Mannheim FRANKLIN / SULLIVAN: GBG kauft 352 Sozialwohnungen von Investor
Es ist schon eine Sensation, gemessen am bisherigen Geschäftsgebaren der GBG und an den einstigen Planungen für das Konversionsgelände FRANKLIN: Auf dem nordöstlichen Teilgebiet SULLIVAN kauft die GBG Unternehmensgruppe 361 Neubau-Wohneinheiten, von denen 352 aus Mitteln der Landeswohnraumförderung subventioniert sind. Es handelt sich somit um „Sozialwohnungen“, die für Besitzer:innen eines „B-Scheins“ zu einem Einstandsmietpreis von 8,90 EUR/m² zu mieten sind. Dies ist der Mietpreis, der lt. Fördervoraussetzung 40% unter der Ortsüblichen Vergleichsmiete für Neubauwohnungen mit vergleichbarer Ausstattung liegt. Mieterhöhungen sind laut den Bestimmungen der Landeswohnraumförderung nur im Rahmen der Entwicklung des entsprechenden um 40% reduzierten Mietspiegelpreises möglich, maximal jedoch um 5% alle zwei Jahre. Die Bindungsfrist beträgt 40 Jahre. Dennoch: 8,90 EUR/m² sind zwar günstig, aber nur relativ, bezogen auf den gegenwärtigen Wohnungsmarkt.
Neun der 361 Wohneinheiten waren aufgrund ihres Zuschnitts nicht förderfähig. Das Land macht hier immer noch sehr enge Vorschriften, die z.B. die heute sehr verbreitete offene Verbindung von Wohnzimmer und Küche nicht zulassen.
Es handelt sich schwerpunktmäßig um 2 – 4-Zimmerwohnungen, die in zwei Bauabschnitten zum Teil fast fertig sind, zum Teil bis 2025 fertiggestellt sein werden. Die Häuser sind nach kfw-40-Standard in serieller Holzhybridbauweise errichtet.
Die Wohnanlage verfügt über zwei Tiefgaragen mit Stellplatzfaktor 0,8.
Die Häuser befinden sich in einer Top-Lage: Das Gesamtbaufeld grenzt nördlich an den Käfertaler Wald. Westlich schließt sich ein großer auf einer Sanddüne gelegener Spielplatz an, östlich ist in unmittelbarer Nachbarschaft eine Kita geplant. Die neue Franklin-Stadtbahnlinie hat ihre Endstelle wenige Fußminuten entfernt.
Wie ist diese Preisgestaltung der Wohnungen in dieser Lage möglich?
Über den Kaufpreis des Komplexes haben die GBG und die Projektentwicklungsgesellschaft Gateway Real Estate Stillschweigen vereinbart. Jedoch betont GBG-Geschäftsführer Karl-Heinz Frings lt. Mannheimer Morgen vom 18.6.24 „dass es sich keinesfalls um ein Zuschussgeschäft handele, sondern sich der Kauf für die städtische Gesellschaft auch wirtschaftlich lohne.“
Damit wird zunächst ausgesagt: Mit öffentlichen Unterstützung lassen sich trotz der parallelen Mietpreisreduzierung durchaus Profite erzielen; denn Gateway Real Estate ist keine Wohltätigkeitsorganisation und hat sich trotzdem auf das Geschäftsmodell eingelassen. Die Sozialquote ist ihnen kein Thema. Sie übererfüllen sie um knapp 70%.
Zweitens ist auch für die GBG Unternehmensgruppe der Kauf des Wohnkomplexes trotz der stark gedeckelten Mieten wirtschaftlich interessant, wenn auch die GBG keine Rendite wie profitorientierte Unternehmen erwartet.
Dennoch ist der Vorgang in einer Zeit außergewöhnlich, in der reihenweise Investoren von ihren Bauabsichten auf Franklin oder auch Spinelli zurücktreten, weil die Wirtschaftlichkeit aufgrund explodierender Baukosten für sie nicht mehr gegeben sei.
Auch über den Grundstückspreis gibt es keine Aussagen. Jedoch hat das Grundstück Geschichte: Es wurde im Rahmen der Investorensuche an die mittlerweile berüchtigte und insolvente Tom Bock Group vergeben. Die gründete für ihre Bauvorhaben wie üblich einzelne Projektgesellschaften. Diese wurden im Rahmen Untergangs der Tom Bock Group an Gateway Real Estate veräußert. Einen sensationellen Preisaufschlag wie beim Übergang der Baufelder IV und V auf Turley von der Tom Bock Group auf Fortoon scheint es in diesem Fall nicht gegeben zu haben.
