Neckarstadt-West – quo vadis?
Eine notwendige Auseinandersetzung um die Entwicklung eines Stadtteils.
Quo vadis – ja wohin geht die Neckarstadt-West? An dieser Fragestellung arbeiten sich viele verschiedene Akteure ab.
„Westwind“
Nun ist ein neues Papier herausgekommen.
Der vielversprechende Name ist „Westwind – Smart City Neckarstadt-West/Jungbusch – gestärkt aus der Krise – Chancen und Perspektiven für eine bessere Stadt“.
„Gemeinsam mit dem Gewerbeverein Jungbusch-Neckarstadt-West, dem Netzwerk Wohnumfeld / Bürgerinitiative Neckarstadt-West“ haben Markus Sprengler und Marcel Hauptenbuchner ein Positionspapier mit Handlungsfeldern und einem konkreten Aktionsplan ausgearbeitet.
Markus Sprengler ist seit 2019 Stadtrat der GRÜNEN und u.a. deren fachpolitischer Sprecher für Musikkultur/Kreativwirtschaft und in diesem Bereich auch beruflich angesiedelt.
Marcel Hauptenbuchner ist Geschäftsführer und Mitinhaber der Mannheimer Immobilienfirma „Hildebrandt & Hees“ und inzwischen Eigentümer von vielen Häusern im Jungbusch/Neckarstadt-West.
Hildebrandt & Hees hat im Jungbusch inzwischen etwa 30 Häuser aufgekauft und in der Neckarstadt-West sind es zwischen 30 und 40. In der Regel werden die Häuser saniert, oft auch generalsaniert und modernisiert. Hauptenbuchner wehrt sich gegen den Vorwurf des Miettreibers. Er würde die Modernisierungskosten nicht wie möglich vollständig sondern nur zum Teil umlegen. Familien könnten nochmals einen Mietenabschlag bekommen. Er sagt, dass ihm die allseitige und nachhaltige Entwicklung der Neckarstadt-West, insbesondere die Verbesserung des Wohnumfeldes, ein persönliches Anliegen sei. Allerdings bleibt unter dem Strich: Die Mieten seiner Wohnungen sind erheblich teurer als vorher. Für generalsanierte und modernisierte Wohnungen werden mehr als 10 EUR pro Quadratmeter verlangt. Und das können viele Menschen, die in der Neckarstadt-West bisher wohnen, nicht bezahlen. Kritiker der Geschäftspolitik von H&H sprechen deshalb von Verdrängung und Gentrifizierung. Die angestrebte Entwicklung und Aufwertung der Neckarstadt-West sei vor allem im Interesse des Investors, da sich so höhere Immobilienpreise erzielen lassen würden.
Doch nun zurück zum Papier „Westwind“. Das Papier ist den BezirksbeirätInnen von Neckarstadt-West zugestellt worden. In einer Videoschaltung in der letzten Woche, an der einige BezirksbeirätInnen zugeschaltet waren, wurde das Papier vorgestellt. Zu einer eigenständigen Beratung ist es allerdings noch nicht gekommen.
Ansonsten kursiert das Papier bei StadträtInnen der GRÜNEN, der SPD und CDU, die zum Teil sich auch schon geäußert haben – und inzwischen auch im Netz.
Welche Punkte beinhaltet „Westwind“?
