Nie wieder: Mit Schreckschusspistolen, Schlagstock und Reizgas zur Demo [mit Bildergalerie und Glosse]
Nach offiziellen Angaben nahmen rund 600 Personen an den vier angemeldeten Kundgebungen am vergangenen Samstag teil. Etwa 500 PolizeibeamtInnen befanden sich im Einsatz. Anlass der Kundgebungen war der erneute Aufzug des rechts-nationalen, migrationsfeindlichen „Frauenbündnis Kandel“, mehrheitlich durch Männer auf der Straße vertreten. „Die Partei“, das „Männerbündnis Kandel“ und „Wir sind Kandel“ setzten unterschiedliche Schwerpunkte bei ihren Protest-Veranstaltungen.
Rassistischer Angriff von Rechten führt zu Festnahmen – KIM-Reporter wird von einem „Polizeibeamten“ angegangen
Gemäß einer Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Rheinpfalz verliefen die Veranstaltungen insgesamt friedfertig. Dies deckt sich auch mit unseren Beobachtungen, die wir den Tag über machen konnten.
Die Polizei berichtet: „Es kam nur zu einem erwähnenswerten Vorfall. Auf der Hauptstraße beleidigte gegen 13.30 Uhr ein 30-jähriger Karlsruher einen 25-jährigen aus Trier. Bei der sich anschließenden Identitätsfeststellung leistete der 30-Jährige gegen die Einsatzkräfte Widerstand und beleidigte eine Polizistin. Bei dem 30-jährigen Tatverdächtigen konnten die Polizisten schließlich eine geladene Schreckschusswaffe und ein Teleskopschlagstock auffinden. Auch die 63-jährige Begleiterin des Karlsruhers hatte eine geladene Schreckschusspistole und Pfefferspray dabei. Die Waffen wurden sichergestellt. Gegen die beiden Tatverdächtigen wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, der 30-Jährige muss sich wegen Beleidigung, Verstoß gegen das WaffG und gegen das Versammlungsgesetz, die 63-Jährige wegen der Verstöße gegen das Waffengesetz und Versammlungsgesetz verantworten.“
Augenzeugen zufolge, wurde von den beiden Personen, gegen die polizeilich ermittelt wird, und die dem Unterstützerumfeld des „Frauenbündnis Kandel“ zugerechnet werden könnten, eine Person aufgrund seiner Hautfarbe rassistisch beleidigt und als „Nigger“ beschimpft.
Ein vermeintlicher „Polizeibeamter“ verlangte von einem KIM-Reporter dessen Presseausweis sehen zu wollen. Als dieser den „Beamten“ nach dessen Dienstausweis fragte, musste dieser passen. Die hinzugerufenen Polizeibeamte nahmen sich der Sache an. Der polizeiliche Staatsschutz wird inzwischen wohl gegen diese Person ermitteln, die sich fälschlicherweise als Polizeibeamter ausgab und damit versuchte die Pressearbeit zu behindern.
In der Sache geeint, in den Farben getrennt?
Kandel ist seit einem Gewaltverbrechen, bei dem eine junge Frau Ende Dezember 2017 von ihrem Ex-Freund, einem Asylantragsteller, ermordet worden sein soll, Schauplatz regelmäßiger Aufzüge aus dem rechten Spektrum. Nur mühsam entwickelte sich in der Kleinstadt etwas, was der Beobachter als Widerstand dagegen bezeichnen kann. (Siehe hierzu unsere Glosse zum Thema).
Drei Gegenkundgebungen fanden an diesem Tag statt: Die Partei, das Männerbündnis Kandel (Fokus Marktplatz) und Wir sind Kandel (am Saubrunnen) mobilisierten mehr als 400 Menschen. Unterstützung kam zusätzlich durch die Kunstaktion „Mauer gegen rechts“ in der Lauterburgerstrasse, an der Marschroute des rechtslastigen, Reichsbürger nahen „Frauenbündnis“, realisiert von Aufstehen gegen Rassismus Südpfalz mit Unterstützung von AgR Rhein-Neckar.
Sämtliche RednerInnen bei den verschiedenen Kundgebungen gegen die regelmäßigen Aufläufe aus rechten Milieus, sprachen sich vehement und nachhaltig gegen jede Form von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Extremismus aus. Beispiele:
Dr. Bernhard Braun (MdL, Die Grünen) warnte bei seiner Rede am Saubrunnen davor, dass Rassisten unter dem Deckmantel der Anteilnahme gesellschaftliche Spalterei betreiben. Seinen Worten zufolge ist die Landesregierung in Mainz weiterhin zutiefst betroffen, was das Gewaltverbrechen in Kandel angeht. Kandel werde man auch in diesen Zeiten nicht alleine lassen.
Dr. Dennis Nitsche (OB Wörth, SPD) sprach sich auf dem Marktplatz klar und deutlich für eine offene und bunte Gesellschaft in Kandel, so wie er sie aus Wörth kennt, aus. Der Redner dankte wörtlich der „Antifa“ für den dauerhaften Einsatz in Kandel, was die Verteidigung demokratischer, rechtsstaatlicher Prinzipien angeht und für den Schutz der aus rechten Lagern angegriffenen Bürgermeister und Medienvertretern. Seine klare Ansage war sinngemäss „Für ein geeintes Europa und für eine unabhängige und kritische Presse“.
