Eine weitere linke Partei neben der Linken? Zur Vorstellung der Mieterpartei Mannheim im Café Cohrs
Kurz nach Gründung der Mieterpartei in Mannheim lud der frisch gewählte Vorstand zur Präsentation der Inhalte und Ideen ins Café Cohrs in der Neckarstadt ein. Rund 30 Gäste kamen am Dienstagabend zur Veranstaltung, darunter Interessierte, Pressevertreter und Kritiker des neuen Projekts in der Mannheimer Parteienlandschaft. Im Laufe des Abends kam es zu kontroversen Diskussionen.
Ulrike Schaller-Scholz-Koenen begrüßte die Gäste und stellte sich als frisch gewählte Vorsitzende vor. Als Sozialarbeiterin sei sie seit vielen Jahren engangiert und insbesondere im Stadtteil Käfertal verankert. Die Themen der Mieterpartei seien ihr auch aus persönlicher Betroffenheit heraus sehr wichtig. Mit Karlheinz Paskuda und zwei weiteren Mitgliedern vertrete sie heute den Vorstand der Mieterpartei Mannheim.
Mit Fragen an die Gäste eröffnete Ulrike Schaller-Scholz-Koenen den inhaltlichen Einstieg ins Programm der Mieterpartei. Wer wohne zur Miete? Wer habe Eigentum? Wer sei mit der persönlichen Situation zufrieden, wer nicht? Wer wohne in der Stadt, wer in Außenbezirken oder auf dem Land? Wer engagiere sich in sozialen Projekten und wer habe das erst noch vor? Die Gäste konnten durch Aufstehen die Fragen mit “Ja” beantworten und hatten so nach einigen bewegungsintesiven Minuten einen groben Überblick über die Sozialstruktur des Publikums – wobei es zu wenigen Überraschungen kam.
Musik von Herbie und Unterstützung aus Frankfurt
Bevor es zur ausführlichen Vorstellung der inhaltlichen Standpunkte der Mieterpartei kam, gab es musikalische Unterhaltung durch den Sänger Ronald Herbie, der mit Monnemer Dialekt, Schlagermusik aus der Dose und derbem Neckarstädter Humor zwar großartig unterhalten konnte, in der angespannten Atmosphäre der trockenen Parteiveranstaltung aber eher deplaziert wirkte.
Anschließend berichtete der aus Frankfurt angereiste Vertreter der Mieterpartei Roberto Stojanoski von der Parteigründung in der Stadt am Main. Er selbst wohne in einem Mietshaus in einem ehemaligen Eisenbahnerviertel, dass von Aufwertungsmaßnahmen und steigenden Mieten betroffen sei. Die Gründung und Mitarbeit in der Mieterpartei sei ein Selbstermächtigungsprozess gegen die Fehlentwicklungen auf dem Wohnungsmarkt in Frankfurt. Seiner Meinung nach habe keine der etablierten Parteien in Frankfurt eine Antwort auf die Wohnungskrise, daher engagiere er sich in der neuen Partei. Währenddessen konnte sich anhand von Printmaterial der Frankfurter Mieterpartei über deren Engangement, Themen und Veranstaltungen informiert werden.
Von Mietwohnungen über Kleingärten zum Sozialticket – die Themen der Mieterpartei
Die ausführliche inhaltliche Positionierung der Mieterpartei Mannheim stellte im Anschluss Karlheinz Paskuda vor, der mit Ulrike Schaller-Scholz-Koenen den Vorstand inne hat. Er berichtete umfänglich und mit viel Spezialwissen über die Entwicklungen des Mannheimer Wohnungsmarktes, die Stadtentwicklung und politische Steuerungsprozesse durch die Stadtverwaltung. Er bezog sich auf die Konversionsflächen Turley, Franklin und Spinelli, die Neubebauung der Innenstadtquadrate T4/T5, das Glückstein-Quartier und weitere Projekte. Allesamt hätten sie den Fehler, dass der Fokus auf hochwertigem Wohnraum liege und die Schaffung von preisgünstigem Wohnraum einen viel zu geringen Anteil habe. Dies sei eine bewusste Strategie der Stadt Mannheim, die die Mieterpartei für völlig falsch halte. Fatal sei auch die Entwicklung im Jungbusch, der die Stadt tatenlos zusehe und die schlimme Gentrifizierungsprozesse mit Vertreibung, inbesondere der migrantischen Bevölkerung, nach sich ziehe. Ein großer Fehler sei auch der Abriss der günstigen Wohnungen in der Carl-Benz-Straße durch die GBG gewesen, dem alle Parteien außer der Linken zugestimmt hätten.
