18. März – Internationaler Tag der politischen Gefangenen (mit Fotogalerien)
Heidelberg/Stuttgart – Auch am vergangenen Samstag gab es noch Veranstaltungen zum Gedenktag in der BRD. KIM dokumentiert das Geschehen am 20.03.2021 in Heidelberg und Stuttgart. In der Unistadt Heidelberg nahmen rund 50 Personen an der Kundgebung auf dem Marktplatz teil. Knapp 1.500 TeilnehmerInnen zählte die dezentrale Demo in Stuttgart.
Heidelberg: „Linke und antifaschistische AktivistInnen in Baden-Württemberg massiv unter Druck staatlicher Organe“
Auf Initiative der Ortsgruppe der Roten Hilfe Heidelberg/Mannheim fand am vergangenen Samstagvormittag eine Kundgebung auf dem Heidelberger Marktplatz statt. An der einstündigen Veranstaltung nahmen in der Spitze rund 50 Personen teil. Im Fokus der Aktion stand unter anderem das Schicksal politischer Häftlinge in der BRD.
Neben Grußworten wurden auch „Nachrichten aus dem Knast“ rezitiert.
KIM dokumentiert in Auszügen aus den Redebeiträgen (es gilt das gesprochene Wort):
Kurdische Gefangene
Mit derzeit zehn Personen, die wegen ihres politischen Engagements in Untersuchungs- oder Strafhaft sitzen, bilden die kurdischen Aktivisten die größte Gruppe der politischen Gefangenen in der BRD.
Ihre Namen sind
Yilmaz ACIL, Hüseyin AÇAR, Gökmen ÇAKIL, Mustafa ÇELIK, Salih KARAASLAN, Agit KULU, Veysel SATILMIŞ, Özkan TAŞ, Mazhar TURAN, Mustafa TUZAK
Ihnen allen wird Unterstützung und Mitgliedschaft in der PKK, der Arbeiterpartei Kurdistans vorgeworfen. Diese kurdische Partei wird in der BRD als „ausländische terroristische Vereinigung“ nach § 129b kriminalisiert. Konkret vorgeworfen werden den zehn Betroffenen ausschließlich legale politische Tätigkeiten wie das Organisieren von Veranstaltungen, Busfahrten zu Demonstrationen und Newroz-Feiern und ähnliche Arbeit in den kurdischen Kulturvereinen.
Stellvertretend für diese zehn Politiker verlesen wir Ausschnitte aus einer Erklärung von Gökmen Çakıl:
Das PKK-Verbot, welches am 26. November 1993 in Kraft trat, führte zu dieser Situation. Das Rechtssystem ist die letzte Festung, die die Gesellschaft und das Individuum vor der Ungerechtigkeit schützt. Denn demokratische und unabhängige Rechtssysteme sind an unveränderbare Prinzipien wie Gerechtigkeit, Gewissen und Moral gebunden. Das ist jedenfalls, was ich weiß und glaube. Dem können Sie auch Tugenden wie Gleichheit und Menschenrechte hinzufügen.
Alle Aktivitäten, die ich durchgeführt habe, wurden entsprechend der europäischen Gesetze vollzogen. Es sind demokratische Aktivitäten, die Deutschland nicht schaden. Leider habe ich gesehen, dass solche Aktivitäten in Deutschland strafrechtlich sanktioniert werden. Die gleichen Aktivitäten werden in der Schweiz oder in Belgien nicht sanktioniert.
Aus diesem Grunde bin ich aus eigenem Willen, in die Schweiz und in die dortige kurdische Gesellschaft gegangen. Ich wollte gegen Erdoğan und dschihadistische Banden neben meinem Volk stehen. Ich bin also nirgendwohin geflohen, da ich mich ohnehin häufig in Deutschland aufgehalten habe.
