“Ich fiel nach einem Schlag in mein Gesicht sehr schnell zu Boden” – Interview mit Lotta
Ab heute steht die 21-jährige Lotta aus Mannheim in Hamburg vor Gericht. Zusammen mit vier weiteren, im Juli 2017 noch minderjährigen, AktivistInnen hatte sie an einem antikapitalistischen Protest gegen den G20-Gipfel im Hamburger Stadtbezirk Rondenbarg teilgenommen.
KIM hat mit Lotta(*) gesprochen:
KIM: Liebe Lotta, du hast dich im Juli 2017 in Hamburg an Protesten gegen den G20-Gipfel beteiligt und wirst aus diesem Grund ab 3.12.20 in Hamburg vor Gericht stehen. Welche Motivation hattest Du dich den Protesten anzuschließen und was wird dir von der Staatsanwaltschaft (laut Anklageschrift) konkret vorgeworfen?
Lotta: Es genügt zu verdeutlichen, wofür die G20 stehen, aus welchen Gründen sie zusammen kamen im Juli 2017 und welche gemeinsamen Ziele sie vor Augen haben. Diese wären: die Zerstörung unserer Umwelt, Kriege und Flucht, Ausbeutung und Unterdrückung, Abschottung und Überwachung! Unter diesen Aspekten ist es vollkommen legitim und notwendig, den Protest gegen die G20 und das kapitalistische System auf die Straßen getragen zu haben.
In der Anklageschrift werden uns unter anderem folgende Straftaten vorgeworfen: ein besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung, Widerstand und Angriff auf Vollstreckungsbeamte und Bildung einer bewaffneten Gruppe. Uns wird keine konkrete Straftat im Einzelnen zugeordnet, da dies in dem Fall auch nicht möglich ist! Ausreichend für die Anklage ist nämlich allein unsere Anwesenheit bei der Demonstration, welches das Recht auf Versammlungsfreiheit angreift!
KIM: Kannst du unseren LerserInnen bitte erzählen, wie du den Protest im Hamburger Gewerbegebiet Rondenbarg am 07. Juli 2017 erlebt hast?
Lotta: Die Straße wurde vorne seitens der Polizei blockiert, als die Einheit von hinten angerannt kam. Es brach schnell Panik aus, da die Reaktion der Polizei, die alles andere als einen deeskalierenden Charakter hatte, abrupt gewalttätig wurde. Man versuchte, sich der Situation zu entziehen, um sich selbst zu retten. Ich fiel nach einem Schlag in mein Gesicht sehr schnell zu Boden, konnte jedoch sehen, wie Polizisten auf einzelne DemonstrantInnen einschlugen, während diese ebenfalls schon auf dem Boden lagen. Das alles geschah sehr schnell. Wenn ich rückblickend an den Protest am Rondenbarg denke, habe ich nur gewalttätige Szenen aufgrund der Polizei vor Augen. Ich habe nach meiner Festnahme lange gebraucht, diese Erfahrung zu verarbeiten.
KIM: Wurdest du durch den / bei dem dokumentierten gewalttätigen Polizeieinsatz verletzt? Wurdest du vor Ort verhaftet und in der GeSa (Gefangenensammelstelle, Anm. d. Red.) festgesetzt? Welche Erinnerungen hast du ggf. an die Zeit in der GeSa?
Lotta: Ich hatte nur leichte Prellungen, da ich sehr schnell zu Boden fiel. Wir mussten ungefähr 2-3 Stunden auf die erste Kontrolle warten. Als ich in die GeSa gebracht wurde, hat man es mir verwehrt, einen Anwalt und meine Eltern anzurufen. Ich war zu dem Zeitpunkt minderjährig, d.h. ich habe ein Recht darauf gehabt beide telefonisch zu sprechen. Mein erstes Telefonat hatte ich jedoch erst 3-4 (!) Stunden nachdem ich in der GeSa ankam! Alle 10-15 Minuten klopfte es an der Tür der Zelle und ich wurde aufgefordert mich zu bewegen. Das war reine psychische Schikane. Ich wurde auch keinem Richter vorgeführt, der untersucht hat, ob ich überhaupt festgehalten werden darf!
