Zweitägiger Warnstreik bei RNV für Festgeldforderung und Arbeitszeitverkürzung

Am Dienstag, dem 21. Januar und am Mittwoch, dem 22. Januar fahren im Rhein-Neckar-Raum viele Busse und Bahnen nicht. Die Gewerkschaft Verdi hat die Beschäftigten der Rhein-Neckar-Verkehrsgesellschaft dazu aufgerufen, ab Dienstagfrüh um 3 Uhr bis Donnerstagfrüh ebenfalls um drei Uhr die Arbeit niederzulegen. Der Aufruf erfolgte am 17. Januar, nachdem auch die dritte Verhandlungsrunde ohne Ergebnis geblieben war. In der Verdi-Pressemitteilung heißt es: „Trotz intensiver Verhandlungen konnte bisher kein akzeptabler Kompromiss erzielt werden, um den Forderungen der Beschäftigten nach besseren Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Entlohnung gerecht zu werden.“

Die Streiks werden an allen sechs Betriebshöfen der RNV stattfinden, also in Mannheim (mit zwei Betriebshöfen), Ludwigshafen, Heidelberg, Bad Dürkheim und Edingen. Betroffen sind also weite Teile des Rhein-Neckar-Raums.

Eine Besonderheit der Verhandlungen liegt darin, dass die RNV einen Haustarifvertrag hat, dass mit ihr also gesonderte Tarifverhandlungen geführt werden. Die Forderungen von Verdi an die RNV und die Forderungen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst ohne Haustarifvertrag sind ähnlich, aber nicht identisch. Für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst ohne Haustarifvertrag fordert Verdi eine Erhöhung der Gehälter um 8 Prozent, mindestens jedoch 350 Euro monatlich. Darüber hinaus werden zusätzliche freie Tage, mehr Zeitsouveränität durch ein „Meine-Zeit-Konto“ und eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 39 Stunden pro Woche gefordert. Für die RNV stellt Verdi eine Festgeldforderung auf: monatliche Lohnerhöhung um 350 Euro. Außerdem fordert sie die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 39 auf 37,5 Stunden.

Ein Problem von Prozentforderungen ist bekanntlich, dass sie – im Gegensatz zu Festgeldforderungen – Besserverdiener besonders begünstigen und Geringverdiener relativ benachteiligen. Wer doppelt soviel verdient, bekommt – zumindest brutto – bei einer Prozentforderung auch doppelt so viel mehr als seine Kollegin, die nur halb so viel verdient. Dies vergrößert die Einkommensunterschiede und damit soziale Ungleichheiten innerhalb der Belegschaften. Es ist insofern für alle Beschäftigten von Nachteil, als es der Arbeitgeberseite erleichtert, Teile der Belegschaften gegen andere Teile auszuspielen. Was leicht aus den Augen gerät, ist der Umstand, dass mit jeder Tarifrunde, die mit Prozentabschlüssen endet, sich die Schere zwischen Gering- und Besserverdienern immer weiter öffnet.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, um welche konkreten Beträge es geht: Im Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) beginnen die monatlichen Einkommen bei 2,356 Euro und gehen bis zu 6.748 Euro. Ein Prozent Lohnerhöhung bringt also den einen etwa 24 Euro mehr, den anderen aber 67 Euro. Wie erwähnt werden 8 Prozent gefordert. Noch darüber liegen die außertariflich bezahlten Mitarbeitenden, die je nach Branche etwa 10 – 20 Prozent der Belegschaften ausmachen. Studien besagen, dass in den letzten zehn Jahren ihre Gehaltserhöhungen prozentual in etwa dem gleichen Maß erhöht wurden wie die tariflichen Einkommen. Sie profitieren also noch mehr von gewerkschaftlich erkämpften prozentualen Abschlüssen, obwohl die allermeisten von ihnen gar keine Gewerkschaftsbeiträge zahlen.

Ja, es stimmt, der Schwerpunkt der gesellschaftlichen Ungerechtigkeit im Kapitalismus liegt bei dem Unterschied zwischen Einkommen und Vermögen der abhängig Beschäftigten auf der einen und dem der Milliardäre, der Konzernlenker, Großaktionäre und Finanzkapitäne auf der anderen Seite. Aber auch die bestehenden Einkommensunterschiede innerhalb der Belegschaften können nicht mehr gerechtfertigt werden und sie schwächen die Position der Gewerkschaften. Zudem zeigen mehrere Untersuchungen, dass gerade diese unmittelbar erlebte Ungerechtigkeit für rechtsextreme Einstellungen besonders anfällig machen kann. Festgeldforderungen haben mithin auch eine beträchtliche gesellschaftspolitische Relevanz.

Zu erinnern sei aus diesem Anlass an den vor einem Jahr verstorbenen Oskar Negt, der häufig in Ludwigshafen zu Gast war. Gefragt „Was tun gegen rechts“ kam er stets als erstes auf die Gewerkschaften zu sprechen. Schon 2004 vertrat er in seiner Streitschrift “Wozu noch Gewerkschaften?”, dass Gewerkschaften eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung demokratischer Werte und der Förderung solidarischen Handelns spielen können und dass sie nicht nur als Interessenvertretung der Arbeiter, sondern auch als wichtige Akteure im Kampf gegen autoritäre Tendenzen in der Gesellschaft fungieren sollten. Tarifverhandlungen sind ein Feld dieses Kampfes.

Wir können also sagen: Die Streikenden bei der RNV und ihre Gewerkschaft setzen sich nicht nur für wohl verdiente Löhne und Gehälter ein, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und den Schutz der Demokratie. Sie haben unsere Solidarität und Dankbarkeit verdient. Spätestens wenn wir ab Donnerstag wieder in einen Bus oder eine Bahn steigen, haben wir vielleicht Gelegenheit, ihnen das auch persönlich mitzuteilen. (mk)