Eine vollkommen neue, aber uralte Produktionsweise: Seriell
Entscheidend für die Günstigkeit der Häuser und letztlich der Mieten dürfte bei dem vorliegenden Sullivan-Projekt die Produktionsmethode sein. Hersteller der Häuser ist die zwei Jahre alte Firma NOKERA aus Rüschlikon in der Schweiz. Zwischen Nokera und Gateway Real Estate bestehen enge wirtschaftliche und personelle Beziehungen. In einer GBG-Presseerklärung zu dem Verkauf der 361 Wohneinheiten an die GBG vom 17.06.24 wird der Vorstandsvorsitzende von NOKERA Management AG, Ralph Burkhardt, zitiert:
„Dieses Vorhaben ist ein Musterbeispiel für ein NOKERA-Projekt, denn wir schaffen lebenswerten, nachhaltigen und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum. Wie sich die Anwesenden heute hier vor Ort überzeugen können, sind schnelles serielles Bauen und hohe Wohnqualität kein Widerspruch. Mit Digitalisierung, innovativen Produktionsmethoden, nachhaltigen Materialien und der emissionsarmen Systembauweise mit Holz können wir das deutschlandweite Wohnraum-Problem in den Griff bekommen und die Energiewende im Gebäudesektor aktiv vorantreiben.“
Das sind gewaltige Worte, jedoch fußen sie auf Prinzipien, die in der alternativen und innovativen Bauwirtschaft schon lange diskutiert und mit Erfolg praktiziert werden: Auch im Geschoßwohnungsbau Holz einzusetzen statt Zement via Beton, einen der größten CO2-Emittenten weltweit. In Mannheim auf Turley steht schon seit acht Jahren ein Holzhybrid-Mehrgeschoß-Wohnhaus mit vier Stockwerken und höchster Energieeffizienz. Gebaut wurde es von dem Mietshäusersyndikat-Projekt UmBAU².
Die Serielle Produktion von standardisierten Fertigbauelementen kam bekannterweise in der DDR bei der Bekämpfung der Wohnungsnot zur Anwendung („Plattenbauten“). Aber auch beispielsweise in den 70er Jahren in Mannheim Herzogenried und Rheinau Durlacher Straße. Schon länger wird über serielle Kita- und Schulbauten diskutiert.
Selbstdarstellung der Firma NOKERA
„Wir verfolgen das Ziel, die Bauindustrie durch einen skalierbaren und effizienten Ansatz in der seriellen Fertigung mit Holz nachhaltig zu transformieren und so die Energiewende im Gebäudesektor aktiv voranzutreiben. Der serielle Neubau, die serielle Sanierung und die serielle energetische Optimierung durch Wärmepumpen und Photovoltaik werden dabei aus einer vollständig digitalisierten, skalierbaren Plattform bedient.“
„Serielle Fertigung mit Holz
Wir produzieren Mehrfamilienhäuser, Schulen und Kindergärten sowie öffentliche Gebäude aus Holz. Durch digitalisierte Abläufe und die serielle Fertigung ermöglichen wir höchste Präzision und kurze Bauzeiten von nur knapp 3 Monaten – so produzieren wir hocheffizient nachhaltige Gebäude mit maximaler Planungssicherheit und Kostentreue.“„Durch die Verwendung von Holz wird Bauen und Sanieren ressourcenschonend
Unser primärer Baustoff ist zertifiziertes Holz (PEFC), das zum Großteil aus Deutschland stammt – ein Baustoff, der nachwächst und CO₂-Emissionen und Energieverbrauch stark reduziert. Durch die Verwendung von nachhaltigem und zertifiziertem Holz wird Baumüll drastisch reduziert und Gebäude bis zu 95% recyclebar.“„Das Ergebnis sind Gebäude, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen
Für alle Neubau- und Sanierungsprojekte bieten wir die Installation von Photovoltaikanlagen, Wärmepumpen sowie das Energiemanagement an. So entstehen Energieeffizienzhäuser (KfW 40 NH), die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen und mit dem DGNB-Gold Standard zertifiziert sind. Von Sustainalytics wurden wir als eines der besten 3% ESG-Unternehmen weltweit bewertet.“
Erstens kommt es anders…
Franklin wurde ab 2013 durch die MWSP geplant und parallel dazu wurden bereits Investoren gesucht. In einer Broschüre der MWSP aus 2018 ist die Rede von 4.400 geplanten Wohneinheiten und sechs Kitas. Ca. 1.100 Mietwohneinheiten sollten „preisgünstig“ errichtet werden. Heute werden auf der Website der MWSP 4.700 Wohneinheiten prognostiziert und 9 Kitas angekündigt.