KIM: Wann und wie hast du erfahren, dass gegen dich ein Ermittlungsverfahren läuft und dass Anklage erhoben wurde?
Lotta: Es wurde mir schon in der GeSa mehrmals von den Beamten gesagt, dass Anklagen erhoben werden und es zu einem Prozess kommen wird. Die Anklageschrift kam jedoch erst 2 Jahre nach der Festnahme. Nachdem Fabio aus der Haft kam und sein Verfahren abgebrochen wurde, dachte ich, sie würden auch die Verfahren gegen uns beenden.
KIM: Ab 03.12.20 stehst du zusammen mit vier weiteren (im Juli 2017 noch minderjährigen) Angeklagten in Hamburg vor Gericht. In diesem ersten Verfahrenskomplex (der vom Hauptverfahren mit weiteren rd. 75 Personen) abgetrennt wurde, steht nun eine kleine Gruppe junger Menschen vor Gericht. Hast du Kontakt zu den Mitangeklagten und wirst du anwaltlich vertreten? Wie ist deine/euere Stimmung wenige Tage vor Prozessbeginn?
Lotta: Es hat zwar vorerst nur uns fünf getroffen, jedoch stehen wir das gemeinschaftlich durch mit allen Angeklagten des Rondenbarg-Komplexes. Wir werden alle anwaltlich vertreten und haben Kontakt miteinander. Es liegen schon fast 3,5 Jahre zwischen unserer Festnahme und dem Prozessbeginn. Unsere wöchentlichen Gerichtstermine in Hamburg stellen einiges in unserem Leben auf den Kopf; sei es das Studium, die Ausbildung oder sonstiges. Es wird erwartet, dass wir uns davon einschüchtern lassen, jedoch machen wir uns gemeinsam entschlossen und gelassen auf den Weg nach Hamburg. Wir werden dem Prozess auch als eine kleine Gruppe gemeinsam standhalten und uns gegenseitig unterstützen.
KIM: Welche Erwartungen hast du an den Vorsitzenden Jugendrichter Georg Halbach (Große Strafkammer 27)?
Lotta: Ich habe keinerlei Erwartungen an ihn, da uns von Anfang an bereits klar war, dass wir von massiver Repression betroffen sind, die so viele der G20-Protestierenden betroffen hat. Das verdeutlicht uns nur noch einmal, wessen Interesse die Justiz durchsetzen will: die der herrschenden Klasse.
KIM: Wie wichtig ist dir die Solidarität verschiedener Gruppen mit den Angeklagten, wie bspw. durch die Solikundgebung am 28.11. in Heidelberg?
Lotta: Die Solidarität der vielen Gruppen verleiht mir unglaublich viel Kraft. Es verdeutlicht mir und den andern Betroffenen, dass wir nicht allein sind. Wir danken jedem einzelnen, der für uns auf die Straßen geht oder uns auf andere Art und Weise unterstützt. Wir werden es durch eure Soliaktionen schaffen nach vorne zu blicken und das Gerichtsverfahren kämpferisch zu führen.
((*) Name von der Redaktion geändert / Das Interview wurde am 30.11.20 in schriftlicher Form geführt)
In der Reportage von Leftvision mit dem Titel “Hamburger Gitter” wird auch der Rondenbarg-Protest thematisiert. Zu sehen von Minute 18:50 bis 22:20.
Attac veröffentlichte am 02.12.20 in diesem Zusammenhang eine Pressemitteilung, die KIM an dieser Stelle verlinkt:
Bisherige KIM-Berichterstattung zu diesem Thema:
https://kommunalinfo-mannheim.de/2020/12/01/dezentraler-aktionstag-gegen-repression/
(Bericht, Interview und Fotos: Christian Ratz)