahl eigentlich tabu ist, hatte SPD-Kandidat Reinhold Götz am 4. Februar zur Wahlkampfveranstaltung ins Marchivum eingeladen – eine städtische Einrichtung in einem städtischen Gebäude. “Mein Mannheim macht wohnen bezahlbar” heißt es neben dem SPD-Logo auf dem Flyer der Veranstaltung. Die Diskussionsveranstaltung mit Beteiligung des Frankfurter OB Peter Feldmann (ebenfalls SPD) wurde dann auch vom Mannheimer Oberbürgermeister eröffnet.
Auch beim Neujahrsempfang im Januar schien das Neutralitätsgebot wohl nicht für alle gleichermaßen Gültigkeit zu haben. Während “Aufstehen gegen Rassismus” nach Anti-AfD Flyern durchsucht wurde, demonstrierte die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, eine SPD-Organisation, munter mit Schildern und Plakaten mit SPD-Logo über die Veranstaltung.
Es trifft die Falschen
Es bleibt einer fauler Nachgeschmack. Das unterstützenswerte Engangement des Migrationsbeirates, dem es um Meinungsvielfalt und Mobilisierung einer Wählergruppe ging, die traditionell im Gemeinderat unterrepräsentiert ist, wurde ausgebremst. Ob gerechtfertig oder nicht, das ist schwer zu sagen. Allerdings wurde in diesem Fall ganz klar nicht für oder gegen eine bestimmte Partei geworben.
Ganz anders bei der SPD. Mit zwei Oberbürgermeistern als Zugpferde, beheimatet in städtischen Räumen, gab es am Dienstag eine Veranstaltung, die unmissverständlich für die Politik der SPD geworben hat. Da hatte die Stadt offenbar keine Bedenken.
Es ist genau das eingetreten, was das Neutralitätsgebot eigentlich verhindern sollte. Die Parteien in den machtvollen Positionen können ihre Stellung für die eigenen Vorteile ausnutzen. Die Steine werden anderen in den Weg gelegt.
(cki)