Kinderarztpraxen in Mannheim: Im Durchschnitt genug – aber die Verteilung?!

„Die Chancen für ein gesundes Aufwachsen sind in den Sozialräumen mit ausgeprägten sozialen Problemlagen schlechter als in den sozialstrukturell (eher) unauffälligen Sozialräumen“ (1). So lautet das Fazit aus der Satellitenveranstaltung der Kommunalen Gesundheitskonferenz „Gesund aufwachsen in Mannheim“ vom 22.6. 2018.

„Bericht zur gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen in Mannheim“ (2) lautet der Titel einer ausführlichen Untersuchung, die dem Gemeinderat der Stadt Mannheim im September 2019 vom FB Jugend- und Gesundheitsamt vorgelegt wurde. Die Auswertung der gesundheitsbezogenen Merkmale von Kindern und Jugendlichen erfolgte hier nach sogenannten „Sozialräumen“; das sind Stadtteile mit ähnlichen sozialstrukturellen Merkmalen. So umfasst der Sozialraumtyp V die sozialstrukturell auffälligsten Stadtteile Schönau, Waldhof, Luzenberg, Neckarstadt West und Hochstätt. Der Bericht beschränkt sich nicht nur auf das Offenlegen der prekären Lebensbedingungen, sondern benennt die dringlichen Handlungsbedarfe in diesen Stadtteilen mit den erforderlichen Handlungsempfehlungen.

Die Versorgung mit Kinderärzt:Innen zählt zur medizinischen Grundversorgung. Laut Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg ist die kinderärztliche Versorgung in Mannheim mit 35 Sitzen für Kinder- und Jugendmedizin abgedeckt (Stand 31.12.2015). Derzeit stehen 21 Praxen für Kinder- und Jugendmedizin zur Verfügung – die Verteilung der Praxen über die Stadt ist jedoch äußerst unausgewogen. Außer im Stadtteil Waldhof existiert im gesamten Sozialraum V keine einzige Kinderarztpraxis. Praxen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, sowie Versorgungsangebote für Ergo-, Sprach- oder Physiotherapie fehlen im gesamten Sozialraum V.

Es gibt Studien aus der Versorgungsforschung zur Überprüfung der Inanspruchnahme: je größer die Hürden – auch verkehrstechnischer Art und den damit entstehenden Kosten (z.B. für ÖPNV-Fahrkarten) – desto geringer ist die Inanspruchnahme z.B. von Untersuchungen und Impfterminen. Kurze Wege sind wichtig für die Nutzenden. Je höher die Hürden, desto geringer ist die gute Versorgung von Kindern und Jugendlichen

Die Versorgung der Familien mit neu geborenen Kindern durch Hebammen ist ein grundlegendes Angebot, um den Kindern einen gesunden Start ins Leben zu ermöglichen. Vor allem in den Stadtteilen, die dem Sozialraum V zugeordnet sind, besteht jedoch auch bei diesem Angebot eine ausgeprägte Unterversorgung. Fast ein Drittel der Familien bleiben nach Geburt eines Kindes ohne Hebammenbetreuung. Da Hebammen in ihrer Berufsausübung die räumlichen Bedingungen und sozialen Hintergründe der Familien direkt vor Ort erleben, können sie in erheblichem Maße dazu beitragen, dass der Sprung in das medizinische Gesundheitssystem funktioniert. Im Rahmen der städtischen Beratungs- und Unterstützungsangebote für Familien von Neugeborenen „Frühe Hilfen“ und „Willkommen im Leben“ werden alle Familien mit neugeborenen Kindern vom Gesundheitsamt kontaktiert und ihnen auf freiwilliger Basis zur Beratung der Besuch von Familien-, Kinder- und Gesundheitspflegerinnen angeboten. Allerdings misslingt auch dies häufig aus Personalmangel. Ohne die Bereitstellung und Ausstattung zusätzlicher Stellen im Fachbereich zur Einstellung des erforderlichen Personals kann das Gesundheitsamt diesen Aufgaben nicht im erforderlichen Umfang nachkommen. Acht Kinderkrankenschwestern – das sind 4,5 Vollzeitstellen für ganz Mannheim – es ist offensichtlich, dass diese Kapazitäten keine ausreichende Betreuung ermöglichen. Hier nennt der Bericht einen dringenden Verbesserungsbedarf.

Jetzt ist der Gemeinderat am Zuge, die vom Jugend- und Gesundheitsamt benannten Handlungsempfehlungen aufzugreifen und entsprechend umzusetzen.

Die Fraktion LI.PAR.Tie reichte im November 2020 folgenden Antrag im Gemeinderat ein:

Die Stadtverwaltung wird beauftragt, ein Konzept zu erarbeiten, mit dem eine gute gesundheitsrelevante Versorgungsstruktur für Kinder und Jugendliche in den Stadtteilen des Sozialraumtypus V gewährleistet werden kann.
Um eine ausreichende Familienbetreuung nach der Geburt eines Kindes durch Hebammen und Kinderkrankenschwestern in allen Stadtteilen des Sozialraumtypus V abzusichern, werden weitere Planstellen für diese eingerichtet.
Es werden unterstützende Maßnahmen zur zeitnahen Schaffung einer kinderärztlichen „Zweigpraxis“ im Stadtteil Hochstätt ergriffen.

Begründung:

Der „Bericht zur Gesundheitlichen Lage von Kindern und Jugendlichen in Mannheim“ (V580/2019) zeigt, dass in den Stadtteilen des Sozialraums V große Defizite bestehen. Besonders der Stadtteil Hochstätt weist seit Jahren eine unzureichende medizinische Versorgungslage aus – vor allem für die dort lebenden Kinder und Jugendlichen. …

Das trifft in besonderem Maße auf den Stadtteil Hochstätt zu: 26,1 % der 3.179 Einwohner*innen sind jünger als 18 Jahre (Mannheim insgesamt 15 %); 27 % sind Alleinerziehenden-Haushalte (Mannheim 20,3 %); Belegungsdichte der Wohnungen bei 2,8 Personen (Mannheim = 1,9); Kaufkraft pro Person / Haushalt 14.866 € / 35.694 € (Mannheim: 23.673 € / 40.197 €). Zahlen aus dem Statistikatlas von 2019. …

Im Stadtteil Hochstätt verschärft die besonders problematische Sozialstruktur diese Mängel erheblich. … Für alle Bewohner*Innen dieses Stadtteils gibt es zur ärztlichen Versorgung nur einen Facharzt für Allgemeinmedizin…“

Weitere Anträge dazu an den Mannheimer Gemeinderat sind (Stand: Dezember 2020) bisher nicht bekannt.

„Eine Erhöhung der Gesundheitlichen Chancengleichheit unterstützt das strategische Ziel der Stadt Mannheim: Mannheim ist Vorbild für Bildungsgerechtigkeit in Deutschland“. (1)

Bis dahin ist es offensichtlich noch ein weiter Weg. Also: als erstes ein Konzept und spätestens bei den nächsten städtischen Haushaltsplanungen müssen die erforderlichen Mittel eingestellt werden.

(Irmgard Rother)

 

Quellen

(1) Dokumentation Satellitenveranstaltung “Gesund aufwachsen in Mannheim”

(2) Bericht zur gesundheitlichen Lage. von Kindern und Jugendlichen in Mannheim