Die GBG müsse sich wieder auf ihre Kernaufgabe konzentrieren: Die Schaffung von günstigen Wohnungen. Das sei eine zentrale Forderung der Mieterpartei. Doch leider mache die GBG zur Zeit das Gegenteil, fördere sogar hochwertigen Wohnraum und habe das “Mantra” von 7,50 € als Definition von bezahlbarem Wohnraum in die Welt gesetzt. Ein solcher Mietpreis könne aber von vielen Menschen nicht bezahlt werden. Als Gegenbeispiel wurde die Stadt Ludwigshafen genannt, die, wohlgemerkt mit Unterstützung durch öffentliche Gelder, günstigen Wohnraum für 6 € Kaltmiete realisiere.
Ein weiteres Thema der Mieterpartei sei die Unterstützung der Kleingärtenanlagen. Karlheinz Paskuda erwähnte, dass er selbst seit einer Weile privat einen Garten habe und die Gärtner in der Feudenheimer Au bei ihrem Kampf um Erhalt der Gärten, gegen die Pläne der Bundesgartenschau unterstütze. “Ein Radschnellweg ist nicht wichtiger als die Kleingärten, in denen Familien seit Jahrzehnten ihre Freizeit verbringen und für jedes Kind einen Baum gepflanzt haben”, begründete er seine Position.
Weitere Themen der Mieterpartei seien der Einsatz für ein Sozialticket und die Unterstützung von Alleinerziehenden. Ansonsten sehen sich die Parteineugründer als Vertreter einer “sozialen Partei” und “Arm der sozialen Bewegungen”. Ziel sei der Einzug in den Gemeinderat nach den Kommunalwahlen 2019 – am besten in Fraktionsstärke. Die Situation der Mieter*innen sei nicht das einzige Thema der Partei, aber Wohnen sei nun mal der Ausgangspunkt für alles, die Grundlage des sozialen Lebens und damit ein zentrales Anliegen. Die nächsten Projekte der Partei seien Veranstaltungen zu den Konzernen Vonovia und Grand City. Hier sollten Mieter*innen über ihre Rechte aufgeklärt und deren Belange in die öffentliche Diskussion gebracht werden. Ein Instrument dafür könnten beispielsweise Auftritte bei Aktionärsversammlungen sein, bei denen man die Vorstände mit kritischen Fragen konfrontieren könne.
Kritische Nachfragen “Wo ist der Unterschied zur Linken?”
Im Anschluss an die Vorstellung hatten die Besucher*innen die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen. Davon machten einige gebrauch. Insbesondere Dennis Ulas und Roland Schuster, beide Bezirksbeiräte in der Neckarstadt für Die Linke stellten die Frage, worin denn nun eigentlich die relevanten Unterschiede zu den Positionen ihrer Partei seien. Gerade in der Frage des Mietwohnraums und der Auseinandersetzung um den Erhalt und die Schaffung günstiger Wohnungen habe sich Die Linke in den vergangenen Jahren stark engagiert – sozusagen im Sinne der Forderungen der Mieterpartei. Dennis Ulas wies darauf hin, dass er als einziger Bezirksbeirät für den Erhalt der Wohnungen in der Carl-Benz-Straße gestimmt habe. Roland Schuster verteilte an die Gäste ein Papier, in dem die kommunalpolitischen Aktivitäten der Linken im Bereich Wohnen seit 2013 aufgelistet waren. Darin wurde offensichtlich, dass sich die Linke bei nahezu allen Themen, die die Mieterpartei im Bereich Wohnungspolitik kritisiert, schon seit Jahren einsetzt. Verärgert merkte Roland Schuster an, dass Die Linke im Vorfeld der Gründung der Mieterpartei in einem Statement von Karlheinz Paskuda im Mannheimer Morgen als “Wurmfortsatz” von SPD und Grünen bezeichnet wurde. “Das ist eine Beleidigung ohne jegliche Grundlage.”
Ulrike Schaller-Scholz-Koenen leugnete nicht die inhaltliche Nähe zur Linken, beschrieb aber aus ihrer Sicht die Motivation, eine neue Partei zu gründen. Sie wolle sich nicht in einer etablierten Partei engagieren, sondern etwas neues machen. Ihre Erfahrung mit den Menschen im Mannheimer Norden – dort hatte die AfD bei der Landtagswahl ein Direktmandat geholt – habe ihr klar gemacht, dass sich die Menschen zwar nach sozialen Themen umschauen würden, aber kein Vertrauen in die etablierten Parteien hätten, zu denen auch Die Linke zähle. Viele hätten ihrer Meinung nach die AfD nicht gewählt, weil sie Rechte seien, sondern aus Protest. Die Mieterpartei könne einen solchen Protest kanalisieren und AfD Wähler*innen zurück gewinnen.
