OB-Wahl Mannheim aus einer linken Sicht: Die vereinte Rechte ist noch nicht am Ziel – mit einiger Vernunft kann das Blatt noch gewendet werden.

Unklare Lage nach dem 1. Wahlgang der OB-Wahl. Mehr Licht! (Bild: Georg Buzin, Wikipedia, gemeinfrei)
Es ist immer das alte Lied: Das Bürgertum geht brav zur Wahl und wählt seinen Kandidaten. Die Menschen, die viel mehr auf kommunale Leistungen angewiesen sind, als das Bürgertum, sehen offensichtlich wenig Sinn darin, von ihrem Wahlrecht Gebrach zu machen. So stehen die gesellschaftlichen Mehrheitsverhältnisse politisch auf dem Kopf. Für Oberbürgermeisterwahlen gilt das ganz besonders, obwohl es die einzigen Direktwahlen von Akteuren der Exekutive durch das Volk sind. Es sind sehr persönlichkeitsbezogene Wahlen; politische Programmatik und Kontroverse spielte auch in der jetzigen OB-Wahl bei den großen Parteien eine untergeordnete Rolle. Und so kommt es, dass im Stadtdurchschnitt nur 32,22% der Wahlberechtigten zur Wahl gehen, obwohl einige tausend Über-16-Jährige erstmals Wahlrecht hatten. Von den Nicht-Wählenden wiederum wären sicher viele zur Wahl gegangen, wenn sie nur gedurft, also das Wahlrecht gehabt hätten: Tausende Nicht-EU-Bürger:innen, die teilweise schon seit Jahrzehnten ihren Lebensmittelpunkt in Mannheim haben, sind ohne deutsche Staatsangehörigkeit von der Wahl ausgeschlossen.
Specht vorn – ein Blick auf die Ergebnisse
So ist das Wahlergebnis eigentlich nicht überraschend. Christian Specht, der Kandidat der vereinten Rechten, der CDU, FDP und ML und – als stiller Gesellschafterin – der AfD, hat die Erringung der absoluten Mehrheit um knapp 5 Prozentpunkte verpasst.
Auf der „nicht-rechten“ Seite hat Isabell Belser von der LINKEN fast genau 5% erreicht. Dies aber auch mit Hilfe der sie unterstützenden Tierschutzpartei und der Klimaliste Baden-Württemberg.
Raymond Fojkar von den Grünen erreichte zwar das beste Ergebnis eines OB-Kandidaten seiner Partei, aber es waren eben nur 13,8%. Dafür sind mittlerweile schon genügend mögliche Gründe genannt worden: Die Gespaltenheit seiner Partei in wichtigen kommunalpolitischen Fragen wie der BUGA, personelle Querelen, die Fluktuation in der Gemeinderatsfraktion, die inzwischen zur Hälfte aus Nachgerückten besteht, die fast vergebliche OB-Kandidat:innensuche der größten Fraktion im Gemeinderat, der geringe Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit. Auch die politische Großwetterlage brachte für Fojkar keinen Rückenwind.
Thorsten Riehle als einstimmig nominierter Kandidat der SPD hat noch keine allzu lange Erfahrung in der Kommunalpolitik und verfügt über keinen sehr großen Bekanntheitsgrad. Als mittelständischer Kulturunternehmer stellt er auch nicht gerade den typischen SPD-Vertreter in der „Arbeiterstadt Mannheim“ dar. Er präsentierte sich ausdrücklich als „nicht typisch linker“ Kandidat. Bemerkenswert an seinem Ergebnis von 30,24% ist denn auch über die ganze Stadt hinweg eine Konstanz um diesen Wert herum zwischen 26,8 und 32,2%, mit den beiden „Ausreißern“ in seinem Wohn-Stadtbezirk Rheinau von 38,5 und in dem kleinen Stadtbezirk Friedrichsfeld mit 39,1%. Alle anderen Kandidat:innen weisen eine wesentlich größere Schwankungsbreite auf.
Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass Linke und Grüne in den drei großen, sehr urbanen Stadtbezirken Neckarstad-West, Innenstadt/Jungbusch und Neckarstadt-Ost ihre größten Stärken haben und Riehle auch hier seine 30%-Konstante aufweis, bei Wahlbeteiligungen zwischen 16,5 und 28,5%. Es sind genau die Bezirke, in denen Specht zwischen 21,1 und 31,5% weit unter seinem Niveau bleibt, während er in seinen sieben besten Bezirken zwischen 50,6 und 59,8% erreicht, wo Linke und Grüne ihre größten Schwächen aufweisen.
- Juli: Faktisch eine Blockwahl – die Rechte vereint. Und die andere Hälfte?
Diese strukturelle Gegenläufigkeit ist ein empirischer Anhaltspunkt dafür, dass es sich bei der OB-Wahl eben doch um eine „Lager-Wahl“ handelt, die ja am 9. Juli bei der „Neuwahl“, landläufig „Stichwahl“ genannt, ihren Abschluss mit einfacher Mehrheitsentscheidung finden wird. Und hier muss das letzte Wort noch nicht gesprochen sein.
