Die Macht der Massen: AfD Großdemo in Berlin – und weit größerer Gegenprotest
Am 27. Mai 2018 fand die von der AfD großspurig angekündigte Großdemo “Zukunft für Deutschland” im Berliner Regierungsviertel statt. Die Rednerliste kündigte große Prominenz an: Gauland, Storch, Meuthen, Glaser, Pazderski… nur Weidel fehlte. Beinahe etwas unerwartet kam es auch zu einem erstaunlich großen und vielfältigen Gegenprotest – für Berlin eine erfreuliche Entwicklung. Zufällig war ich in der Nähe und konnte mir daher von diesem Spektakel einen Eindruck machen. Eine Erkenntnis war, dass die reinen Zahlenverhältnisse nicht unbedingt eine Wirkung auf das subjektive Erleben der Teilnehmer*innen haben müssen.
Unüberschaubarer Gegenprotest
Zunächst einmal bemühte ich mich darum, einen Überblick über die geplanten Veranstaltungen zu bekommen und dazu passend einen Tagesplan zu schustern. Gegen die AfD Veranstaltung, die um 12 Uhr am Hauptbahnhof beginnen sollte, gab es rund 15 Protestveranstaltungen, darunter fünf verschiedene Treffpunkte, die jeweils von großen Bündnissen organisiert wurden. Meine Hoffnung war, mindestens zwei, vielleicht drei Gegenveranstaltungen vor der AfD Kundgebung mitzunehmen.
“Bass statt Hass” war mein erster Anlaufpunkt am Hansaplatz. Zur Musikparade mit über 30 Umzugswägen hatten zahlreiche Clubs aus der Stadt aufgerufen. Tatsächlich war diese Mobilisierung das eigentliche Highlight, denn hier wurde eine neue Szene mobilisiert, die weite Kreise in den Protest einbinden konnte: die Partyleute, eine in Berlin wahrlich nicht unbedeutende Gruppe. Denn Berlin ist international bekannt als Ausgeh- und Feier-Metropole. Nachdem die AfD gegen Berlins berühmtesten Club, das Berghain, geschossen hatte, begann eine Diskussion in der Szene. Die AfD wurde als Bedrohung für die Club-Kultur generell ausgemacht. “Wir sind queer, wir sind laut, wir sind anders”, sagte Rosa Rave vom Bündnis “Reclaim Club Culture” gegenüber dem Deutschlandfunk Kultur und präzisierte mit der Einschätzung “wenn eines Tages die AfD die Macht übernehmen sollte, dann würden nicht nur unsere Clubs geschlossen werden, sondern es wäre auch mit unserer Version von einem freien und selbstbestimmten Leben sehr schnell vorbei”.
Am Treffpunkt Hansaplatz trudelten die Leute sehr langsam ein. Die Wägen wurden mit großen Musikanlagen, Dekoration und politischen Bannern bestückt – das ganze bei schwüler Hitze in der knallen Sonne. Bis es hier los ging, würde es noch eine ganze Weile dauern und langsam wurde mir klar, dass mein Plan mit den vielen Veranstaltungen völlig unrealistisch war. Also entspannen, Wägen anschauen, Musik genießen, was essen und kurz vor zwölf machte ich mich auf den Weg zur AfD.
Zwischen grimmigen Männern und schwarz-rot-goldenen Fähnchen
Am Hauptbahnhof wurde es hässlich. Ich musste noch kurz einen Presseausweis vorzeigen, dann tauchte ich in ein Meer aus schwarz-rot-goldenen Fähnchen ein, gefangen zwischen schwitzigen, eng gedrängten Körpern und einer latent aggressiven Stimmung.
Die Kundgebung lief schon und Beatrix von Storch wurde gerade angekündigt, als ich kam. “Beatrix hat heute Geburtstag, daher wollen wir ihr ein Ständchen singen”, rief die Moderation und tausende krächzende Stimmen begannen in melodielosem deutsch “Zum Geburtstag viel Glück…”
Inhaltlich ist mir nichts auffälliges an ihrer Rede hängen geblieben – Notizen habe ich mir keine gemacht, in anderen Medien wurde ich später daran erinnert, dass sie sich am Fußballer Özil abarbeitete, der für sie kein richtiger Deutscher sei – da ging es auch schon los mit der Demo. Von der Bühne wurde eine orchestrale Version von “Die Gedanken sind frei” gespielt.