Es besteht aus 5 Hauptpunkten:
- Verkehr
Hier geht es um eine Verbesserung der ÖPNV Angebote, um die Ertüchtigung z.B. der S-Bahnhaltestelle Neckarstadt West. Weitere Stichpunkte: Verbesserung der Fahrradinfrastruktur, Einrichtung von Fahrradstraßen z.B. in der Langstraße, Dammstraße und Riedfeldstraße, freie Gehwege durch Einbahnstraßen und einseitiges Schrägparken z.B. in der Hafenstraße und Langstraße, Schließung von Lutherstraße, Beilstraße und Jungbuschstraße für den Durchgangsverkehr, Stärkung von Car-Sharing Angeboten. - Belebung des öffentlichen Raums
An ausgewählten öffentlichen Räumen wie Dammstraße, Neumarkt und Neckarwiese soll ein „ausgewogener Mix aus kommerziellen und ehrenamtlich-sozialen Nutzungskonzepten“ entstehen wie Märkte, Kulturveranstaltungen, Familienaktivitäten, Sport und Urbane Landwirtschaft. Das Angebot soll auf die Bedürfnisse und Strukturen der lokalen Anwohner zugeschnitten sein. - Gastro und Einzelhandel
Erweiterung der Außenbestuhlung über das eigene Grundstück hinaus, Verlängerung der Sperrstunde für Außenbereich in ausgewählten Lagen wie Jungbuschstraße und Beilstraße, Gastronomie-Kiosks im öffentlichen Raum z.B. Alphornstraße, Dammstraße oder Quartiersplatz. - Kunst & Kultur
Dezentralisierung von Kulturangeboten mit kleinen Bühnen, Straßenmusik und Spielstätten im öffentlichen Raum, vereinfachte Genehmigungsverfahren für Gastronomen, Startups, zentrierte Förderstrukturen, einfacher Zugang zu potentiellen Kunden, “Plattformdenken” etc. - Ökologie
Hier sind die Stichworte Urbanes Gardening, Fassadenbegrünung, Förderung von Grünflächen.
Bürgerbeteiligung
Wie alle solche Projekte spricht auch dieses Projekt von Bürgerbeteiligung. Dieses Versprechen ist bisher allerdings ein Versprechen für die Zukunft.
Aktionsplan
„Westwind“ fordert eine Priorisierung von Maßnahmen und leitet daraus einen Aktionsplan ab. Er beinhaltet als erste Maßnahmen, die Sperrung der Lutherstraße für den Straßenverkehr, den Ausbau der Dammstraße als Fahrradstraße, Konzerte auf der Neckarwiese, Fassadenbegrünung in Kooperation mit der Klimaschutzagentur, und der Ausbau der S-Bahn Haltestelle Neckarstadt.
Erste Einordnung von „Westwind“:
Viele der Forderungen, insbesondere den Verkehr betreffend, sind schon oft und zum Teil seit langer Zeit erhoben worden. Das Thema Fahrradstraßen war schon Gegenstand von Bezirksbeiratssitzungen. Der Ausbau des S-Bahnhofs, für den die Deutsche Bahn zuständig ist, wurde sogar schon 2011 gefordert. Die beabsichtigte Schließung des Bahnhofs konnte gerade noch verhindert werden. Aber man sollte nicht über die Urheberschaft richtiger Forderungen streiten, entscheidend ist, was am Ende herauskommt.
Die Forderung nach mehr Grün kommt gut und ist richtig. Was die Belebung des öffentlichen Raumes angeht, sind die Vorstellungen zumindest ambivalent. Die Förderung von Gastrounternehmen, StartUps und Eventkultur steht stark im Vordergrund. Die Befürchtung ist da, dass die Interessen der Wohnbevölkerung, (auch das Recht auf Ruhe) im Widerspruch zu diesen Aktivitäten steht.
Was fehlt:
Jedes Positionspapier ist natürlich nie ganz vollständig. Es fehlt immer etwas. Trotzdem fällt auf, dass zwei zentrale Bereiche gar nicht angesprochen werden.
Die SPD hat sich in einer ersten Stellungnahme zu diesem Papier geäußert. In Teilen wird das Papier begrüßt, aber es wird zu Recht das völlige Fehlen des Bereichs Jugend, Bildung, Familie (incl. Kitas, Schulen) moniert. Hier gibt es wichtige Initiativen wie „Campus Neumarkt“, die es zu stärken gilt.
Was noch fehlt:
Die Wohnsituation incl. das Problem extrem steigender Mieten. Dass Hildebrandt & Hees dieses Problem nicht angesprochen hat, ist angesichts der Interessenlage nicht verwunderlich. Dass Markus Sprengler als Stadtrat Der GRÜNEN hier schweigt, ist schon eher verwunderlich und hoffentlich nicht offizielle Politik der GRÜNEN. Die politische Herausforderung ist die Antwort auf die Frage, wie die Miet- und Immobilienpreissteigerungen begrenzt werden können und Wohnraum bezahlbar bleibt.
Für die weitere Behandlung der Problematik sind möglichst breit und viele Akteure einzubeziehen. Der Prozess muss demokratisch und transparent sein. Das neue Quartiersmanagement kann hierbei eine wichtige Scharnierfunktion haben.
Roland Schuster, Bezirksbeirat Neckarstadt-West, DIE LINKE