An dieser Stelle sei begründet, warum in diesem Beitrag von der „Vereinten Rechten“ die Rede ist. In der Presse wird rätselnd darauf hingewiesen, dass Specht nicht nur in den eher bürgerlichen Stadtteilen, sondern ausgerechnet auch in den „alten Arbeiterhochburgen“ Schönau und Waldhof 53% ergattert hat. Nun gut: Er präsentiert sich gern als „Bub vom Waldhof“, wo sein Vadder noch eine richtige Bedien-Drogerie (anti-monopolistisch!) betreibt. Aber reicht das für über 50%? Da mag es noch einen anderen triftigen Grund geben. Man frage sich nur mal: Wo ist eigentlich die AfD in diesem Wahlkampf geblieben? Man sollte sich nicht nur dann um diese Partei kümmern, wenn sie sich mal wieder im Schützenhaus in der Au um Alice Weidel versammelt. Die AfD-Wählenden gibt es auch jenseits der Großkampftage dieser Partei. Die AfD hat auf einen eigenen OB-Kandidaten verzichtet. Möglicherweise aufgrund permanenten internen Gezänks oder aus finanzieller Flaute. Für die Aussicht, das Projekt „Schluss mit dem grün-roten Siff!“ durch eine „Wende“, von der Specht ja spricht, herbeiführen zu können, war die Nicht-Kandidatur der klügste Schritt. Sie brauchte sich nicht zu äußern – ihre Wähler:innen erfassen die Situation auch so. Und sie ersparten es Specht, irgendwie auch nur im Entferntesten sich zur AfD äußern zu müssen. Waldhof und Schönau sind auch Hochburgen der AfD. Zuletzt messbar bei der Gemeinderatswahl 2019: Schönau 15,31% und Waldhof 20,58%. Außer in dem kleinen Friedrichsfeld damals die Spitzenwerte der AfD für Mannheim. Es gehört keine spekulative Begabung sondern nur ein bisschen faktenbasierter Verstand dazu, um zu verstehen, dass die AfD-Wählenden ihre Chance verstanden haben. Dieser Teil der rechten Blockwahl hat funktioniert.
Kampf gegen rechts!
Nun gibt es auch seitens Riehle und Fojkar Äußerungen, dass man nichts von „Lager-Wahlkampf“ halte, man wolle nicht polarisieren. Specht umgibt sich im Wahlkampf mit dem CDU-Bundesvorsitzendem Friedrich Merz und Landesinnenminister Thomas Strobl. Aufs Plakat nimmt er den Löbel-Intimus Thomas Hornung. Die Mannheimer Lindner-Parteileute und der Honoratioren-Club Mannheimer Liste, ein trauriger „Einsparungs-Verein“, schieben den rechten Wagen von hinten mit an. Was glaubt man denn, welche „Wende“ Specht im Fokus hat? Die Bildungswende für umfassende Bildungsgerechtigkeit und Inklusion? Die Verkehrswende mit weniger motorisiertem Individualverkehr und durchgreifendem Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur? Ausbau eines bezahlbaren ÖPNV? Die sozial abgefederte Energiewende? Die Wohnungswirtschaftswende mit einer drastischen Steigerung des gemeinwohlorientierten Wohnungswesens? Ein vielfältiges Kulturleben? Ermöglichung liberaler und respektvoller urbaner Lebensweisen? Die Bewältigung der Anforderungen aus der Flucht- und Arbeitsmigration? Den Kampf gegen Rechts?
Das sind gewiss nicht die Wenden, die die Rechte anstrebt. Bei aller Unterschiedlichkeit innerhalb der nicht-rechten Seite der Stadtgesellschaft und ihrer politischen Repräsentation: Die Spitze der Verwaltung und der Vorsitzende des Gemeinderats einschließlich seiner 49. Stimme bei Patt-Abstimmungen im Gemeinderat sollte nicht der Vertrauensmann des rechten Blocks werden. Darauf muss man sich verständigen.
Es gibt noch Luft nach oben
Gibt es Chancen, die rechte Wende in Mannheim zu verhindern? Davon ausgehend, dass die Begeisterung der Rechten für die Möglichkeit einer „Wende“ die meisten schon an die Wahlurnen getrieben hat, ist eine zusätzliche rechte Mobilisierung wahrscheinlich schwierig.
Die nicht-Rechten und Progressiven müssen sich und andere für den zweiten Wahlgang mobilisieren. Da ist noch viel Luft nach oben. Es gilt, in dieser Situation den aussichtsreichsten Kandidaten des Mitte-Links-Lagers zu unterstützen, und das ist in der vorhandenen Konstellation Thorsten Riehle. Auch wenn man kein:e Parteigänger:in von Riehle ist – zum Steigbügelhalter von Specht sollte man sich nicht degradieren. Das Ringen um die richtigen Wege und Maßnahmen in der Kommunalpolitik muss danach weitergehen – aber unter besseren Ausgangsbedingungen.
Die großen Stadtteile Neckarstadt, Innenstadt/Jungbusch, Käfertal, Waldhof und Schönau mit ihren bisherigen Wahlbeteiligungen von 30% und wesentlich darunter bieten noch viel Luft nach oben für diesen Kampf gegen Rechts.
Thomas Trüper
Auch wenn einem beim ersten Anblick die Augen flimmern mögen: Es lohnt sich, die Situation in den einzelnen Stadtbezirken anzuschauen: Ihre Größe und Relevanz, die Wahlbeteiligung und das Abschneiden der Kandidat:innen im 1. Wahlgang. (Grafik: KIM. Quellen: Stadt Mannheim, Ergebnisse der OB-Wahl am 18. Juni 23 und der Gemeinderatswahl 2019; eigene Berechnungen)