Die Situation, die ich erlebt habe, hat mit den Umständen zu tun, die dem Volk zugemutet werden, dessen Teil ich bin. Es ist wirklich verletzend. Wenn man nach einem Terroristen suchen möchte, wenn man jemanden des Terrorismus bezichtigen möchte, dann sollte es nicht das unterdrückte kurdische Volk sein, sondern die türkischen, persischen und arabischen Regime, die dem kurdischen Volk seit zig Jahren Grausamkeiten antun. Dass ich in Haft bleibe, wird ausschließlich das Erdoğan-Regime erfreuen.“
Ella
„Die Klimaaktivistin wurde am 26. November 2020 bei den Protesten im Dannenröder Wald verhaftet und sitzt seither in der Frankfurter JVA Preungesheim. Weil sie ihren Klarnamen nicht angibt, ist sie als „Unbekannte Person 1“ oder unter dem Pseudonym Ella bekannt.
In einem Brief schreibt sie:
Ich bin wütend über die Vorwürfe gegen mich – Unterdrückung fühlt sich schrecklich an –, nur weil ich diese Bedürfnisse verteidige, die ein wesentlicher Teil von uns selbst sind. Und ich bin erschrocken angesichts der gesellschaftlichen Illusion von Gerechtigkeit, die auf einem von Angst angetriebenen System von Belohnung und Bestrafung beruht. Ist es wirklich das, was die Welt im Großen und Ganzen noch will? Wann wachen wir auf zu dem, was wahre Lebensqualität gibt?
Aber es liegt an uns, zuerst unsere Überzeugungen, unsere Gedanken, Worte und Handlungen zu überprüfen und festzustellen, ob sie mit dem übereinstimmen, was wir wirklich wollen. Es liegt an uns, diejenigen zu konfrontieren und zu hinterfragen, die die Erfüllung unserer Grundbedürfnisse verhindern, und es liegt an uns, die Risiken einzugehen, die mit der Erfüllung dieser Bedürfnisse verbunden sind.
Meine Gedanken und absolut besten Wünsche gehen an all diejenigen, die lieben und kämpfen. Diejenigen, die über das Dreiecksschema von Opfer, Bösewicht*in und Held*in hinausgehen und diejenigen, die Win-Win-Szenarien schaffen, die alle auf den Weg zum Glück bringen. Wenn wir uns daran erinnern, dass diese toxischen Projekte immer noch zusammenbrechen können, dass der Wald immer noch nachwachsen kann, kann „One struggle, one fight – Danni, Herri, Mauli bleibt!“ tatsächlich wahr werden.“
Dy
Seit letztem Frühsommer überziehen die Repressionsorgane die antifaschistische Szene in Baden-Württemberg – hauptsächlich im Raum Stuttgart – mit einer massiven Repressionswelle. Anlass ist eine körperliche Auseinandersetzung mit Nazis am 16. Mai 2020. Bei einer Großrazzia am 2. Juli wurde der Stuttgarter Antifaschist Jo verhaftet, am 4. November sein Genosse Dy; beide wurden in der berüchtigten JVA Stuttgart-Stammheim eingesperrt. Der Prozess soll am 14. April 2021 beginnen. Während der Haftbefehl gegen Jo im Januar außer Vollzug gesetzt wurde, ist Dy weiter in Haft und wurde vor wenigen Wochen in die JVA Tübingen verlegt.
Die ersten Tage in der JVA Stammheim beschrieb Jo im August 2020 eindrücklich in einem Brief:
„Während der sechs Wochen, die ich nun schon hinter Gittern verbringe, habe ich gelernt, dass Knast viel mehr ist, als nur eingesperrt zu sein.
Es sind die ersten Wochen, in denen man keine Möglichkeit hat, sich bei Familie und Freunden zu melden, bis einem – wenn man Glück hat – eine Sozialarbeiterin eine Briefmarke zusteckt.
Es ist die Tatsache, dass man das Geschirr nur mit kaltem Wasser und bis zum ersten Einkauf – falls man bis dahin Geld hat – auch ohne Spülmittel abwaschen kann.
Es ist die Anstaltskleidung, die schon aus Prinzip nie passt.
Es ist die Matratze, die viel zu dünn ist und von der man schnell Rückenschmerzen bekommt.