Karlheinz Paskuda, der konkret auf seinen schnellen Wechsel von der Linken zur Mieterpartei angesprochen wurde, hielt sich in der Diskussion zurück. Dennoch wurde klar, dass auch persönliche Gründe der Vorsitzenden einen Anstoß zur Gründung der neuen Partei in Abgrenzung zur Linken eine Rolle spielten. SPD-Vertreter Thomas Meier versuchte die Diskussion wieder einzufangen. Er wünschte der neuen Partei viel Erfolg und regte an, bei gemeinsamen Themen künftig den Dialog zu suchen und Bündnisse zu schmieden.
Kommentar: Wer braucht die Mieterpartei?
Die wesentliche Erkenntnis, die ich von der Vorstellung der Mieterpartei mit nach Hause nahm, war, dass es inhaltlich nahezu keine Unterschiede zur Linken gibt. Zu den anderen Parteien gibt es sie deutlich, aber bei praktisch allen Themen im Bereich Wohnungs- und Sozialpolitik vertritt Die Linke seit Jahren die Forderungen, die nun auch die Mieterpartei im neuen Gemeinderat stellen will. Genau ein Dissens ist mir aufgefallen: Die Position zur Bundesgartenschau, die sich um die Frage des Umgangs mit den Kleingärten in der Feudenheimer Au dreht. Die Position der Mieterpartei ist wenig überraschend die, die Karlheinz Paskuda schon seit einer ganzen Weile vertritt, kritisch auch innerhalb der Linken, als er noch Mitglied war. Die Kleingärtner müssten geschützt werden, der Radschnellweg oder andere öffentliche Projekte im Zusammenhang mit der Buga seien weniger wichtig als die bestehenden (privaten) Gartenanlagen und müssten daher drumherum oder gar nicht gebaut werden.
Was mir weiter aufgefallen ist: Die Mieterpartei wurde als “soziale Partei” und “Arm der sozialen Bewegungen” vorgestellt. Alle Forderungen sind klassische linke, sozialdemokratische Forderungen. Dennoch kam der Begriff “links” kein einziges Mal in der Selbstdarstellung vor. Auch das Wort “Kapitalismus” habe ich an diesem Abend kein einziges Mal gehört. Die Analyse der aufgeführten Missstände kratzte lediglich an der Oberfläche der Gesellschaft. Zu den Ursachen gesellschaftlicher Schieflagen wurde (bisher) nichts gesagt.
Dennoch, für mich ist offensichtlich, dass nicht Inhalte, sondern persönliche Gründe den Ausschlag für die Parteineugründung in Abgrenzung zur Linken gegeben haben. Das ist legitim und aus Perspektive des neuen Vorstands nachvollziehbar. Für mich, der ich selbst in keiner Partei Mitglied bin (und auch nicht sein möchte), stellt sich dann die Frage, bei welcher Partei ich bei der Kommunalwahl 2019 mein Kreuzchen machen sollte. Ich habe keinen Grund gefunden, die Mieterpartei der Linken zu bevorzugen. Alle thematisierten sozialen und wohnungspolitischen Forderungen (mit Ausnahme der Thematik Buga/Kleingärten) wurden und werden seit Jahren von der Linken kommunalpolitisch vertreten. Eine neue Partei sehe ich hier lediglich als Gefahr einer weiteren Zersplitterung des linken Blocks im Gemeinderat. Im schlimmsten Fall arbeiten sich die linken Parteien an sich selbst ab.
Ganz so dramatisch will ich es aber auch nicht prophezeien. Das Recht der Menschen, eine neue Partei nach ihren Vorstellungen zu gründen, ist natürlich zu respektieren und wenn damit zusätzliche Stimmen für soziale Themen geholt werden können, warum nicht? Ich fürchte zwar, das “Zurückholen” der AfD-Protestwähler*innen bleibt ein Wunschtraum. Die AfD wird nicht für ihre Ideen im wohnungspolitischen oder sozialen Bereich gewählt, sondern weil sie mit rassistischen Sprüchen gegen Flüchtlinge und Migrant*innen hetzen. Aber falls doch der eine oder andere AfD Wähler durch die Mieterpartei überzeugt werden kann, soll mir das natürlich recht sein.
In diesem Sinne sei der neuen Partei viel Erfolg gewünscht, verbunden mit dem Appell, sich nicht an den anderen Parteien im linken Spektrum abzuarbeiten und stattdessen konstruktive Bündnisse zu schmieden, um den Auswüchsen des Kapitalismus einen Dämpfer zu verpassen.
(Text und Bilder: cki)