Für Sullivan, das Filetstück von Franklin (neben der Offizierssiedlung), sah die Planung 592 Wohneinheiten vor, davon ganze 10 Mietwohnungen, und diese „bezahlbar“ – Filetstück eben. (V009/2017, Angang 1) Heute reden wir von 361 Mietwohnungen allein in dem jetzt gekauften Gateway-Komplex. Und davon gerade mal 9 nicht öffentlich geförderte Wohnungen. Dazwischen liegt der chaotische Untergang der Tom Bock Group und der Kauf durch Gateway Real Estate. Dieses Immobilienunternehmen baut Wohnungen hauptsächlich als „Bestandhalter“, d.h. es vermietet die Wohnungen. Warum es das große Bauprojekt auf Sullivan plötzlich doch verkauft, kann möglicherweise damit zusammenhängen, dass es die Anteile an den intern so bezeichneten “Soho Projektgesellschaften”, lt. Geschäftsbericht 2022 “vollumfänglich als Sicherheiten” für Darlehen “bereitgestellt” habe.
Wie auch immer: Die GBG hat sich einen gewaltigen Ruck gegeben und den größten Wohnungskauf ihrer Geschichte getätigt.
Wohnungspolitische Bewertung aus linker Sicht
Dieser Schritt ist in jeder Hinsicht zu begrüßen und hätte schon früher angesteuert werden müssen.
- Die Linke hatte im Gemeinderat immer wieder auf den Schwund von Sozialwohnungen hingewiesen, der auch durch die damaligen Neubau-Planungen nicht einmal ausgeglichen wurde.
- Die Linke hatte auch immer wieder gefordert, mehr Wohnungen in öffentlichem Eigentum zu behalten oder dorthin wieder von Projektentwicklern zurückzukaufen. Nur so kann Wohnraum der spekulativen Verteuerung nachhaltig entzogen werden. „Halten statt verkaufen“.
- Die Linke hat gefordert, dass die GBG ihren Wohnungsbestand deutlich vergrößert.
- Die Linke hat darauf hingewiesen, dass die Mindestquote für geförderte oder preisgünstige Wohnungen von 30 auf 50% erhöht werden muss.
- Und die Linke hat die obligatorische Festlegung der Bindungsfrist für Sozialwohnungen auf die gesetzliche Höchstdauer (jetzt in Baden-Württemberg 40 Jahre), am besten aber unbefristet, gefordert. Die Kombination aus kurzen Bindungsfristen (ab 10 Jahre!) und von nicht gemeinwohlorientiertem Sozialwohnungs-Trägern stellt für die Mieter:innen ein großes Risiko dar. Deshalb Ausbau des öffentlichen, gemeinwohlorientierten Wohnungssektors.
Mit der Kaufaktion der GBG ist nun ein wichtiger und richtiger Schritt in diese Richtung erfolgt.
OB Christian Specht lässt sich in der o.g. Presseerklärung der GBG folgendermaßen zitieren: „(…) ergibt der Ankauf der Wohnungen ökonomisch, ökologisch und inhaltlich Sinn für die kommunale GBG und liegt genau in der Strategie der Bestandserweiterung. Auf diese Weise kann die GBG gleichzeitig ihr Wohnungsangebot erweitern und erneut Verantwortung für die Entwicklung eines Quartiers übernehmen.“ Na dann!
Gaytway / NOKERA werden auch in Sullivan Süd aktiv
Der hier betrachtete Wohnungstransfer von Gateway zur GBG muss nicht der einzige bleiben: Gateway veröffentlichte am 9. Juli 2024 folgende Pflichtangabe über „Geschäfte mit nahestehenden Personen“:
„Die Gateway Real Estate AG entwickelt über ihre Tochterfirmen S0 SoHo Sullivan GmbH & Co. KG, S6 Park Lane GmbH & Co. KG, S7 Curve Quartier GmbH (gemeinsam die „Projektgesellschaften“) ein weiteres Immobilienprojekt in Mannheim. Das Projekt hat die Schaffung von sozial geförderten Wohnraum zum Gegenstand.