Und vor allem ist es das ewige Warten auf alles: Egal ob Briefe von draußen, Anträge auf Gespräche mit Ärzten, einen Arbeitsplatz, Anwaltstreffen oder Skype-Gespräche mit der Familie; alles braucht seine Zeit – manchmal sogar wochenlang.
Hier im Gefängnis durfte ich aber auch das Beste erfahren, was wir als linke Bewegung zu bieten haben: die uneingeschränkte Solidarität.
Es gibt einem unendlich viel Kraft, wenn man die vielen Nachrichten von GenossInnen aus ganz Deutschland liest und die vielen Bilder von Solidaritätsaktionen sieht. Diese Solidarität ist das, was unsere Bewegung zusammenhält und sie stark genug macht, jedwede Art der Repression und jegliche Rückschläge zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen.
Daran müssen wir festhalten und auch weiterhin konsequent für eine bessere Zukunft kämpfen.“
Verlesen wurde das Grußwort des Bundesvorstandes der Roten Hilfe e.V. zum 18. März 2021:
„Liebe Genoss*innen, liebe Freund*innen,
die dringend notwendige praktische Solidarität mit den politischen Gefangenen ist so alt wie die Geschichte der sozialen Kämpfe. Auch die Rote Hilfe kann auf eine lange Geschichte zurückblicken: In wenigen Tagen jährt sich die Entstehung der Solidaritätsgruppen unter dem Namen „Rote Hilfe“ zum 100. Mal, denn im April 1921 wurden überall Rote-Hilfe-Komitees gegründet.
Anfang 1923 dann erklärte die Dachorganisation „Internationale Rote Hilfe“ den 18. März zum Internationalen Tag der politischen Gefangenen.
Das Datum war nicht zufällig gewählt: An diesem Tag wurde von sozialistischen Organisationen weltweit an die Pariser Kommune erinnert, die am 18. März 1871 – vor genau 150 Jahren – ausgerufen worden war und einen zentralen Bezugspunkt der Arbeiter*innenbewegung darstellte.“
Von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg kam dieses Grußwort:
„Liebe Genoss*innen und Freund*innen,
das Rechtssystem der bürgerlichen Gesellschaft gilt als aufklärerisch und als Garant für Gleichheit und Demokratie. Dies scheint auch zu stimmen, da wir doch vor Gericht alle gleich seien sollen.
Diese angebliche Gleichheit der Individuen vor Gericht ist jedoch trügerisch. Die gesamte Gesellschaft ist durchzogen von Widersprüchen, von patriarchalen und rassistischen Spaltungen, von unvereinbaren Klassengegensätzen mit dem Potenzial, das soziale Gefüge zu sprengen. Diese Verhältnisse müssen zwangsläufig von einem legalen und politischen Überbau stabilisiert werden: dem Bürgerlichen Staat mit seiner Klassenjustiz.
Das Privateigentum ist rechtlich kodiert; und damit ist die Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse legalisiert. Welche*r das Kapital bekämpft, sieht sich deshalb mit der Klassenjustiz konfrontiert. „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“
Die Ausbeutung des globalen Südens und das Abschieberegime stehen ebenfalls auf legalem Grund. Welche*r dies bekämpft, sieht sich mit der Klassenjustiz konfrontiert.
Nazis dürfen sich legal organisieren und hinter einem Zerrbild der Meinungsfreiheit verschanzen, terroristische Netzwerke wie der NSU werden durch Quellenschutz gedeckt und nur halbherzig ausgehoben. Die Polizei, welche Gleichheit und Demokratie angeblich schützen soll, entlarvt sich als Hort und Komplize des faschistischen Terrors. Immer wieder werden rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden aufgedeckt, dennoch wartet man vergeblich auf die kleinsten strukturellen Reformen. Stattdessen reden die Parteien der so genannten Mitte der AfD den Mund und fordern – hier beispielsweise sozialdemokratisch verantwortet – Verbote antifaschistischer Strukturen in Niedersachsen oder entziehen der VVN-BdA die Gemeinnützigkeit.
Welche*r also den Faschismus bekämpft, steht der Klassenjustiz unversöhnlich gegenüber und kann sich nicht auf den Staat verlassen.