Die Masse quetschte sich vom Platz, vorne raus eine Menge an Fotograf*innen und Kameraleuten, die eine eigene Demo hätten sein können. An der Gustav-Heinemann-Brücke gab es gleich den Erstkontakt mit Gegendemonstant*innen. Unvermittelt begann die Menge “Nazis raus” zu brüllen – und zwar nicht auf Seiten des Gegenprotestes, sondern die AfD-Demo. Meine erste Erkenntnis an diesem Tag: Tatsächlich halten sich die AfD-Anhänger*innen selbst aus tiefster Überzeugung für lupenreine Demokraten (ohne *). Die auf der anderen Seite, beim Gegenprotest, seien “die Nazis” und “Links-Faschisten”, weil sie etwas gegen ihre Meinung haben. Das ist kein provokatives Spielen mit Begrifflichkeiten, sondern tatsächlich Ausdruck der eigenen Welt, der sogenannten “Blase”, in der sich das rechte Milieu bewegt.
Beim Belauschen von Gesprächen konnte ich diese Erkenntnis vertiefen. Der Gegenprotest wird vor allem den großen Parteien und Gewerkschaften zugerechnet. Alles was nicht klar zuordenbar ist, gilt als die mysteriöse Antifa. Vielfach wurde Empörung geäußert, dass der Gegenprotest von den Steuergeldern der AfD-Anhänger*innen finanziert würde.
Von Begriffen, wie Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit oder Meinungsfreiheit herrscht im rechten Milieu eine ganze eigene Definition, die wenig mit dem zu tun hat, was der Rest der Gesellschaft darunter versteht. Deshalb können sich die Rechten auch positiv auf vermeintlich linke Begrifflichkeiten beziehen (wie z.B. mit dem Lied „Die Gedanken sind frei“) und sind gleichzeitig immun gegen Argumentationen politischer Gegner, da eine wesentliche Gesprächsgrundlage, eine einheitliche Begriffsbestimmung, gar nicht vorhanden ist.
Freiheit heißt für die AfD, die eigene Meinung zu sagen und durchzusetzen – egal wessen Freiheit dadurch verloren geht. Demokratie heißt für die AfD Volksherrschaft – definiert sich aber ihr eigenes Volk nach rassistischen Kriterien. Wer dazu nicht gehört, hat selbstverständlich auch nicht das Recht mitzuherrschen. Gerechtigkeit ist für die AfD dann gegeben, wenn das Recht die Sicht der AfD umsetzt. Die Fähigkeit zum universellen Blick fehlt gänzlich.
Teer, Boote, Glitzer und ein Kletterer
Weiter ging es durchs Regierungsviertel in Richtung Brandenburger Tor. Die Route war kurz. Am Rande gabt es an fast allen Straßen immer wieder Gegendemonstrant*innen, die es bis zur Route der AfD geschafft hatten. Auffällig waren die glänzenden, silber-goldenen Fahnen, die ein Bündnis Berliner Künstler*innen aus der Theaterszene mit dem Namen „Die Vielen“ trug. Die Polizei hielt die einzelnen Gruppen ohne größeren Aufwand auf Distanz. Protest in Sicht- und Hörweite war vielerorts möglich.
Von einer Brücke tropfte eine schwarze Flüssigkeit. Es stank widerlich. Kurz darauf sah ich, was los war. Gegendemonstrant*innen hatten offenbar einen Behälter mit Schweröl von einer Brücke gekippt und einige Teilnehmer*innen der AfD erwischt. Für die Betroffenen muss das äußert unangenehm gewesen sein. In der Masse fiel es aber kaum auf, die meisten hatten die Attacke wohl gar nicht mitbekommen.
An mehreren Stellen wurde auf dem Wasser gegen die AfD demonstriert. Boote waren geschmückt und mit politischen Botschaften und lauten Musikanlagen ausgestattet. Vor allem junge Menschen äußerten ihren Protest auf dem Wasser. Die Polizei war ebenfalls mit Booten im Einsatz und sorgte für die nötige Distanz.
