Über 170 Mio. Euro Gewerbesteuerrückzahlung – eine Katastrophe für die Ludwigshafener Bewohner*innen
… dazu eine Landespolitik im neoliberalen Wahn der Schuldenbremse
Ludwigshafen. Oktober 2023. Wie ein Blitz aus dem „heiteren Himmel“ traf den Ludwigshafener Kämmerer und die Stadtgesellschaft die Nachricht, dass die Stadt weitere 128 Millionen Euro an Gewerbesteuer – zusammengesetzt aus 93,2 Mio. Euro Steuern und 32,8 Mio. Euro Zinsen, aufgelaufen innerhalb von über 20 Jahren – zurückzahlen muss. „Wir wussten nichts davon“.
Der Nachtragshaushalt für die erste Gewerbesteuerrückzahlung von September 2023 in Höhe von 42 Mio. Euro war noch nicht genehmigt, und ist es bis heute nicht, da kam schon die nächste Nachforderung. Insgesamt muss Ludwigshafen nun über 170 Mio. an „Unternehmen“, so die Sprachregelung, rückwirkend bis 2001 zurückbezahlen.
Vom Nutzen des Steuergeheimnisses für die einen und Nachteil für die Vielen
Entschieden wurde dies vom Bundesfinanzgericht in München. Der von den rheinland-pfälzischen Landesfinanzbehörden ermittelte Steuermessbescheid war falsch. Durch alle Instanzen geklagt haben „Unternehmen“ in der Stadt. Wer hat in Ludwigshafen die Juristen und das finanzielle Durchhaltevermögen, über 12 Jahre zu klagen? Wird nicht verraten, dies unterliege dem Steuergeheimnis.
Die Stadt sei nie über die Verfahren zur Gewerbesteuerrückforderung unterrichtet worden. Die Unterrichtung der Gemeinde über Einspruchsverfahren sei nur eine Sollvorschrift. Angesichts der hohen Summen sind die Experten erstaunt und ungläubig. Wenn es stimmt, dass man die Stadt hier ins offene Messer laufen ließ, hat womöglich das Land seine Informationspflicht verletzt hat. Auf jeden Fall ist es ein inakzeptables Verhalten des Finanzamts und des Finanzministeriums (Doris Ahnen, SPD). Sie rechtfertige dies inzwischen mit dem in der Abgabenverordnung verankerten Steuergeheimnis. ( sic!) Das Steuergeheimnis an sich ist ein Skandal. Es schützt die Reichen, Betrüger und legalen Steueroptimierer, Tax Optimization im BASF-Jargon (s. Anm.)
Weshalb sollen die Ludwigshafener/innen für den Fehler einer Landesfinanzbehörde bezahlen?
Der Jahresfehlbetrag 2023 der Stadt erhöht sich damit um über 200 Mio. Euro. Um diese gewaltigen Rückzahlungen, genannt „Sondereffekte“, zu stemmen, muss die Stadt weitere Kredite aufnehmen. Das Land hat die Erlaubnis dazu erteilt. Wir danken schön.
Es stellt sich die Frage, weshalb sollen die Stadt und ihre Bürger für einen Fehler einer Landesfinanzbehörde bezahlen? Wenigstens die Zinsen sollte man vom Land einklagen, schlägt ein Vertreter des „Grünen Forums und Piraten“ auf der Stadtratssitzung am 6. November vor. Die CDU, lammfromm, die Sache sei „ärgerlich“, aber so entschieden und juristisch einwandfrei, nun müsse man halt zahlen. Etliche verlangten eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge. Die Stadt prüfe rechtliche Schritte gegen das Land, wurde versichert.
Die LINKE forderte, mit der BASF Gespräche aufzunehmen. Verwies auf deren Steuergeschick, im letzten Jahrzehnt mindestens eine Milliarde Steuern am Fiskus vorbeigeschleust zu haben und appellierte im Sinne eines „guten Miteinanders“ an die BASF, auf einen Teil der Rückzahlungen zu verzichten. Der Pfälzer sagt dazu: das ist dem Ochs ins Horn gepetzt (gezwickt).
Die FWG richtete eine kleine Anfrage an die Landesregierung, in der sie offenbar anfragte, ob das Land einen Anteil an den 32,8 Mio. Euro angefallenen Zinsen, für einen vom Land zu verantwortenden Sondereffekt übernehmen wolle. Nicht unerwartet kam von dieser Regierung ein brüskes „NEIN“. Finanzministerin Ahnen (SPD) wies darauf hin, dass man Ludwigshafen bei der Haushaltskonsolidierung „fortwährend“ unterstütze, etwa durch Beratungsgebote, und man leiste im Rahmen bestehender Entschuldungsprogramme Hilfe (wie das aussieht, weiter unten). Man übernehme „voraussichtlich“ Liquiditätskredite in Millionenhöhe. Und das Land übernehme die Zinslasten der Kreditverträge – Zweifel sind angebracht. (RP 10.11.23)
Gegen den 2 .Nachtragshaushalt gab es 12 Gegenstimmen.