In diesem Zusammenhang haben die Projektgesellschaften heute mit der NOKERA Construction GmbH („NOKERA“) einen Generalübernehmervertrag zur schlüsselfertigen Errichtung von 15 Wohngebäuden mit einer Geschossfläche (oberirdisch) von ca. 19.600 m² geschlossen. Der Bau der Obergeschosse erfolgt in serieller Holzhybridbauweise. Für die Erbringung sämtlicher vertraglich geschuldeter Leistungen der NOKERA wurde ein Pauschalpreis in Höhe eines mittleren zweistelligen Millioneneurobetrags vereinbart.“ (https://www.gateway-re.de/investor-relations/ir-news-new/new-detail/?news_id=EQS-RPT_2801233_de).
Die genannten Projektgesellschaften sind diejenigen auf Baufeld 10 von Sullivan-Süd, die zuvor im Eigentum der Tom Bock Group waren. Vielleicht kann die GBG im Rahmen ihrer neuen Expansionsstrategie auch diese Objekte nach Fertigstellung erwerben?
Die Aktivitäten von Gateway / NOKERA stoßen nicht überall auf Gegenliebe
Die Errichtung einer großen Zahl von öffentlich geförderten Wohnungen treibt neuerdings eine am 3.7.24 gegründete „Bürgerinitiative Franklin Miteinander“ auf die Barrikaden. Sie meldete sich auf der letzten BBR-Sitzung Käfertal zu Wort und schrieb den OB und alle Gemeinderatsfraktionen an. In dem Brief heißt es u.a.:
„Im Jahr 2018 haben viele von uns auf diesem Gebiet Grundstücke erworben, da uns die Planung des gesamten Gebiets sowie des Teilgebiets Sullivan, auf dem wir wohnen, sehr überzeugt hat. Geplant war ein sozial gut durchmischtes Gebiet, mit vielen Grünflächen und direktem Zugang zum Käfertaler Wald.
Leider haben sich im Vergleich zum ursprünglichen Plan (…) zahlreiche Änderungen ergeben, ohne dass die Anwohner einbezogen wurden. (…) Laut einem Artikel im Mannheimer Morgen vom 18.06. entstehen (…) insgesamt 352 Wohnungen mit Wohnberechtigungsschein (gekauft von der GBG). Auch dort waren ursprünglich Eigentumswohnungen geplant. (…)
Wir machen uns große Sorgen um die Lebensqualität, die diese Änderungen mit sich bringen werden. Vor allem sind wir in Sorge darüber, ob die Infrastruktur ausreichend mitwachsen wird. Wir gehen davon aus, dass unter den Mietern mit Wohnberechtigungsschein wesentlich mehr Familien mit Kindern sein werden, als dies bei Eigentumswohnungen der Fall gewesen wäre. (…) Schon heute ist die Franklin Schule überfüllt und viele Familien erhalten keinen Kita-Platz.
Wir sind – wie es ja auch geplant war – ein Gebiet mit sehr vielen Familien mit Kindern und wir möchten, dass unsere Kinder in guter Lebensqualität aufwachsen können. Wir sind in Sorge, dass es mit diesem hohen Anteil an Sozialwohnungen auf Sullivan zu Problemen kommt, die man aus anderen Gebieten kennt und unbedingt vermeiden sollte.“
Was sich hier in wohl gesetzten Worten äußert, findet in Posts an den Mannheimer Morgen noch anderen Ausdruck:
„Hans Georg Rasmussen | Cool dann können wir ja noch mehr Arbeitsverweigerer aus Bulgarien, Rumänien und Afghanistan mit Neubauwohnungen belohnen und wundern uns dann über den permanenten Sperrmüll.“
Die Einkommensgrenze für den Berechtigungsschein auf öffentlich geförderte Mietwohnungen liegt in Baden-Württemberg übrigens z.B. für einen Vier-Personenhaushalt bei einem Haushaltsjahreseinkommen von 75.800 EUR.
Hier stellt sich vor allem die Frage, wie auch Menschen mit einem Einkommen deutlich unterhalb der Einkommensgrenze die Chance bekommen, eine Sozialwohnung zu ergattern. Hier werden wohl nur Quoten helfen, damit auch wirklich eine Durchmischung der Bewohnerschaft gewährleistet ist.
Thomas Trüper