Das heißt, dass wir als Bewegung das große Ganze nicht aus den Augen verlieren dürfen, dass wir kompromisslos und unabhängig handeln müssen.“
https://aihd.noblogs.org/post/2021/03/20/1984/
Die Solidaritätsgruppe für in Griechenland inhaftierte politische Gefangene sagt:
“In Solidarität mit dem politischen Gefangenen Dimítris Koufontínas, der sich vom 8. Januar bis zum 14. März 2021 (65 Tage) in Hungerstreik aus Protest gegen seine schikanöse Behandlung, die an Rache angrenzt, seitens der griechischen Regierung befand, gingen in den vergangenen Wochen Tausende Unterstützer*innen auf die Straße. Der Staat reagierte mit brutaler Härte und verhaftete hunderte Demonstrant*innen, die sich nun mit unterschiedlichsten Vorwürfen konfrontiert sind. Dazu zählen Behinderung von Behörden- und Amtshandlungen, Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen, vor allem aber Verstoß gegen die rigiden Corona-Maßnahmen, die auch das Grundrecht auf Versammlungesfreiheit beschneiden und nun von den Behörden gezielt benutzt werden, um missliebige Meinungen und linke und anarchistische Bewegungen zu unterdrücken. Allein bei zwei Protestzügen wurden alle Teilnehmer, nahezu 190 Menschen, verhaftet, und auch bei größeren Demonstrationen in Athen und in anderen Großstädten wie Thessaloníki werden Dutzende bis Hunderte festgenommen.”
Weitere Bilder aus Heidelberg
Stuttgart: AfD-nahe Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“
Aus Anlass des jährlichen Tages der politischen Gefangenen am 18.03. fand am Samstag den 20.03.2021 auch in Stuttgart eine überregionale Demonstration unter dem Motto „Konsequent Antifaschistisch – Freiheit für alle politischen Gefangenen“ statt, zu der unter anderen auch das Offene Antifaschistische Treffen Mannheim mobilisiert hatte.
Bereits zur Auftaktkundgebung versammelten sich über tausend Menschen, um im Anschluss in einer kämpferischen Demonstration durch die Innenstadt zu ziehen. Auch auf mehreren Zwischenkundgebungen, unter anderem auch vor dem Gebäude des Landgerichts Stuttgart, wurde auf die Schicksale politischer Gefangener aufmerksam gemacht und lautstark deren Freilassung gefordert. Hierbei wurden vor allem die Namen der Antifaschist‘*innen Dy und Lina immer wieder genannt, welche sich derzeit in Untersuchungshaft befinden. Dy wird beschuldigt im Frühjahr 2020 am Angriff auf einen Nazi der AfD-nahen Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ beteiligt gewesen zu sein und wurde mehrere Wochen danach im Rahmen mehrerer Hausdurchsuchungen festgenommen.
Auch die Leipziger Antifaschistin Lina sitzt wegen der Anschuldigung am Angriff auf einen Neonazi beteiligt gewesen zu sein in Untersuchungshaft. Diese Festnahmen und weitere repressive Maßnahmen gegen AntifaschistInnen und linke Strukturen, wie offene Observationen, Hausdurchsuchungen oder ZeugInnen- Anhörungen, werden von den OrganisatorInnen als „Angriff auf die gesamte Bewegung“ gewertet, weswegen die Veranstaltung auch als übergreifende und solidarische Demonstration geplant und von verschiedenen Organisationen, wie zum Beispiel auch der Rote Hilfe e.V. oder dem VVN-BdA unterstützt wurde. Von den OrganisatorInnen und auch vielen Teilnehmenden wurde die Demonstration als großer Erfolg bewertet, da mit der hohen Anzahl angereister AntifaschistInnen und der öffentlichkeitswirksamen gewählten Demoroute eine große Aufmerksamkeit für die genannten Anliegen erzeugt werden konnte.
Weitere Bilder aus Stuttgart
(Bericht: c.r. und d.b. / Fotos: c.r. und Antifa Report Pfalz)