Der voraussichtliche Stand des Eigenkapitals einer Stadt mit ca. 170.000 Einwohnern beträgt damit zum 31.12.2022 337 Mio. Euro und zum 31.12.2023 136 Mio. Euro – ein erbärmlicher Betrag.
Wie soll sie allein die kommenden Zukunftsaufgaben der Klimaanpassung finanzieren? (Der „Konzern“ Mannheim hat einschließlich Eigenbetrieben und Beteiligungen in 2021 ein Anlagekapital von 5,2 Mrd. EUR und Fremdverbindlichkeiten von 2 Mrd. EUR.)
Wer will in dieser Stadt noch wohnen und arbeiten, eine Kneipe, ein Restaurant oder einen Laden oder Betrieb eröffnen? Schon Corona hat gezeigt, wie schnell und dauerhaft Strukturen irreparabel zerstört werden können. Unschwer zu erahnen, dass dieser Sparkurs in Ludwigshafen das urbane Leben in den kommenden Jahren schwer und irreparabel beschädigen wird.
Die neoliberale Totsparpolitik der Landesregierung muss endlich beendet werden
Wegen zu hoch veranschlagter Gewerbesteuereinnahmen flossen in der Vergangenheit weniger Zuschüsse vom Land an die Stadt. Außerdem musste Ludwigshafen Teile seines Gewerbesteueraufkommens in die Gewerbesteuerumlage abführen. Man darf sicher sein, dass rückwirkend gesehen, diese Beträge zu hoch waren. Zu viel bezahlte Beträge müssen der Stadt rückerstattet; zu geringe Zuschüsse des Landes nachbezahlt werden. Dass das Land Rheinland-Pfalz dem nachkommt, muss leider bezweifelt werden. Denn Frau Dreyer (SPD) und ihre Behörden folgen stur den neoliberalen Gleisen der Schuldenbremse, koste es was es wolle. Und es kostet mittlerweile zu viel. Vielleicht wacht Frau Dreyer noch vor den Kommunalwahlen in 2024 auf, wenn sie feststellt, dass in etlichen Gemeinden keine Bürgermeister mehr kandidieren.
Reihenweise demotivierte Bürgermeister/innen in RLP
Auf eine Umfrage des SWR (6.11.23) bei über 2.200 Ortsbürgermeister*innen im Land RLP haben 610 geantwortet. Das Ergebnis ist vernichtend. Über ein Drittel der Bürgermeister geben an, dass sie eventuell nicht mehr antreten wegen der erbärmlichen Finanzausstattung der Gemeinde. Das Land zahlt im Durchschnitt 10 % weniger an die Gemeinden aus als in anderen Bundesländern. Es kommt der Vorwurf, dass Bundeszuschüsse nicht eins zu eins an die Kommunen weitergereicht würden, stattdessen das Land diese Gelder zur Eigenentschuldung behält. Das Land habe „klebrige Finger“.
In den letzten Jahren sei es immer schlimmer geworden durch eine Zunahme der Pflichtaufgaben und steigende Verschuldung und damit den Verlust jeglicher Gestaltungsmöglichkeit, „oder auch mal in die Zukunft zu schauen, was wir noch weiterentwickeln könnten“, so ein Bürgermeister. Das alles ist gepaart mit der hoher Belastung dieses Ehrenamts und zunehmenden Anfeindungen aus der Gemeinde.
„Das Land hat für die Gemeinden ein Entschuldungsprogramm ausgearbeitet. Daran kann eine Gemeinde nur teilnehmen, wenn sie einen ausgeglichenen Haushalt ohne Defizit vorlegen kann. Also müssen die Bürgermeister in ihren Gemeinden einen strengen Sparkurs fahren,“ erklärt der SWR 6.11.2023. Die Bürgermeister erläutern, man erhebe wie gefordert die Steuern und Gebühren. Das schafft viel Ärger, die Effekte sind minimal und die Schulden steigen weiter.
Genau so ist es in Ludwigshafen. Alles, was möglich ist, wird erhöht. Bestattungsgebühren, Anwohnerparken (wir berichteten), die Grundsteuer auf den höchsten Stand im ganzen Land, Gewerbesteuer, Hundesteuer, Bettensteuer, 15 % mehr für den Eintritt in den Wildpark, höhere Abwassergebühren, Einsparungen bei der Kultur – und ein Ende ist nicht absehbar.
Für den einzelnen Haushalt eine große Belastung, für die Stadt ein Tropfen auf den heißen Stein
All dies belastet die vielen Niedriglöhner, Sozialleistungsbezieher und Aufstocker in Ludwigshafen sehr, schneidet sie von der gesellschaftlichen Teilhabe ab und zerstört das urbane Leben. Das Tragische aber ist, es bringt nichts! Angesichts des immensen Schuldenberges ist es für die Stadt nur ein „Tropfen auf den heißen Stein“.