Laut, bunt und kreativ vs. dumpf-nationalistisch „verkurzt“
Dumpf-hohl bis rhetorisch nahezu NSDAP-gleich klangen Reden und Lieder beim nur mäßig besuchten monatlichen Auflauf des beim Marsch 2017 gescheiterten Marco Kurz und seinem sogenannten „Frauenbündnis“. Damit ist auch Kurz in der Z-Klasse der rechten „Promi“-Redner angekommen. „Man lädt sich halt gegenseitig ein.“
„Marco muss weg“ war auf einem Schild zu lesen. „Kurz“ musste am 07.07.18 eine abgekürzte Route laufen. Laute, kreative Buntheit werden wahrgenommen. Nachhaltigkeit und dauerhafte ehrliche Arbeit gegen rechte Extremisten und besorgte BürgerInnen vor Ort lässt weiter zu wünschen übrig. Die BürgerInnen, die sich noch mehrheitlich verstecken, gilt es zu motivieren. Es wird eine Herkulesaufgabe für „Wir sind Kandel“ werden, um sich als gesellschaftlicher, antifaschistischer Anker zu beweisen. Charta hin oder her.
Antischafistische Unterstüzung kam an diesem diesem Tag u.a. aus Mannheim, Karlsruhe und Landau. Fahnen und Banner zeigen lautet auch diesmal das Motto.
Gegen die Pressefreiheit:
Das „Frauenbündnis“ unter der Regie von Marco Kurz beabsichtigt am 21.07. in Ludwigshafen/Rhein vor dem Verlagsgebäude der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ einen Protest auf die Straßen zu tragen. Ein geplanter Demozug soll bis zum Hauptbahnhof führen. Unseren Informationen zufolge mobilisiert sich der Gegenprotest in der Industriestadt, um klare Kante gegen rechts und eine Lanze für die Pressefreiheit zu zeigen.
Glosse:
Quo vadis, Kandel?
Ein südpfälzisches „Dorf“ und sein eigener politischer Selbstmord.
In Kandel kann man sich mittlerweile ziemlich sicher sein, der rechte Rand wird verharmlost. Die Stadtoberen haben es immer noch nicht erkannt, dass die Stadt längst mit dem Rücken zur Wand steht. Das Epizentrum der „Rechten“ in Süddeutschland ist Kandel schon längst geworden. Das Rathaus hat sich schulterklopfend selbst manipuliert. Da fallen dann schon mal starke Worte wie „es werden ja immer weniger“, „es sind ja nur noch 100“ und „bald gibt er auf, der Kurz“. Diese Naivität wird Kandel früher oder später gewaltig um die Ohren fliegen, es war schon immer so. Naivität hat ihren Preis. Und den wird auch Kandel zahlen.
„Wir sind Kandel“. An jedem Ortseingang ist es groß zu lesen. Aber wer oder was ist „Wir sind Kandel“? Wir fragen nach. Ist „Wir sind Kandel“ ein Stadtrat, der damit beschäftigt ist, die Schuldigen der Demonstrationen bei denen zu suchen, die für ein nazifreies Kandel auf die Straße gehen? Bei den Personen, die ihre Freizeit und Geld investieren? Bei den Personen, die für Menschenrechte, gegen Rassismus und für ein friedliches Miteinander stehen?
Ein Stadtrat der Gegendemos grundsätzlich als Missbrauch von Linksextremen sieht, ein Stadtrat der unwahre Behauptungen aufstellt, um seinen eigenen politischen Ansichten Nachdruck zu verleihen; ein Stadtrat der gezielte Gewalt gegen seine Bürger (3.3.2018) schweigend duldet, drei Silvesterböller aber als Sprengstoff verkauft, ein Stadtrat der alle friedlichen Gegendemonstranten pauschal als Linksextreme kriminalisiert, es aber gleichzeitig ignoriert und duldet das Rechtsextreme durch die Straßen von Kandel laufen?
Ist „Wir sind Kandel“ ein Stadtrat, der als Dank an die vielen Menschen, die für Kandel auf die Straße gehen, mit verschlossenen Toiletten oder der Verweigerung von Strom belohnt?
Ist „Wir sind Kandel“ ein Bündnis, welches sich aus Angst vor Entzug der Hilfe der Stadt Kandel nur bedingt zu einer Zusammenarbeit mit anderen Gruppen entschließen kann?
Ist „Wir sind Kandel“ ein Stadtrat, der damit beschäftigt ist, über Dritte an Unterlagen von Journalisten zu gelangen, über diese eventuell verwertbare Informationen über das eigene Feindbild Antifa zu erhalten, das es so aber in Kandel überhaupt nicht gibt?
Für einen Stadtrat, für den Infos über das rechte Spektrum hingegen völlig uninteressant ist. Ist „Wir sind Kandel“ der Stadtrat, der sich längst nicht mehr die Frage stellt: “Was ist da los?”, sondern: “Was machen wir als nächstes?” „Wie werden wir die linke Gegendemonstration los?“
Ist „Wir sind Kandel“ der Stadtrat, der sich einem so dringend benötigten Austausch und Dialog entzieht?
Es scheint, als habe man sich im Rathaus längst damit abgefunden, Deutschland nicht mehr als ruhiges Land, tolerant, bunt und lebenswert für alle Menschen wahrzunehmen, sondern als Hotspot rechter Gruppierungen, ein Land, das nicht mehr in der Lage ist, mit allen demokratischen Kräften Gesicht zu zeigen.
Fragen über Fragen. Im Rathaus Kandel ist es ziemlich dunkel, vielleicht würden neue, hellere Glühbirnen nützen. Kommunalwahlen stehen ja vor der Tür. Leider ist es aber auch so, dass Politiker wie Dr. Dennis Nitsche nicht auf den Bäumen wachsen. In Kandel braucht es keine Politiker, die nicht in der Lage sind, Situationen richtig einzuschätzen und lieber der Mehrheit der „Helfer*innen“ gegen rechts permanent vor die Füße spucken!
(Bericht: Christian Ratz – Glosse: John Brambach – Fotos/Video: Erik Butz, John Brambach und Christian Ratz)
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