Am Brandenburger Tor hatte die AfD eine zweite Bühne aufgebaut, vor der sich die langsam ankommende Menge versammelte. Die prominenten Politiker durften nacheinander ihre Reden halten. Da ich mir keine Notizen machte, kann ich auch hier wenig über Inhalte schreiben, denn es ist wenig hängen geblieben. Die Reden waren nach den immer gleichen, rechtspopulistischen Mustern gestrickt und bedienten die üblichen Themen. Pazderski brachte ein paar lokale Berliner Themen ein, Glaser wirkte erschreckend senil (er erinnerte mich an Mister Burns von den Simpsons) und Gauland war wie üblich der Star seines auserwählten Volkes: Rhetorisch am besten und meiner Einschätzung nach mit dem meisten Applaus (“Gauland Bundeskanzler”). Dennoch kam er aus dem Konzept, als ein Gegendemonstrant unerwartet auf das Bühnengerüst kletterte und der aufgebrachten Masse den Mittelfinger zeigte. Während Gauland stammelte, fing die Menge an zu johlen. Zuerst “Abschieben!”, dann “Abschießen!”.
Brennende Autos und Lob für friedliche Proteste
Auf der anderen Seite des Brandenburger Tors hatten sich mittlerweile tausende Menschen versammelt, die von verschiedenen Protestveranstaltungen zusammen kamen. Die Menge war um einiges großer, als die Menge, die vor der AfD Bühne stand. Auch aus den anderen Richtungen wurde die AfD vom Gegenprotest umzingelt. Die Teilnehmer*innen des Raves kamen über den Tiergarten zur Polizeisperre, nah an die AfD Kundgebung heran. Beide Seiten konnten sich gegenseitig anschreien.
Die offiziellen Zahlen der Polizei wurden am Abend mit 5000 bei der AfD und 25 000 beim Gegenprotest angegeben. Die Veranstalter*innen sahen das wie üblich optimistischer mit 8000 (AfD) und bis zu 72 000 (Gegenprotest). Interessant war die Möglichkeit der isolierten subjektiven Wahrnehmung der Masse. Wer sich in der AfD Demo bewegt hatte, konnte sich wohlig in einer großen Menge Gleichgesinnter fühlen und dem Glauben anhängen, es habe kaum Gegendemos gegeben. Denn die Gegendemonstrant*innen waren stets in einiger Distanz. Auch wenn man dort hin ging, konnte man stets nur eine überschaubare Anzahl sehen. Die Wirkung der Masse ist sehr subjektiv. Wenn man auch noch einer Lügenpresse-Ideologie anhängt und die Zahlen der Polizei als Propaganda der Merkel-Regierung „entlarvt“, ist es gut möglich, sich in seiner politischen Minderheit als Speerspitze des Volkswillens zu fühlen. Mit der Berliner Realität hat das nichts zu tun.
Viel anders war es auch beim Gegenprotest nicht. AfD- und Deutschlandfähnchen gab es nur von weitem. Die Rechten blieben anonyme Auswärtige (die meisten dürften keine Berliner*innen gewesen sein) und weit hinter Polizeiabsperrungen versteckt. Die eigene Masse war hingegen ein überwältigendes Gefühl – ob es nun 25 000 oder 70 000 waren, wer kann das schon wissen.
Was ist daraus zu lernen? Eine gute Mobilisierung ist zwar wichtig, wirkt aber vor allem auf die eigenen Leute. Auf die Gegenseite wirken ein paar Liter Teer vielleicht eindrucksvoller, als zehntausende Menschen.
Im Nachgang fiel meinem Blick des Auswärtigen noch die mediale Berichterstattung und die Einschätzung der Polizei auf. Letztere schrieb am Abend von einem “überwiegend störungsfreien” Verlauf der Demos. Auch die Presse stimmt ein und lobte fast durchgehend die friedlichen, bunten und vielfältigen Proteste. Doch zählt die Polizei auch auf, was sie an militantem Protest registriert hat: Zwei in Brand gesetzte Auto, Barrikadenbau auf Fahrbahnen, ein Angriff von 100 Vermummten auf ein Polizeifahrzeug, die Teer-Attacke von der Brücke… Wer sich an das Theater erinnert, das die Polizei nach einer Kandel-Demo in der Südpfalz veranstaltete, als drei Böller in Richtung rechter Demo geflogen sind, kann im Nachgang nur den Kopf schütteln. Das ist eben die Provinz. Schön für mich, auch mal wieder in der Hauptstadt gewesen zu sein.
(cki)
Bildergalerie
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