Wie hier bereits berichtet, hat nach Aussagen des Kämmerers, die Stadt alle Einsparmöglichkeiten ausgelotet. Die ADD zieht weiter die Daumenschrauben an. Weitere Erhöhungen aber sind in einer Stadt nicht umsetzbar, deren Bürger mit einer Kaufkraft leben, die zu den sechs niedrigsten in der ganzen Bundesrepublik gehören, nämlich 15,6 % unter dem Bundesdurchschnitt. (= 20.562,00 Euro/Jahr) (Rheinpfalz 7.11.23). Der Speckgürtel rund um Ludwigshafen nimmt dafür den 6. Platz unter den Kreisen mit der höchsten Kaufkraft ein. Es sind die Bewohner, die ihre Kinder nach Ludwigshafen in die Schule schicken, hier ins Theater und Museum gehen und als Einpendler ordentliche Straßen erwarten – Leistungen, für die die Ludwigshafener allein bezahlen.
Siehe die neue Hochstraße Süd, zu deren Grundsteinlegung am 6. November Verkehrsminister Wissing in LU weilte. Ortsvorsteher Heller (CDU) hat mit Recht in einem Interview angemerkt: „Von der Südtrasse profitieren insbesondere Pendler aus dem Umfeld, weniger die Ludwigshafener, schon gar nicht die Anwohner.“ (Mit der geplanten Staatsstraße Helmut-Kohl-Allee ist es leider genauso. Deshalb u.a. der Protest der BI – siehe Foto)

Protest der Bürgerinitiative für ein Lebenswertes Ludwigshafen (BiLeLU) bei der Grundsteinlegung des Neubaus der Hochstraße Süd, und zugleich wird der Abrisses der Hochstraße Nord und Ersatz durch eine 8-spurige ebenerdige Staatsstraße gefeiert. Verkehrsminister Wissing und die rheinland-pfälzische Verkehrsministerien Schmitt (FDP) waren gekommen. Man feierte den Wahnsinn eines Infrastrukturprojekts von voraussichtlich weit über 1 Mrd Euro, das die Stadt vollends in den finanziellen Kollaps stürzen wird. Kämmerer Schwarz: ” … Angesichts unserer prekären und vor allem strukturell bedingten Haushaltslage sowie absehbar zunehmender Lasten ist das eine enorme Belastung, die Stadt und Stadtgesellschaft im volkswirtschaftlichen Interesse der Region und des Landes schultern”. Das sagt alles aus. Im Interesse der Bürger/innen der Stadt ist dieses Megaprojekt nicht, im Gegenteil, es schaden ihnen massiv. Deshalb muss es gestoppt werden.
Die Stadt bewegt sich in einem Kreisel der Selbstzerstörung, befeuert durch die Landesregierung.
Zunehmend beschleicht einen der Verdacht, dass Ministerpräsidentin Dreyer (SPD) ihre politischen Inspirationen aus dem FPD-Programm zu ziehen scheint. Vielleicht auch ein Grund, weshalb die Ludwigshafener OB Steinruck im Sommer mit lautem Knall aus der SPD austrat.
Tarifverträge sind schädlich für den Sparkurs
Am 8.11. wandten sich zwei Polizisten an die Lokalpresse und berichteten von unzumutbaren Zuständen. Extremer Personalmangel, Überstunden, keine Zeit für Ermittlungen – und schlechte Bezahlung. Sie liege 500 Euro/Monat unter der in Mannheim. Man werde generell schlechter eingruppiert und „das Land Rheinland-Pfalz übernimmt nicht die bundesweit ausgehandelten Tarife“ (Rheinpfalz 8.11.23). Am nächsten Tag liest man die Stellungnahme der GdP-Vorsitzenden von RLP: „Mit allen gewerkschaftlichen Forderungen laufen wir bei der Landesregierung seit vielen Jahren ins Leere.“ (RP 9.11.2023).
Stellenmangel nicht nur bei der Polizei. Die Stadtverwaltung Ludwigshafen spricht von 400 offenen Stellen in der Verwaltung. Wer will denn schon in Ludwigshafen arbeiten?
Schon jetzt werden Stimmen aus den Rheinland-pfälzischen Gemeinden laut, dass die Flüchtlingspauschale des Bundes, die sowieso viel zu niedrig sei, vom Land womöglich nicht ganz weitergereicht werde. Die Gemeinden verschulden sich damit weiter, und in der Folge wird die ADD Sparmaßnahmen zugunsten eines ausgeglichenen Haushalts verlangen – ein unseliges Spiel, das beendet werden sollte.
(frr)
Anm.: Finanzgerichte sollten in der Regel öffentlich tagen, statt wie Geheimkammern zu agieren. Das gehört bei Bund und Ländern genauso auf die Agenda wie ein Steuerinformationsgesetz. Bürger sollten die Möglichkeit haben, bei bestimmten Vorgängen Einblick zu nehmen in Behördenakten. Um auf diese Weise zumindest nachvollziehen zu können, ob die Behörden konsequent prüfen und hart vorgehen in solchen Fällen. Das wären erste, dringend notwendige Schritte zu mehr Transparenz, auch nach dem Vorbild des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) (…). (Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung 27.2.2018)